Karriere

Vom Flüchtling zum Studenten

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Deike Uhtenwoldt

Ahmad Zubair Ahmady kam vor einem Jahr aus Afghanistan nach Deutschland – ohne Deutschkenntnisse. In zehn Monaten erlernte der 25-Jährige, der seinen Bachelor in Finanzwesen in Indien gemacht hat, die neue Sprache und begann einen Masterstudiengang an der HSBA

Eigentlich hat Ahmad Zubair Ahmady erst im März Geburtstag. Aber der 23. Januar ist so etwas wie der Start in das zweite Leben des jungen Afghanen aus Kabul, der seine Heimat aus politischen Gründen verlassen und ganz neu anfangen musste. „Von da an änderte sich mein Leben“, erzählt er dennoch strahlend. Von da an wurde aus einem Flüchtling ein Mentee und wenig später ein Masterstudent der Hamburg School of Business Adminis­tration (HSBA). Aber der Reihe nach.

Ahmady kam in Deutschland kurz nach der Grenzöffnung für Flüchtlinge im September 2015 an. Über die Umstände seiner Flucht darf und will er nicht reden, um seine Familie nicht zu gefährden, nur so viel: Er hat nicht viel mehr mitnehmen können als die Sachen, die er am Leib trug, sowie den Willen, nicht abzuwarten, bis in seiner Heimat wieder bessere Zeiten herrschen, sondern sich anzupassen an die neue Umgebung. „Aber ohne dabei die eigene Identität aufzugeben“, betont er. Dazu die Devise: „Lernen und noch mehr lernen“. Zunächst einmal Deutsch, was vielleicht logisch klingt für einen, der schon sechs Sprachen spricht, darunter Englisch, Türkisch und Hindi. Was aber nicht einfach ist für jemanden, der den Status eines Flüchtlings hat: „Die ersten sechs Monate hat man kein Anrecht auf Deutschkurse“, sagt Ahmady. Man sei zum Abwarten verdonnert.

Ahmady wollte nicht abwarten. Er suchte sich über das Internet kostenlose Deutschkurse, besuchte Bibliotheken, Diskussionsrunden: „Am Vormittag Deutschkurs, nachmittags Deutschkurs, Abendkurs Deutsch“, sagt Ahmady und lacht. Der ehrgeizige junge Mann wollte es wirklich wissen und schaffte innerhalb von zehn Monaten das Zertifikat B1. „Damit kann ich eine Ausbildung in Deutschland beginnen“, sagt er nicht ohne Stolz.

So viel Feuereifer beeindruckte Reinaldo Udewald, als der Unternehmensberater sich auf einem Bürgergipfel „Das neue Wir“ im Thalia Theater mit Flüchtlingen austauschte. „Ich wusste nicht, was ich von den Flüchtlingsströmen halten sollte, also wollte ich mir ein eigenes Bild machen.“

In der Art eines Speeddatings traf Udewald auf Analphabeten, denen die Betreuer mühsam ein paar deutsche Sätze beigebracht hatten, auf Jugendliche, die kaum volljährig waren, und er traf auf einen jungen Mann, der Sprachgewandtheit, Ehrgeiz sowie einen internationalen Hochschulabschluss mitbrachte. „Ahmad hat in Indien einen Bachelorabschluss gemacht, wir haben uns sehr gut auf Englisch unterhalten und Kontaktdaten ausgetauscht“, erzählt der Agraringenieur, der beruflich zwischen Lateinamerika und Deutschland vermittelt. Aus dem Gespräch am 23. Januar zwischen ihm und dem jungen Flüchtling ist eine Patenschaft entstanden, die Ahmady Praktikum, Unterkunft und einen Masterstudienplatz an der HSBA verschaffte – den Start in ein neues Leben.

Reinaldo Udewald ist ehrenamtlich als Mentor für die HSBA tätig. Da lag es nahe, seinen Schützling auf den englischsprachigen Masterstudiengang „Global Management & Governance“ aufmerksam zu machen, der sich an studierte Wirtschaftswissenschaftler richtet. Ahmady machte an der Universität Bangalore seinen Bachelor of Business Management (BBM) mit dem Schwerpunkt Finanzwesen – eine Spezialisierung, die auch die HSBA anbietet. Diese wiederum überzeugte der Bewerber mit seinen Sprach- und Fachkenntnissen, seiner Persönlichkeit und Geschichte. Der 25-Jährige wurde in das Programm „Job & Master“ aufgenommen, das geeignete Kandidaten für Einstiegspositionen an Unternehmen vermittelt.

„Ich möchte zu einer globalisierten Welt beitragen, Globalisierung leben und praktizieren, andere Kulturen kennenlernen“, erklärt der angehende Masterstudent seine Entscheidung. Den Bereich Finanzen, den er aufgrund seiner Mathematikkenntnisse und auf Anraten seiner Lehrer anwählte, will er weiter ausbauen. Aber auch sonst ist der Afghane, der in der Oberstufe eine internationale türkische Schule in Kabul besuchte, ein ausgezeichneter Schüler. Damals noch mit der Zukunftsvision: Wirtschaft studieren, ins Management einsteigen, Karriere machen. Nach seinem Bachelorabschluss zurück in der Heimat arbeitete er als Finanzmanager für den Türkisch-Afghanischen Wirtschaftsverein in Kabul – bis zum Tag seiner Flucht.

Was nach dem Ende einer Berufskarriere aussah, wurde zum Neustart: Udewald vermittelte seinem Mentee ein Praktikum bei dem Inkassobüro Abacus Pro Services. „Das brachte mich mit deutschen Beschäftigten, Gepflogenheiten und Behörden in Kontakt“, sagt Ahmady. Ein zweites Praktikum, vermittelt durch das regionale Förderprogramm W.I.R. (Work and Integration for Refugees), machte ihn mit dem Onlinehandel bei Beiersdorf vertraut. Jetzt sucht der angehende Masterstudent noch ein Unternehmen in Hamburg, in das er seine Sprach- und Finanzkenntnisse einbringen kann und das ihn finanziell an der HSBA unterstützt.

„Ich möchte den Master machen und gleichzeitig Berufserfahrungen sammeln, das ist eine großartige Kombination“, sagt Ahmady. Sein Traum wäre ein international aufgestelltes Unternehmen mit unterschiedlichen Abteilungen, die er als angehender Finanzmanager durchlaufen und bei Kontakten nach Asien unterstützen kann. „Ich liebe meine Heimat.“ Irgendwann möchte er auf jeden Fall dorthin zurück, um in einem im Wiederaufbau begriffenen Afghanistan weiterzugeben, was er gelernt hat.

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