Berlin. Windows und die Microsoft Office-Programme sollen aus deutschen Behörden verschwinden. Open-Source-Software soll neuer Standard werden.

Die Verwaltung der Stadt München sorgte 2003 für Schlagzeilen. Der damalige Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) hatte angekündigt, Mi­crosoft mit dem Betriebssystem Windows und den Office-Anwendungen wie Word und Excel den Rücken zu kehren. Stattdessen sollten die Computer der Verwaltung mit sogenannter Open-Source-Software betrieben werden, um Lizenzkosten zu sparen und unabhängiger zu sein.

Eine Software wird als Open Source oder quelloffen bezeichnet, wenn der Programmcode für jeden zugänglich ist. Häufig sind die Programme auch kostenlos. Die Entscheidung schlug so große Wellen, dass Microsoft-Gründer Bill Gates persönlich versuchte, Bürgermeister Ude von dem Vorhaben abzubringen. Ohne Erfolg. Die Münchner Verwaltung startete das Projekt LiMux (angelehnt an das offene Betriebssystem Linux) und stellte in jahrelanger Arbeit auf Open Source um.

Doch 2017 kam die Rolle rückwärts. Für manche Anwendungen mussten immer noch Windows-Programme benutzt werden. Zu aufwendig, hieß es damals. Schon bald könnte sich das grundlegend ändern. Die Ampelkoalition setzt auf Open Source in der öffentlichen Verwaltung. Woher kommt der Sinneswandel?

Open-Source-Software ist Teil vieler beliebter Anwendungen

Offene Software ist aus digitalen Anwendungen nicht mehr wegzudenken. Wer ein Smartphone mit dem Betriebssystem Android besitzt, nutzt frei lizenzierte Software. Der Programmcode ist auf der Plattform Github verfügbar. Alle Interessierten können sich an der Weiterentwicklung beteiligen. Unternehmen sowie Tüftlerinnen und Tüftler können das Betriebssystem in ihren Geräten verwenden, ohne dafür etwas zu bezahlen. Sie sind im Gegenzug dazu eingeladen, den Programmcode zu verbessern.

Open-Source-Software gibt es für unzählige Anwendungen. Wer sich für zu Hause keine Lizenz für die Microsoft-Programme Word, Excel und Co. kaufen möchte, kann zum Beispiel Libre Office nutzen. Eine gemeinnützige Organisation entwickelt das Software-Paket fürs Büro seit Jahrzehnten weiter.

Die Programme könnten auch demnächst in deutschen Verwaltungen eine zentrale Rolle spielen. Die Ampel-Parteien schreiben im ihrem Koalitionsvertrag: „Für öffentliche IT-Projekte schreiben wir offene Standards fest. Entwicklungsaufträge werden in der Regel als Open Source beauftragt, die entsprechende Software wird grundsätzlich öffentlich gemacht.“

Großteil der Behörden nutzt Windows, Word und Excel

Doch der Umstieg wird nicht einfach. Das Innenministerium hat 2019 eine Analyse der öffentlichen Verwaltung beauftragt. Demnach nutzen 96 Prozent der unmittelbaren Behörden den Platzhirsch Windows und seine Office-Anwendungen. Für Verwaltungen wäre es also naheliegend, weiterhin auf etablierte Programme von bekannten Herstellern zu setzen. Sie sind untereinander kompatibel, werden stetig angepasst und können schnell eingesetzt werden.

Dass öffentliche Einrichtungen trotzdem auf offene Software umstellen sollen, sei laut Dirk Riehle aus ökonomischen und finanziellen Gründen sinnvoll. Er ist Professor für Open-Source-Software an der Universität Erlangen-Nürnberg. „Zum einen ist Open Source meistens langfristig kostengünstiger und innovativer. Andererseits stellt sich die Frage, wie Steuergelder eingesetzt werden: Sollen ausschließlich einige private Anbieter das Geld bekommen oder sollen auch andere die Software nutzen können?“

Open Source bedeutet nicht kostenlos

Riehle ist dabei wichtig, dass Open Source nicht kostenlos bedeutet: „Unternehmen verdienen durchaus daran, die Entwicklung spezieller offener Anwendungen und eine Wartung anzubieten. In der Gesamtrechnung verdienen sie aber weniger, da die Firma einfacher gewechselt werden kann, wenn sie die Preise erhöhen möchte.“ Bei nicht öffentlicher Software müssten Anwender das häufig akzeptieren, da sie ansonsten ihre Programme nicht weiter nutzen könnten.

Im Koalitionsvertrag ist deshalb von „digitaler Souveränität“ die Rede. Verwaltungen sollen sich unabhängig von Software-Riesen machen. Diese Open-Source-Kultur wird in verschiedenen Kommunen schon länger gelebt.

Verwaltung von Schwäbisch Hall ist bereits umgestiegen

Mathias Waack leitet die Informationstechnik im baden-württembergischen Schwäbisch Hall. Als die Stadt 2002 zum Sparen gezwungen war, kündigte sie die Lizenzverträge mit Microsoft, erzählt er. Seitdem schreiben die Beschäftigten Briefe mit Libre Office statt Word, E-Mails mit Open Exchange statt Microsoft Outlook.

Haben alle mitgezogen? Verwaltungen haben schließlich den Ruf, nicht besonders euphorisch auf Veränderungen zu reagieren. „Man kann nie alle Nutzer glücklich machen. Aber letztlich wollen die Anwender mit dem Computer ihre Arbeit einfach und effizient erledigen. Ob das dann ein Linux- oder Windows-Rechner ist, ist ihnen im Endeffekt egal“, sagt Waack. Das funktioniere auch in den meisten Bereichen.

Nur bei bestimmten Verfahren auf Landesebene sei noch kommerzielle Software notwendig. „Wenn wir im Bürgeramt Personalausweise ausstellen wollen, müssen wir die Software nutzen, die das Land Baden-Württemberg festgelegt hat. Und die läuft im Wesentlichen auf Windows,“ sagt Waack. Eine kleine Stadt wie Schwäbisch Hall ist darauf angewiesen, dass solche Fachanwendungen auf Länder- und Bundesebene entwickelt werden.

Eine Open-Source-Alternative für Internet Explorer, Safari und Google Chrome: der Firefox-Browser.
Eine Open-Source-Alternative für Internet Explorer, Safari und Google Chrome: der Firefox-Browser. © dpa-tmn | Robert Günther

Schleswig-Holstein will bis 2026 wechseln

Mit großen Schritten voran geht dabei Schleswig-Holstein. Das Land stellt die Verwaltung bis Ende 2026 komplett auf Open Source um, so lautet zumindest das Ziel. Im Rahmen des Projekts „Phönix“ stehen Büroanwendungen den Beschäftigten online zur Verfügung, in einer sogenannten Cloud. Ungefähr 100 Kolleginnen und Kollegen hätten Ende 2021 damit bereits gearbeitet, erzählt Tobias Goldschmidt. Er ist Staatssekretär im Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung.

Goldschmidt ist es wichtig, dass der Wechsel nicht überstürzt erfolgt: „Wir probieren die Anwendungen erst einmal bei technisch versierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus, um rechtzeitig Probleme zu erkennen und nachzubessern.“ Ein plötzlicher Strategiewechsel wie damals in München soll so vermieden werden.

Goldschmidt gibt sich aber offen: „Der Weg zur Open-Source-Software und digitaler Souveränität ist nicht ideologisch. Wenn wir am Ende feststellen, dass die vorhandene kommerzielle Software nachhaltiger und günstiger ist, dann wäre das so. Ich bin mir aber sicher, dass sich das Thema in die andere Richtung entwickeln wird.“

Open Source ist nicht unsicherer als geschlossene Software

Open Source ist zudem genauso sicher (oder unsicher) wie nicht öffentliche Software. Der für alle einsehbare Code kann sogar dabei helfen, dass Außenstehende Sicherheitslücken früh erkennen und melden können.

Im vergangenen Jahr hatten die Kreisverwaltungen von Ludwigslust-Parchim in Mecklenburg-Vorpommern und Anhalt-Bitterfeld in Sachsen-Anhalt mit einem Hacker-Angriff zu kämpfen. In beiden Fällen vermuten die Kreise, dass die Angreifer eine Sicherheitslücke in ihren Windows-Systemen ausgenutzt haben.

Weitverbreitete Software ist ein beliebtes Angriffsziel, da Cyber-Kriminelle jeden gefundenen Fehler bei vielen Computern gleichzeitig anwenden können. Verwaltungen müssen deshalb für Datensicherheit regelmäßig ihre Systeme aktualisieren und ihre Beschäftigten schulen – egal ob sie offene oder geschlossene Software nutzen. Denn für jedes System hat es negative Folgen, wenn ein Angestellter Schadsoftware aus einem E-Mail-Anhang ausführt.

Bundesregierung plant Cloud der öffentlichen Verwaltung

Den „Wunsch nach digitaler Autonomie“ in der Verwaltung kann auch die Microsoft-Deutschland-Chefin Marianne Janik nachvollziehen. Sie betont daher, dass in der Microsoft-Cloud „weit über 50 Prozent der Lösungen auf Open Source“ basierten. Schleswig-Holstein nimmt auch die anderen 50 Prozent in den Blick: Das Bundesland setzt sich für eine deutschlandweite Cloud der öffentlichen Verwaltung ein.

Zusammen mit der Bundesregierung soll diese gemeinsam entwickelt und genutzt werden. Ob alle Bundesländer mitziehen, muss sich erst noch zeigen – im föderalen System Deutschlands ist das kein Selbstläufer. Das zeigt etwa die bis heute nicht abgeschlossene Einführung der einheitlichen Software Sormas für alle Gesundheitsämter in der Corona-Pandemie.

Für die Stadt München ist das Thema Open Source zumindest noch nicht vorbei. Nach dem Aus für LiMux hat der Stadtrat 2020 den Rückzug vom Rückzug erklärt: Der Stadtrat beschloss, Open-Source-Software dort zu priorisieren, „wo immer technisch und finanziell sinnvoll“.