Der Online-Händler Amazon verkauft in den USA schon mehr elektronische Bücher als gebundene Werke. Deutsche Angebote sind noch rar.

Hamburg. Pu, den Bären, mag eigentlich jeder. Kinder lieben den tapsigen Bewohner aus dem Hundertmorgenwald wegen seiner Tollpatschigkeit und seinem nie versiegenden Hunger auf Honig. Erwachsene schätzen hingegen den hintergründigen Witz, mit dem der Autor A. A. Milne sein berühmtes Kinderbuch versehen hat. Wohl deshalb hat sich der Computerhersteller Apple entschieden, jedem Käufer eines iPads eine elektronische Ausgabe von Winnie Pus Abenteuern zu schenken.

Wer den Online-Buchladen iBooks zum ersten Mal auf dem Flachrechner öffnet, findet das bärige Werk dort bereits vor. Das Stöbern durch die illustrierte Ausgabe gestaltet sich dann ganz wie bei einem "richtigen Buch": Man kann Lesezeichen setzen und beim Umblättern raschelt es leise aus dem Computerlautsprecher. Die Verführung zum elektronischen Lesen scheint aufzugehen. 3,3 Millionen iPads hat Apple in den ersten drei Monaten nach der Markteinführung abgesetzt. Neben dem Mobiltelefon iPhone ist das Gerät der größte Wachstumstreiber des Konzerns. Und auch sonst befinden sich elektronische Bücher auf dem Vormarsch. Gerade meldete der weltgrößte Online-Händler Amazon, er verkaufe in den USA schon mehr E-Books als gedruckte Bücher mit festem Einband. Im vergangenen Monat kamen auf 100 abgesetzte Hardcover-Ausgaben 180 elektronische Bücher, wie das Unternehmen mitteilte. In der ersten Jahreshälfte habe sich der Verkauf im Vergleich zum Vorjahr verdreifacht, so der Internetriese. Und das, obwohl kostenlos angebotene E-Books, zum Beispiel solche, bei denen die Urheberrechte ausgelaufen sind, gar nicht mitgezählt wurden.

Preissenkung bei Amazon für das Lesegerät von Kindle

Der Erfolg von Amazon ist nach Ansicht von Experten vor allem durch die gelungene Platzierung des eigenen elektronischen Lesegeräts Kindle zu erklären, das der Konzern zuletzt drastisch im Preis gesenkt hatte. Der Konzern verkauft das Einstiegsmodell für einen Preis von 189 Dollar, wer es in Deutschland bestellt, muss dafür rund 200 Euro hinblättern. Dafür erhält der Nutzer ein Gerät mit einer Akkulaufzeit von bis zu zwei Wochen, auf das sich elektronische Bücher über eine drahtlose Internetverbindung direkt herunterladen lassen. Der schwarz-weiße Bildschirm ist zwar Meilen von den Darstellungsmöglichkeiten eines Apple-Screens entfernt, zeigt Text dafür aber ähnlich augenschonend an wie auf bedrucktem Papier.

Trotz dieser vielversprechenden Ansätze steht der Durchbruch der elektronischen Bücher in Deutschland allerdings noch aus. Das große Problem sind bislang die Inhalte. So sind für Amazons Kindle zwar 420 000 englischsprachige Titel verfügbar, jedoch nur vereinzelte deutsche Buchtitel. Wie wenig der US-Riese bislang auf den deutschen Markt setzt, zeigt die Tatsache, dass sich das Lesegerät nur als Direktimport aus den Vereinigten Staaten bei Amazon bestellen lässt. Bei Apple sieht die Versorgung mit deutschsprachigem Lesefutter zwar etwas besser aus. In iBooks finden sich beispielsweise aktuelle Thriller wie die Millenium-Trilogie des skandinavischen Bestseller-Autors Stieg Larsson oder die Werke des Vielschreibers Ken Follett. Doch auch hier machen die deutschen Titel nur einen Bruchteil des englischsprachigen Angebots aus.

Viele deutsche Bestseller sind als E-Books nicht verfügbar

"Die Kunden erwarten einfach, dass sie alle aktuellen Bücher, die die Bestsellerlisten dominieren, auch in elektronischer Form vorfinden", sagt die Sprecherin der Buchhandelskette Thalia, Mirjam Berle, dem Abendblatt. "Das ist bisher aber leider nicht gegeben." Schuld sei unter anderem die zurückhaltende Veröffentlichungspraxis der Verlage, die sich unter anderem wegen urheberrechtlicher Bedenken scheuten, die Werke ihrer Autoren im Netz bereitzustellen.

Thalia gehört zu den Buchhandelsketten, die sich dem Thema E-Books bislang am stärksten geöffnet haben. Über die eigene Internetplattform vertreibt das Unternehmen "eine fünfstellige Zahl" an Buchtiteln in elektronischer Form, hält sich aber - wie die meisten Wettbewerber - mit genauen Zahlen zurück. Als Lesegerät für die E-Books setzt man bei Thalia vor allem auf die E-Reader des japanischen Konzerns Sony, deren Darstellung mit elektronischer Tinte der von Amazons Kindle ähnelt. Die Verkaufszahlen der Sony-Geräte bei Thalia seien durchaus ermutigend, sagt die Unternehmenssprecherin, will aber auch hier nicht ins Detail gehen. "Der deutsche Markt für E-Books liegt derzeit rund drei Jahre hinter dem amerikanischen zurück", meint Ronald Schild, Chef von Libreka.de, der E-Book-Plattform des deutschen Buchhandels. Dies habe einerseits mit der deutlich früheren Einführung von Amazons Kindle zu tun, aber auch mit großen, strukturellen Unterschieden.

Traditionelle Buchläden gibt es in den Vereinigten Staaten kaum noch

"In den USA gibt es kaum noch Buchläden im klassischen Sinn wie in Deutschland." Viele Amerikaner seien daher darauf angewiesen, Bücher im Versand zu bestellen, auf die sie dann wegen der großen Entfernungen oft mehrere Tage warten müssten. "Da haben E-Books, die man sich direkt auf sein Lesegerät laden kann, einfach einen enormen Wettbewerbsvorteil."

Trotz des großen Vorsprungs glaubt Schild aber daran, dass sich die E-Books auch in Deutschland durchsetzen werden. "Wir erwarten in den kommenden Monaten eine Flut neuer, attraktiver Lesegeräte. Das wird den elektronischen Büchern einen großen, neuen Schub geben."