Die Hauptbotschaft von Gerhard Schröders Agenda 2010 war klar und deutlich: „Niemandem aber wird künftig gestattet sein, sich zu Lasten der Gemeinschaft zurückzulehnen: wer zumutbare Arbeit ablehnt, der wird mit Sanktionen rechnen müssen“, sagte der ehemalige Kanzler vor fünf Jahren in seiner Regierungserklärung.
Mit dieser für viele bedrohlichen Ankündigung leitete er einen elementaren Richtungswandel ein in der deutschen Sozialpolitik. Die Proteste gegen die Arbeitsmarktreformen, die das Herzstück der Agenda 2010 bilden, dauern bis heute an. Nach fünf Jahren lautet die berechtigte Frage: Hat die Agenda überhaupt gewirkt?
Es geht uns jedenfalls eindeutig besser: 2005 ist der Aufschwung in Deutschland angekommen, die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt. Ein Wundermittel dafür waren die Reformen alleine nicht. Die stark gestiegene Nachfrage nach deutschen Produkten aus dem Ausland und also die internationale Konjunktur sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Unternehmen neue Jobs schufen.
Aber auch die Reformen haben mit dazu beigetragen, dass die Entwicklung am Arbeitsmarkt so positiv ist, sagen Ökonomen wie der Präsident des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn. „Dies ist der erste Aufschwung seit Willy Brandt, bei dem die Sockelarbeitslosigkeit in Westdeutschland nicht zugenommen hat“, sagte Sinn WELT ONLINE.
Er erklärt das so: Während der Spitzen der vergangenen vier Aufschwünge 1980, 1991 und 2001 habe die Arbeitslosenzahl stets noch um 800.000 höher gelegen als beim vorigen Aufschwung. 2008 dagegen habe die Zahl der Arbeitslosen im Vergleich zu 2001 sogar um 200.000 abgenommen. Dies habe die Agenda 2010 möglich gemacht, indem sie die Lohnspreizung erlaubt und so Jobs am unteren Ende geschaffen habe, sagte Sinn.
Auch Christian Dreger vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) glaubt an die Wirkung der Agenda. „Den besonders starken Anstieg an Beschäftigung während des aktuellen Aufschwungs ist sicherlich auch den Arbeitsmarktreformen zuzuschreiben“, sagt er. „Zumindest ist das wahrscheinlich.“
Denn ganz genau messen lässt sich das nicht. So argumentiert Claus Matecki, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes, genau anders herum. Der Glaube an den Beitrag zum Aufschwung der Agenda 2010 ähnele dem „Glauben an dem Weihnachtsmann“. Ihm zufolge sind im letzten Aufschwung Ende der neunziger Jahre auch ohne Hartz-Reformen mehr Jobs entstanden als jetzt. Er spricht allerdings, anders als Sinn, über Gesamtdeutschland.
Streit um die richtige Statistik
Zwischen 1997 und 2000 ist die Erwerbstätigenzahl tatsächlich stärker gewachsen, und zwar um 4,5 Prozent. Seit 2005 betrug die Zuwachsrate lediglich 2,3 Prozent. Was Matecki aber nicht sagt: Damals wurden erstmals geringfügige Beschäftigungsverhältnisse in die Statistik aufgenommen. Deshalb hält sich DIW-Experte Dreger an eine andere Größe: Die Zunahme der geleisteten Arbeitsstunden pro Kopf. Die ist zwischen 1997 und 2000 um 1,3 Prozent gestiegen, seit 2005 aber um 2,2 Prozent. Dreger schreibt dieses Wachstum an Vollzeitstellen der Agenda 2010 zu.
Die Reformen haben dazu beigetragen, dass Arbeitslose den Unternehmen schneller und für weniger Geld zur Verfügung stehen. Vor allem bei Kurzzeitarbeitslosen sei das so, sagt Hilmar Schneider vom Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA). „Das hat Dynamik in den Arbeitsmarkt gebracht“. Ihm zufolge wirkt vor allem die Drohkulisse, die das schnelle Abrutschen nach zwölf Monaten in die finanziell viel schlechtere Grundsicherung für die Kurzeitarbeitslosen darstellt.
Er hat ausgerechnet, dass 2001, also vor der Reform, ein arbeitsloser Mann am Anfang seiner Arbeitslosigkeit nur einen Job annahm, wenn er 70 Euro mehr als bei seinem letzten Job bekam. 2005 betrug das nötige Plus nur noch 27 Euro. Nach zwölf Monaten nahm der Arbeitslose 2001 ein Minus von 77 Euro in Kauf. 2005 konnte das Minus dann sogar 186 Euro betragen.
Diese erhöhte Bereitschaft, aus der Arbeitslosigkeit auszutreten, ist jedoch vor allem bei den Kurzzeitarbeitslosen zu beobachten. Die Erklärung ist für Hilmar Schneider einfach: Diese Leute sind meist qualifiziert, sie können Jobs finden, die sie auch mit Abstrichen noch besser stellen als wenn sie in der Arbeitslosigkeit verharrten. Anders sieht das bei den Langzeitarbeitslosen aus. Sie hätten einfach weniger Anreize, Arbeit anzunehmen, weil sie mit Niedriglohnjob oft schlechter gestellt seien als mit Hartz-IV-Bezügen. In der Tat machen die Empfänger der Grundsicherung immer noch zwei Drittel der Arbeitslosen aus. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Kurzzeitarbeitslosen um 24 Prozent gesunken – die der Langzeitarbeitslosen reduzierte sich dagegen nur um neun Prozent. Das „Fördern und Fordern“ stoße hier an seine Grenzen, so Schneider.
Von den gesunkenen Arbeitslosenzahlen profitierte auch die Bundesagentur für Arbeit. Sie erwirtschaftete 2006 das erste Mal seit 21 Jahren einen Überschuss, 2007 machte sie erneut einen Milliardengewinn. Die Koalition einigte sich darauf, die Beitragssätze zur Arbeitslosenversicherung zu Januar 2008 um 0,9 Prozentpunkte auf 3,3 Prozent zu senken. Auch das schafft Arbeit. Jedoch kann auch BA-Chef Frank-Jürgen Weise den genauen Beitrag der Agenda nicht genau beziffern. „Wir haben die richtigen Reformentscheidungen getroffen, beschreibt er den Erfolg seiner Agentur. „Wir haben aber auch Glück, räumte er ein. „Ohne die gute Konjunktur wäre der Erfolg nicht so sichtbar.“
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