Die Lehman-Geschädigten sind aufgrund des Urteils des BGHs entsetzt. Die Sparkasse bedauert, dass es überhaupt zu Verfahren gekommen ist.

Hamburg. Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zu den Lehman-Zertifikaten nimmt den Geschädigten jede Hoffnung. "Ich bin sprachlos und entsetzt", sagt Edeltraud Grattolf von der Interessengemeinschaft der Lehman-Geschädigten in Hamburg. "Denn das ist ein Freibrief für die Banken, dass sie den Kunden weiterhin alles verkaufen können." Auch Brigitte Kuchs-Krupsky, die Witwe des Klägers Bernd Krupsky, ist tief enttäuscht über das Urteil. "Das ist bitter", sagt sie dem Abendblatt. "Ich hatte auf ein Urteil gehofft, dass die Banken in die Schranken weist." Vor allem, dass die BGH-Richter die Risikoaufklärung durch die Hamburger Sparkasse als ausreichend einstuften, empfindet sie als Hohn. "Wir wussten lange Zeit nicht, dass wir ein Papier von Lehman Brothers hatten. Im Depotauszug tauchte das Wertpapier als Rentenfonds auf."

Der BGH hatte gestern die Schadenersatzklagen von zwei Kunden der Hamburger Sparkasse zurückgewiesen. Sie hatten mit Lehman-Papieren jeweils 10 000 Euro verloren. Die Sparkasse habe beim Verkauf der Papiere ihre Beratungspflichten nicht verletzt (Az.: XI ZR 178/10 und XI ZR 182/10).

Was bedeutet das Urteil für die geschädigten Lehman-Anleger?

Ihre Chancen auf eine Entschädigung durch die Banken sinken deutlich. "Die Bereitschaft zu weiteren Klagen wird drastisch abnehmen", sagt Edda Castelló von der Verbraucherzentrale Hamburg. Auch der Wille der Banken, mit Anlegern Vergleiche zu schließen, könnte schwinden, weil sich die Geldinstitute jetzt in einer gestärkten Position sehen. "Bisher war die Bereitschaft zu Vergleichen hoch", sagt der Hamburger Anwalt Ulrich Husack, der mehrere Hundert Geschädigte vertritt. Bei unteren Gerichtsinstanzen, die bisher häufig zugunsten der Anleger entschieden haben, wird das Urteil ebenfalls seine Wirkung hinterlassen, erwartet der Hamburger Anwalt Peter Hahn. Dennoch könne daraus nicht abgeleitet werden, dass jede Klage chancenlos sei. "Aber in künftigen Verfahren muss wieder stärker auf die individuelle Beratungssituation eingegangen werden", sagt Husack. Für den Kunden steigt so damit das Risiko, dass er eine Falschberatung Jahre später nur schwer beweisen kann. Beim BGH sind noch rund 40 andere Fälle anhängig, die durchaus zu anderen Urteilen führen können.

Wie reagiert die Hamburger Sparkasse auf das Urteil?

Die Haspa geht gestärkt aus dem Verfahren hervor. Sie hatte freiwillig die Verjährungsfrist von drei auf fünf Jahren verlängert und damit eine Klagewelle riskiert, wenn sie jetzt verloren hätte. "Wir bedauern, dass es überhaupt zu diesem Verfahren gekommen ist", sagt Haspa-Sprecherin Stefanie von Carlsburg. "Aber wir mussten höchstrichterlich klären lassen, dass uns nicht nachträglich Pflichten auferlegt werden, die es vor der Finanzkrise noch nicht gab." Damit meint sie vor allem eine Aufklärung über die Gewinnmarge, die der BGH klar verneint hat. "Als Lehre aus der Finanzkrise klären wir aber jetzt über die Marge und auch die fehlende Einlagensicherung bei Zertifikaten auf", sagt von Carlsburg.

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Warum sieht der BGH keine Aufklärungspflicht über die Gewinnmarge?

Die Gewinnmarge wird nicht gleichgestellt mit sogenannten Kick-Back-Provisionen. Das sind Rückvergütungen, die Banken zum Beispiel von Fondsgesellschaften nachträglich für den Verkauf von deren Produkten erhalten. Darüber muss die Bank aufklären. Das fordert der BGH seit Jahren. Die Haspa hatte sich ihren Gewinn schon beim Einkauf gesichert, indem sie die Zertifikate günstiger erwarb, als sie sie an die Kunden weiterverkaufte.

Das wird als sogenanntes Festpreisgeschäft bezeichnet. Der Kurs steht schon vor Erwerb für den Kunden fest. "Die Bank ist hier in einer besonderen Doppelrolle als Beraterin und Verkäuferin, ohne dass der Kunde das erkennen kann", sagt Husack. "Es ist deshalb sehr überraschend, dass der BGH keine besondere Aufklärungspflicht sieht." Der Kauf von Fondsanteilen ist dagegen ein Kommissionsgeschäft. Der Kurs richtet sich nach dem tagesaktuellen Preis. Doch diese Unterschiede sind für den Kunden kaum wahrnehmbar. "Wenn der BGH jetzt solche Unterschiede bei der Offenlegung von Provisionen oder Margen macht, öffnet er für die Banken ein Einfallstor", sagt Hahn. "Jedes Kommissionsgeschäft lässt sich auch als Festpreisgeschäft handhaben und schon müsste nicht mehr über Vergütungen aufgeklärt werden."

Was können geschädigte Anleger jetzt noch tun?

In laufenden Verfahren können nur die Anwälte der Kunden die weiteren Erfolgsaussichten beurteilen. Wer bisher noch keine Maßnahmen ergriffen hat, die Verjährung zu verhindern, dürfte ohnehin ein Problem haben, Denn die Verjährung greift drei Jahre nach dem Erwerb der Papiere. Die meisten der 50 000 Anleger werden folglich auf ihrem Schaden sitzen bleiben.