Hamburg. „Bacillol“ heißt der neue Virenkiller von Bode Chemie. Und die Maschine, die das Desinfektionsmittel zur Reinigung von Oberflächen mit diesem Namen herstellt, macht ordentlich Lärm. Es summt, dröhnt und klackert. Eine Plastikflasche nach der anderen wird mit dem Desinfektionsmittel für Oberflächen befüllt, etikettiert, verpackt und zum Versand vorbereitet. Einfüllen, Deckel drauf, zudrehen. Immer 20 Flaschen auf einmal. Roboter erledigen alles in Sekundenschnelle. Zig Tonnen in einer Stunde. 100 Millionen Flaschen im Jahr. Mitarbeiter überwachen die Produktion am Monitor.
Von außen wirkt das Werk, in dem diese Maschinen stehen, eher unscheinbar. Ein Verwaltungstrakt, ein paar Produktionshallen mitten in einem Stellinger Wohngebiet. Das ist Bode Chemie. Herein kommt man nur unter besonderen Schutzvorkehrungen. Schutzkleidung ist Pflicht. Persönliche Gegenstände wie Schmuck und Uhren dürfen nicht mit durch die Schleuse am Eingang zur Produktion genommen werden.
Das Unternehmen ist Teil der Hartmann Gruppe, einem internationalen Hersteller von Medizin- und Pflegeprodukten mit Sitz in Heidenheim an der Brenz. Bei der Produktion gelten strenge Vorschriften für die Herstellung von Arzneimitteln.
Bode Chemie rechnet mit weiterer Pandemie und erweitert Hygieneproduktion
Das gilt auch für die 1924 gegründete Bode Chemie, die seit 2009 zu Hartmann gehört und einer von Europas führenden Herstellern von Desinfektionsmitteln ist. Die Firma ist fester Partner deutscher Kliniken und Arztpraxen. „Sterillium“ heißt die Kernmarke. Das Handdesinfektionsmittel wird weltweit in 50 Länder exportiert und etwa vier Milliarden Mal im Jahr eingesetzt. Rund 310 Mitarbeiter zählt das Werk, sagt Geschäftsführer Alexander Schwieger, und aus seinen Augen spricht, dass es zu anderen Zeiten schon einmal sehr viel mehr waren.
Jene anderen Zeiten sind drei Jahre her. Als 2020 die Corona-Pandemie nach Deutschland schwappte, wurde Sterillium zu einem Rettungsanker im Infektionsschutz und die kleine Bode Chemie ein systemrelevantes Unternehmen in Deutschland. Führende Virologen und Infektiologen sagten damals, dass ein wirksamer Schutz vor einer Corona-Erkrankung mit einer Schutzmaske und der Desinfektion der Hände erreicht werde, und Sterillium war in den Apotheken kurz darauf ausverkauft.
Bode Chemie arbeitete während Corona Tag und Nacht
Mühsam nach Geschäftsschluss stellten Apotheker geringe Mengen eigener Desinfektionsmittel her, um wenigstens die wichtigsten Kunden wie Arztpraxen weiter versorgen zu können, bis Bode Chemie seine Produktion ausgeweitet hatte. Das geschah innerhalb weniger Wochen. Leiharbeiter wurden eingestellt, ein 24-Stunden-Betrieb an sieben Tagen in der Woche eingeführt. Anstatt in zwei arbeitete Bode Chemie nun in drei Schichten. „Eigentlich hatten wir beinahe noch eine vierte Schicht“, erinnert sich Katharina Kerl von der Unternehmenskommunikation. „Wir mussten ja die Anlagen mitten im laufenden Betrieb warten.“ Zwischenzeitlich waren 550 Menschen mit der Produktion beschäftigt.
Nun, nachdem Corona Vergangenheit ist, wurde die Zahl der Mitarbeiter wieder reduziert, und der Absatz hat sich normalisiert. „Die Einhaltung der Handhygiene in Kliniken liegt sogar leicht unter den Raten im Vor-Corona-Jahr 2019“, sagt Heide Niesalla, promovierte Biologin und Leiterin des Hartman Science Centers, dem Kompetenzzentrum des Unternehmens bei Infektionsschutz. Die Gründe hierfür seien vielschichtig. „Ein Grund ist unter anderem der steigende Personalmangel im Gesundheitswesen.“
Bode Chemie investiert 13 Millionen Euro in Produktionsanlagen
Zusammen mit Schwieger führt Niesalla durch die Anlage, die nun wieder im Normalbetrieb arbeitet. Grundlage der meisten Desinfektionsmittel ist Alkohol. Bei Bode werden verschiedene Ethanole eingesetzt. Als Erstes geht es also ins Labor, besser gesagt in ein Labor. Denn bei Bode Chemie untersuchen fünf unterschiedlich arbeitende Labore die Rohstoffe. Dazu zählt auch eine Riechprobe durch eigens geschulte Mitarbeiter, weil zu den Qualitätsmerkmalen von Sterillium ein bestimmter Geruch gehört.
Erst wenn die Stoffe freigegeben sind, können sie in der Produktionsanlage gemischt und anschließend abgefüllt werden – seit 2022 sogar in etwas größeren Mengen als zuvor. Hartmann hat 13 Millionen Euro in die Erweiterung der Produktion investiert. Und auch dabei hatten die Mitarbeiter einen guten Riecher bewiesen: Die Investitionsentscheidung fiel nämlich schon 2019, also vor der Pandemie.
Bode Chemie hat Corona-Pandemie vorausgeahnt
Hatte das Unternehmen etwa geahnt, dass nur wenige Monate später eine Corona-Pandemie die Welt in Atem halten werde? „So etwas kann eigentlich immer passieren, da es häufiger zu pandemischen Ausbrüchen kommt. Wir wussten aber nicht, wann und in welchem Ausmaße“, sagt Schwieger. Heute sei man froh, damals die richtige Entscheidung getroffen zu haben, da Infektionsschutz in Zukunft eine noch größere Rolle spielen werde. „Es wird nicht die letzte Pandemie gewesen sein. Die Frage ist nur, wie man auf die nächste vorbereitet ist“, sagt Schwieger.
„Wir müssen sicherstellen, dass wir jederzeit die erforderlichen Mengen an Desinfektionsmitteln liefern können.“ Um nicht wie am Anfang der Corona-Pandemie wieder in eine Versorgungslücke zu geraten, hat Bode Chemie sein Lager in Henstedt-Ulzburg um zwei weitere ergänzt. Man will gewappnet sein.
Klares Bekenntnis zum Standort Hamburg
In einer angebauten Halle jenseits der Produktion werden die Desinfektionsmittel verpackt. Auch hier läuft alles automatisiert. Eine Maschine packt die Fläschchen in Kartons, legt einen Beipackzettel dazu, verschließt und verklebt die Verpackungen.
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Die zusätzliche Investition sei ein klares Bekenntnis zum Standort, sagt Schwieger. Geht es nach ihm, müsste der Infektionsschutz vor allem in Krankenhäusern ausgeweitet werden. Ein großes Problem für Patienten sei nämlich die Gefahr, sich neben der eigentlichen Erkrankung auch noch mit Krankenhauskeimen zu infizieren.
Weniger Tote bei mehr Händedesinfektionen
Rund 600.000 solcher zusätzlichen Infektionen würden in deutschen Kliniken jährlich stattfinden und zu 15.000 bis 18.000 zusätzlichen Todesfällen führen, die in vielen Fällen vermeidbar wären, sagt Schwieger während des Rundgangs. „So, wie der Sicherheitsgurt vor dem tödlichen Ausgang vieler Verkehrsunfälle schützt, schützt eine gute Händehygiene vor zusätzlichen Infektionen.“
Eigentlich kommt die 1818 gegründete Hartmann Gruppe aus der Wundbehandlung. Die Paul Hartmann AG ist die älteste deutsche Verbandstofffabrik. Das meiste Geld macht das Unternehmen, das mit 10.000 Mitarbeitern 2022 einen Umsatz von 2,3 Milliarden Euro erwirtschaftete, aber inzwischen mit der Inkontinenzpflege und dem Hygienebereich.
Bode Chemie rechnet mit weiterer Pandemie. Desinfektionsverhalten ändern
Neben Mitteln zur Hand- und Flächendesinfektion gehören dazu auch Hautpflegeprodukte, Schutzausrüstung wie Handschuhe, Mittel zum Reinigen medizinischer Instrumente sowie als neues Standbein digitale Produkte wie Nosoex. Dabei werden Handdesinfektionsspender mit Sensoren versehen, die detaillierte Auswertungen über das Desinfektionsverhalten in einem Krankenhaus ermöglichen. „Wir wollen den Krankenhäusern die Arbeit erleichtern“, sagt der Chef von Bode Chemie.
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