In japanischen Büros wissen Männer in Kleiderdingen, wo es lang geht. Dort regt sich niemand mehr auf, wenn die Männer bei schwülen Temperaturen kurze Hemden tragen und ihr Sakko ablegen. Im Gegenteil: Es wird ihnen per Gesetz vorgeschrieben, und zwar der Umwelt zuliebe: Wenn die Klimaanlagen nicht auf Anschlag laufen müssen, wird Energie gespart. Ein ähnlicher Gedanke trieb auch den spanischen Industrieminister Miguel Sebastian um, als er Anfang Juli „oben ohne“, nämlich ohne Schlips, zur Parlamentssitzung erschienen war. Nur löste er damit einen bizarren Streit über die Kleiderfrage aus – und die spanische Arbeitswelt reagierte verwirrt: Wie viel darf Mann oder Frau ablegen, wenn das Thermometer mehr als 30 Grad anzeigt?
In Spanien hat der Krawattenstreit immerhin in manchen Unternehmen eine Lockerung der Kleiderordnung durchgesetzt. Selbst konservative Branchen geben sich nun großzügig: So darf der Rezeptionist einer großen Hotelkette durchaus ohne Schlips und Sakko die Gäste empfangen. Sogar eine spanische Bank gestattet ihren Angestellten fortan ein luftigeres Outfit.
Bei uns laufen die Klimaanlagen zwar nicht immer auf Hochtouren, doch der Dresscode bleibt selbst bei hochsommerlichen Temperaturen rigide. Zumindest in großen Unternehmen, in Banken, Sparkassen und Anwaltskanzleien.
Darf eine Frau bei 30 Grad auf Strümpfe verzichten? Das ist stets die erste Frage, die Stilberater Jan Schaumann seinen Seminarteilnehmern stellt. Ungeachtet der Form der Beine, sind die Antworten meistens falsch, der Berliner Schaumann ist streng. Für unbestrumpfte Damenbeine und Männer in kurzärmeligen Hemden hat der Experte in Kleiderfragen kein Verständnis. „Wenn mir ein Bankangestellter im kurzen Hemd eine Anlage verkaufen will, dann lache ich mich doch kaputt!“ Kurze Hemden und kurze Hosen seien nur für kleine Jungen. „Wenn von zehn Kunden auch nur einer pikiert ist, dann muss der Mitarbeiter seine Kompetenz in Frage stellen“, betont Schaumann, es käme auf die Erwartungshaltung an. „Klar ist, wer sich nicht standesgemäß kleidet, muss in der Regel härter arbeiten, um als kompetent wahrgenommen zu werden. Warum sollte man das wollen und sich das antun?“
Die Strümpfe beim Herrn müssen dunkler sein als die Anzugfarbe
Nur im eigenen Büro können Männer Sakko und Krawatte an den Haken hängen und die langen Ärmel hochkrempeln, empfiehlt Schaumann. Sobald sich Kundenbesuch ankündige, sollte beides schnell wieder zur Hand sein. Vor allem gilt: Je höher der Mitarbeiter in der Firmenhierarchie steht, desto formvollendeter erwartet ihn der Kunde. Von der Geschäftsleitung erwartet er ein Jackett bei Männern, bei Frauen einen Blazer – Punkt. Der Rock muss grundsätzlich das Knie bedecken. Sind der Dame an den Beinen klebende Nylons unangenehm, trägt sie eben lange Hosen.
Männer haben es insofern einfacher als Frauen, dass es über den Dresscode kaum offene Fragen gibt: Er trägt Anzug, und zwar vornehmlich in Dunkelblau oder Dunkelgrau. Ob er im Sommer schon mal auf helle Farben ausweichen darf, darüber scheiden sich die Geister. So trug der ehemalige brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm im Sommer gerne hellblaue Anzüge. Schaumann findet das unpassend. „Hellbeige oder Khaki zeugen von gutem Geschmack der Träger“, sagt dagegen Uwe Fenner vom Institut für Stil und Etikette in Potsdam. „Doch sollten die Strümpfe immer eine Nuance dunkler sein, als der Anzug, am besten liegen sie farblich zwischen Hose und Schuhen.“ Bei einem hellgrauen Anzug und schwarzen Schuhen empfiehlt Fenner dunkelgraue Strümpfe. Und die sollten grundsätzlich und immer so lang sein, dass niemals das nackte Bein zu sehen ist: Der Mann trägt auch im Hochsommer Kniestrümpfe. Bei vielen jüngeren Männern hat sich im Sommer eine Lässigkeit durchgesetzt: Sie tragen keine Krawatte, der oberste Hemdknopf des Businesshemdes ist geöffnet. „Das geht in Ordnung“, meint Fenner, „aber auf gar keinen Fall ist es erlaubt, die Krawatte auf Halbmast herunter zu ziehen.“
Und wie sieht es aus, wenn kein Kundenkontakt den Alltag bestimmt? Auch dann ist längst nicht alles erlaubt, was so über die Büroflure schlurft. Kurze Hosen und Sandalen? Man mag es kaum fragen. „Niemals“, sagt Fenner, „nicht einmal in der Freizeit trägt der feine Herr Sandalen oder Sandalen-ähnliche Schuhe – allenfalls am Strand.“ Nicht einmal auf dem Weg dort hin. Auch Frauen sollten auf offenes Schuhwerk verzichten: „Nackte Zehen sind Privatsache – egal ob sie lackiert sind oder nicht“, sagt auch Stilberater Schaumann.“ Vorne trägt auch die Frau geschlossenes Schuhwerk, hinten dürfen Riemchen sein.
Je größer die Veranstaltung, desto größer darf das Dekolleté sein
Auch Frauen haben einiges zu beachten: die derzeit so häufig gesehenen rückenfreien Hemdchen über einem buntem Bikini-Top sind ebenso verboten wie zu kurze Röcke. In der Minirockfrage gilt immer die Faustregel der Personalchefs: Der Rock muss maximal eine Hand breit über dem Knie enden. Und Strümpfe sind in dem Fall für die Trägerin ein Muss. Für Ausschnitte gilt immer noch die Regel, die der Berliner Soziologe Georg Simmler schon zu Beginn des vorigen Jahrhunderts aufgestellt hat: Je größer die Veranstaltung, desto größer darf das Dekolleté sein. Angela Merkel geht mit gutem Beispiel voran: Im Büro trägt sie hoch geschlossen, in der Oper gerne mal tief ausgeschnitten.
Das weibliche Business-Outfit sieht vor, dass die Schultern bedeckt sind. In weniger offiziellen Unternehmen wird das nicht so eng gesehen. Leider gilt: Wie Frauen aussehen, was sie tragen, wird vom Gegenüber stärker wahrgenommen als das Outfit männlicher Kollegen. Elisabeth Bonneau vom Deutschen Knigge-Rat empfiehlt Frauen schon aus Gründen des Selbstschutzes nicht zu offenherzig aufzutreten. „Eine Frau, die ihre weiblichen Reize zeigt, läuft Gefahr, dass man ihr mangelnde Kompetenz unterstellt.“ Kleider müsse man immer unter dem Aspekt betrachten: Was sieht der andere? Aus diesem Grund können auch weiße Röcke oder Hosen schwierig sein: Oft sind sie aus dünner Baumwolle gefertigt und lassen nur allzu leicht das Darunter erahnen. String-Tangas auf Abwegen lenken nur unnötig von der Persönlichkeit ab, ebenso wie farbige Büstenhalter, die sich deutlich unter einem weißen T-Shirt oder Bluse abzeichnen. Wer auf weiße Kleidung im Sommer nicht verzichten möchte, der achte also unbedingt auf hautfarbene Unterwäsche.
In einem Punkt sind sich jedoch alle Experten einig: Schlimmer noch, als unpassende Kleidung wird vom Gegenüber übertriebener und unangenehmer Geruch empfunden. Daher gilt: Machen Sie sich zwischendurch frisch. Aber nicht, in dem Sie sich Eiswürfel ins Dekolletee stecken.
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