Amazon schweigt. Diese Sturheit ist die übliche Strategie des größten Online-Buchhändlers im Umgang mit der Öffentlichkeit. Diesmal ist es besonders schade. Denn so weiß niemand, ob der „Kindle“ ein Erfolg oder ein Flop ist und ob er auch nach Deutschland kommt. Die Zigarrenkiste mit dem seltsamen Namen ist das erste Lesegerät für elektronisch übertragene Bücher, das Chancen am Markt hat: Amazon vertreibt den Mini-Computer in den USA und versorgt die Kunden auch mit Lesestoff. Angeblich sollen dort 50.000 Kindles verkauft worden sein.
Allein das hat die deutschen Verlage nun auch in Aufruhr versetzt. Ihnen könnte bevorstehen, was die Musikindustrie gerade hinter sich hat. Wenn Bücher digital werden, könnte das einzelne Exemplar seinen Wert verlieren, massenhaft illegal kopiert werden und eine altehrwürdige Branche in den Abgrund stürzen. Ob Kindle oder nicht (das Wort bedeutet „entfachen“) – das digitale Buch ist auch hier zu Lande ein Reizthema.
Telekom plant eigenen E-Book-Reader
Anfang des Monats wurde bekannt, dass die Telekom einen eigenen E-Book-Reader „News4Me“ plant, der aber vor allem zum Zeitunglesen gedacht ist. Details gibt es auch dort noch keine. Beim Börsenverein des deutschen Buchhandels ist man sicher: Spätestens im nächsten Sommer soll das Geschäft mit E-Büchern anlaufen, zurzeit hindern nur noch technische Probleme daran. Denn niemand mag an seinem PC Bücher lesen.
Also muss ein Lesegerät her, ein Mini-Computer, der das digitale Buch anzeigt. Versuche gibt es seit Ende der Neunzigerjahre, Lesegeräte wie das „Rocket E-Book“ sind grandios gefloppt. Ändern könnte sich das nun mit dem so genannten elektronischen Papier (oder „E-Ink“).
Das sind neue Bildschirme, die nicht von hinten beleuchtet werden müssen und klar wie eine Postkarte aussehen. Die Schrift ist aus jedem Blickwinkel zu erkennen und auch in der Sonne am Strand lesbar. Energie wird nur beim Umblättern verbraucht, die Akkulaufzeit der Geräte kann leicht zehn oder zwanzig Stunden erreichen.
Volltextsuche ist der große Vorteil des E-Buchs
„Das mag wie ein technisches Detail klingen, ist aber sehr wichtig“, sagt Ronald Schild, Geschäftsführer des Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels. Die Tochterfirma des Börsenvereins engagiert sich gerade für das E-Book. Ihr erstes Projekt ist die Internetseite „libreka!“, auf der man schon heute rund 50.000 Bücher durchsuchen kann – die Volltextsuche dürfte tatsächlich der große Vorteil des E-Buchs sein.
Das weiß jeder, der etwa bei Kant einmal die Stelle wiederfinden wollte, wo er den Witz macht mit der Zeile „der eine melkt den Bock, der andere hält ein Sieb unter“. Oder irgendetwas Ähnliches, das man im Kopf hat, aber beim Blättern einfach nicht fand.
Später sollen Interessierte auf Libreka.de dann auch die digitalen Bücher kaufen können. Schon jetzt bietet Amazons Tochterfirma „Mobipocket.com“ elektronische Bücher für Handheld-Computer und Handys an.
„Wie gut das Angebot wird und wie viel verfügbar ist, hängt von den Verlagen ab“, sagt Schild über libreka. Man könnte sich am Anfang eine verwirrende Lage vorstellen, in der etwa Kiwi mitmacht, Suhrkamp aber nicht, dann gäbe es zwar Nick Hornby digital, aber keinen Cees Noteboom.
Der Buchhandel will dabei sein
Zurzeit geht es dem Buchhandel offenbar darum, überhaupt dabei zu sein. „Die Musikindustrie hat sich am Anfang gegen die Neuheiten der Digitalisierung gewehrt und ist deswegen in massive Probleme geraten“, sagt Schild. „Wir wollen von Anfang an dafür sorgen, dass die Verlage eine Plattform für ihr digitales Angebot haben. So wird der Kunde vielleicht gar nicht auf die Idee kommen, sich illegal zu versorgen.“
Die deutschen Verleger sind alarmiert und diskutieren das Thema derzeit auf jeder ihrer gemeinsamen Sitzungen. Der Einschnitt sei „so dramatisch wie die Erfindung der Buchdruckerkunst“, sagte Helge Malchow von Kiwi kürzlich dem Brachenmagazin Buchmarkt. „Alles Neue ist immer Chance und Bedrohung“, meint dagegen eine gelassene Antje Kunstmann. Doch ein Problem sieht die Verlegerin auch: „Das gedruckte Buch wird dadurch nicht komplett ersetzt, aber die gedruckten Auflagen werden mit ziemlicher Sicherheit sinken.“
Während es in den USA neben dem Kindle auch ein E-Book-Reader von Sony gibt, ist der deutsche Markt noch unberührt. Eine Berliner Firma arbeitet im Stillen an einem ganz neuen Lesegerät, und Amazon wird womöglich doch noch seinen Kindle nach Deutschland bringen – Gerüchte wollen von einer Einführung zur Buchmesse 2008 wissen.
Franzosen und Holländer lesen per iLiad
In Europa gibt es noch das iLiad, auf dem Franzosen und Holländer bereits ihre Zeitung lesen können. Als Format setzt sich gerade „epub“ durch, eine Variante von XML und HTML, den Dokumentsprachen, in denen Webseiten kodiert sind.
Amazon benutzt in den USA für seinen Kindle allerdings ein eigenes Netz und ein eigenes Dateiformat, Fremddokumente (PDFs) sind nur mit einigem Aufwand in den Apparat hineinzubekommen. So kündigt sich der gleiche Wildwuchs an, der die Musikindustrie einst verwirrte – neben MP3 gab es WAV und das freie OGG, Apple hat sein eigenes Format MP4.
Mancher wollte digitale Rechtsschranken einbauen („DRM“), mancher nicht. Die Kunden haben das Durcheinander ignoriert und illegal gehört. Die entscheidende Lehre daraus könnte sein, dass sich solches Chaos leider gar nicht vermeiden lässt – und man sich am besten direkt auf das Schlimmste einstellt.
Doch zurzeit können kulturkonservative Bibliophile nur noch darauf hoffen, dass die Leser einfach nicht bereit sind, ihre Krimis auf einem kleinen Bildschirm anzusehen und auf Kulturtechniken wie das Regal zu verzichten. „Der Erfolg von iPod und iPhone zeigt aber, dass die Menschen auf elektronische Medien umsteigen“, sagt Schild. Dazu müssten diese nur einigermaßen sexy wirken. Wie eben der iPod.
Das letzte klassische Medium wird digitalisiert
Mit dem Buch wird nach Musik, Kino und Hörspiel dann das letzte klassische Medium digitalisiert. Auf den ersten Blick bleibt vieles gleich – schließlich sind auf dem E-Book-Reader dieselben Sätze zu sehen wie im gedruckten Exemplar. Allerdings wird dann erstmals auch für das Buch alles virtuell – der Schriftsteller tippt es auf seinem Laptop, der Verlag bearbeitet es im Layout-Programm, Kunden lesen es auf dem tragbaren Bildschirmchen.
Der Kulturphilosoph Jean Baudrillard hat in seinem letzten Aufsatz, den er 2007 kurz vor seinem Tod verfasste, noch einmal in den grellsten Farben vor solcher umfassenden Virtualisierung gewarnt. „Die äußerste Gewalt, die dem Bild angetan wird“, schrieb er, „ist die des synthetischen, computergenerierten Bildes, das ex nihilo aus dem digitalen Kalkül des Computers hervorgeht.“ Und zog daraus den Schluss: „Diese Welt braucht uns nicht mehr, und unsere Vorstellung genausowenig.“
Er sprach von Bildern, aber der Vorgang ist bei Musik und Buch analog. Natürlich ist es längst zu spät, ihn abzuwenden. Auch Baudrillard wird gewusst haben, dass er sich nicht davor retten kann. Seine frühen Aufsätze sind schon komplett als E-Book verfügbar.
Die Zukunft sieht vielleicht wirklich aus wie in Filmen von Stanley Kubrik – dort hat man ja auch noch nie ein Regal in den kühlen Räumen gesehen.
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