Aldag sagt, wie das Wüstenstrom-Projekt in der Hansestadt entstand und warum E.on und RWE Partner sind.

Hamburg. Es ist ein kühner Plan. Solar- und Windkraftwerke in den Wüstengebieten Nordafrikas und Arabiens sollen bis zum Jahr 2050 rund ein Sechstel des gesamten europäischen Strombedarfs decken und den sonnenreichen Regionen selbst die nötige Energie für den wirtschaftlichen Aufschwung liefern. "Desertec" heißt dieses Projekt, das in Hamburg erdacht und angeschoben wurde. Der Manager Jörn Aldag gehörte Ende 2008 zu den Gründern der Desertec-Stiftung. Ende Oktober folgte in München die Gründung der Desertec-Industrie-Initiative.

Hamburger Abendblatt: Herr Aldag, das Projekt Desertec stammt aus Hamburg. Wie kam es dazu?

Jörn Aldag: Die Idee stammt von dem Physiker Gerhard Knies, einem früheren Professor am Hamburger Forschungszentrum Desy. Nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl wurde ihm klar, dass es immer menschliches Versagen geben würde und dass man die Folgen dessen im Falle der Atomkraft der Menschheit nicht zumuten kann. Sein zweiter Kerngedanke war, dass man in den Wüstengebieten der Erde innerhalb von sechs Stunden so viel erneuerbare Energie einsammeln kann, wie die Menschheit in einem Jahr verbraucht. Im Jahr 2003 initiierte er ein informelles Netzwerk, dem auch der Club of Rome, der Hamburger Klimaschutz-Fonds und das Nationale Energieforschungszentrum von Jordanien angehörten. Daraus ging später die Desertec Foundation hervor und Ende Oktober die Desertec Industrial Initiative.

Abendblatt: Es gibt auf der Welt nicht nur die Atomkraft, sondern auch Kohle, Erdöl und Erdgas.

Aldag: Abgesehen vom Klimawandel: Die fossilen Energien werden in den kommenden Jahrzehnten verbraucht sein, wenn wir weitermachen wie bisher. Und der Rohstoff Uran für die Atomkraft reicht nicht weiter als 200 Jahre.

Abendblatt: Warum braucht ein Projekt, das die Energieversorgung fundamental verändern könnte, die Inspiration von Idealisten? Warum kam der Anstoß dazu nicht aus der Wirtschaft?

Aldag: Der Ansatz der Desertec Foundation war und ist nicht, das zu initiieren und zu tun, was möglich ist, sondern das, was notwendig ist. Das macht einen gewaltigen Unterschied. In Politik und Wirtschaft gibt es immer partikulare Interessen. Ein Problem wie die Energieversorgung muss man von einer anderen Perspektive aus betrachten.

Abendblatt: Wie kamen Sie selbst zum Projekt Desertec?

Aldag: Die Idee von Desertec hat mich sofort überzeugt. Anders als zum Beispiel in der Biotechnologie handelt es sich ja hier nicht um ein riesiges Innovationsprojekt, sondern um eine Idee, für deren Verwirklichung alle technologischen Voraussetzungen bereits existieren. Das Konzept muss nur umgesetzt werden. Dafür braucht es Unterstützung von Menschen, die verstehen, dass die Rettung der Welt das größte Geschäft der Zukunft sein wird. In der Stiftung sind wir der Überzeugung, dass wir diese Unterstützung nicht primär in der Politik finden, weil man dort in zu kurzen Horizonten denkt. Man muss das mit der Industrie machen - auch, weil man dort gewinnorientiert arbeitet.

Abendblatt: In der Desertec Industrial Initiative, die am 31. Oktober gegründet wurde, findet sich eine bunte Mischung großer Unternehmen, darunter E.on und RWE, die HSH Nordbank, die Deutsche Bank, die Münchener Rückversicherung oder Siemens. Wie kam es zu diesem Kreis?

Aldag: Die Münchener Rückversicherung hat den Aufbau der Desertec Industrial Initiative maßgeblich vorangetrieben. Klar war: Dies ist ein Projekt mit einem Investitionsvolumen von 400 Milliarden Euro, mit dem bis zum Jahr 2050 rund 15 Prozent des europäischen Strombedarfs und die Energieversorgung der beteiligten Regionen in Nordafrika und Arabien gedeckt werden soll. Dazu braucht man eine große Spannbreite von Unternehmen, die wirtschaftliche Interessen an der Finanzierung, am Aufbau, am Betrieb großer Solar- und Windparks im Süden haben.

Abendblatt: Hängen die Fortschritte des Desertec-Projekts auch mit dem wachsenden Druck beim Klimaschutz zusammen? In Kopenhagen tagt ja Anfang Dezember ein entscheidender Gipfel, um einen Nachfolgevertrag für das Kioto-Protokoll zu schließen.

Aldag: In Kioto sind Ziele gesetzt worden, die die beteiligten Staaten seither auf nationaler Ebene verfolgen. Das Problem des Klimawandels muss aber global gelöst werden. Wenn die Staatengemeinschaft den globalen Temperaturanstieg bei zwei Grad begrenzen will - gemessen an der vorindustriellen Zeit -, dann bleiben der Welt dafür beim Eintrag von Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre noch 25 Jahre Zeit. Diese Dringlichkeit ist aus meiner Sicht weder in Kioto deutlich geworden, noch wird sie in Kopenhagen sichtbar werden.

Abendblatt: Welcher Ansatz verspricht denn beim Klimaschutz aus Ihrer Sicht Erfolg?

Aldag: Am meisten vermutlich ein "Pro-Kopf-Modell", bei dem jedem Menschen auf der Welt der gleiche CO2-Ausstoß zugestanden wird, verbunden mit weltweit gültigen Senkungszielen. Die ärmeren Staaten mit hoher Bevölkerungszahl hätten dann vergleichsweise viele CO2-Rechte. Die Industriestaaten mit hohem Energieverbrauch könnten den Schwellenländern Emissionsrechte abkaufen, falls sie mit ihren eigenen Budgets nicht auskommen. Damit hätte man auch einen finanziellen Transfer in ärmere Regionen, damit dort eine moderne Energieversorgung aufgebaut werden kann.

Abendblatt: Die Länder, auf die sich Desertec konzentriert, sind größtenteils autoritär regierte Staaten. Soll sich Europa in eine neue Energie-Abhängigkeit von Nordafrika begeben?

Aldag: Ist Europa nicht heute schon hochgradig abhängig von Energie-Importen aus Russland oder vom Persischen Golf? Eine Importabhängigkeit wird sich aus heutiger Sicht nicht vermeiden lassen. Dann aber würde ich Sonnenenergie dem Erdöl vorziehen. Denn es gibt mehr Länder und Standorte, in denen man Solarenergie gewinnen kann, als es relevante Lieferländer für Erdöl oder Erdgas gibt.

Abendblatt: Gesellschafter der Desertec Industrie-Initiative sind unter anderem E.on und RWE, die jahrelang nicht unbedingt als Unterstützer erneuerbarer Energien galten. Macht man da nicht den Bock zum Gärtner?

Aldag: Nein, es ist gut, dass diese Unternehmen dabei sind. Die Energiekonzerne transportieren den Strom zum Verbraucher, und diese Transportleistung braucht ja auch Desertec. Natürlich wird es mit einer neuen Infrastruktur auch ein neues Machtgefüge am Energiemarkt geben. Und natürlich werden sich Stromkonzerne gegen den Verlust von Einfluss sträuben. Aber ohne diese Unternehmen geht es nicht.

Abendblatt: Stehen E.on und RWE nicht von vornherein in Konkurrenz? Das ist ja so, als würden Volkswagen und Opel gemeinsam neue Autos entwickeln.

Aldag: Es geht darum, die grundlegende Machbarkeit der Projekte darzustellen. Bei der physischen und kommerziellen Umsetzung werden die Unternehmen später wieder ihre eigenen Interessen verfolgen.

Abendblatt: Welche Rolle wird die Desertec-Stiftung in Zukunft spielen, die auch Gesellschafter der Industrie-Initiative ist?

Aldag: Hauptsächlich wird sie Sachverwalter der Desertec-Idee bleiben und sich für deren Realisierung einsetzen.

Abendblatt: Haben Sie mal erwogen, das Fach in Richtung erneuerbare Energien zu wechseln?

Aldag: Ich bin mit großer Freude Biotechnologie-Unternehmer und engagiere mich in meiner Freizeit für Desertec.