Die rund 1200 Kilometer lange Nord-Stream-Leitung bringt mehr Versorgungssicherheit für Deutschland und die Nachbarländer.

Hamburg. Die Planungsarbeiten, aber auch die politischen Debatten haben Jahre gedauert. Nun hat der Bau der Nord-Stream-Erdgasleitung durch die Ostsee offiziell begonnen. Am Freitag weihten Politiker und Wirtschaftsvertreter den ersten Abschnitt der insgesamt rund 1200 Kilometer langen Pipeline in der Bucht von Portowaja im Westen Russlands ein. Der russische Staatspräsident Dmitri Medwedew sagte, die Pipeline werde zur Energiesicherheit in Europa beitragen und Erdgas "zu angemessenen und zumutbaren Preisen" liefern. Bundeskanzlerin Angela Merkel schickte eine Videobotschaft zu der Zeremonie: "Für Europa ist dies ein wichtiger Beitrag zur Versorgungssicherheit", sagte sie darin. "Und Russland gewinnt mit verlässlichen Abnehmern in Europa eine hohe Stabilität in der Gasnachfrage."

Die 7,4 Milliarden Euro teure Leitung ist derzeit eines der aufwendigsten Energieversorgungsprojekte in Europa. In zwei Ausbaustufen soll die Pipeline bis zu 55 Kubikmeter Erdgas jährlich von Erdgasfeldern in Westsibirien nach Europa bringen, das entspricht etwa zwei Drittel des gesamten Verbrauchs in Deutschland. Die ersten Lieferungen sollen Ende 2011 beginnen. Die Pipeline geht bei Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern an Land. Von dort wird das Erdgas weiter nach Deutschland und in andere europäische Länder transportiert. Geplant ist auch eine Verlängerung der Leitung nach Großbritannien.

Europa bezieht derzeit rund 25 Prozent seines Erdgasbedarfs aus Russland, in Deutschland sind es mehr als ein Drittel. Die Ostsee-Pipeline ergänzt zwei bestehende Fernleitungen, die aus Russland durch Weißrussland und die Ukraine nach Westeuropa führen. Politischer Streit um die neue Pipeline war vor allem deshalb aufgekommen, weil sich Polen damit umgangen fühlte. Mittlerweile allerdings hat sich das lange Zeit belastete Verhältnis zwischen Polen und Russland entspannt. Zudem wurde in den vergangenen Jahren bei Erdgasstreitigkeiten zwischen Russland und der Ukraine mehrfach deutlich, dass die Europäische Union in solchen Konfliktsituationen ein Problem beim Erdgastransit bekommen kann. Die neue Leitung gilt in dieser Hinsicht als sicher. "Das Projekt bildet die Schnittstelle zwischen dem russischen und dem europäischen Pipelinenetzwerk", sagte Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder bei der Feier am Freitag. Er leitet den Aufsichtsrat der Betreibergesellschaft, die von Gazprom, Wintershall, E.on und Gasunie getragen wird.

Neben dem Nord-Stream-Projekt durch die Ostsee treiben die Europäische Union, verschiedene Nachbarstaaten sowie die beteiligten Energiekonzerne derzeit eine Reihe von Pipelineprojekten voran. Die EU-Kommission ist daran interessiert, dass der in Europa steigende Erdgasbedarf durch eine größere Vielfalt von Exportländern wie auch von Transportleitungen gedeckt wird. So will die EU eine zu große Abhängigkeit von einzelnen Erdgaslieferanten und von Transitländern verhindern.

Das wichtigste Vorhaben neben der Ostsee-Leitung ist das Projekt Nabucco. Die Pipeline wird bei einer Länge von rund 3300 Kilometern nach heutigem Stand etwa acht Milliarden Euro kosten. Sie soll von 2014 an Erdgas aus Zentralasien durch die Türkei, Bulgarien, Rumänien und Ungarn zu einem Knotenpunkt in Österreich transportieren. Mögliche Lieferländer für das Erdgas sind Aserbaidschan und Turkmenistan, im Einzugsgebiet der Pipeline kommen aber auch der Iran und der Irak infrage. Getragen wird das Projekt unter anderem von den Energiekonzernen OMV und RWE. Für RWE arbeitet der frühere Bundesaußenminister Joschka Fischer als Nabucco-Lobbyist.

Russland will dem Nabucco-Projekt Konkurrenz machen und plant eine eigene neue Leitung durch das Schwarze Meer in Richtung Italien und Österreich. Auch bei diesem Projekt wird die Ukraine als Transitland umgangen. Südeuropa wiederum soll in den kommenden Jahren verstärkt mit Erdgas aus Algerien versorgt werden. Zwei Pipelines für den Transport existieren bereits, eine davon soll erweitert werden.

Rainer Seele, Vorstandsvorsitzender von Wintershall, lobte das Projekt der Nord-Stream-Pipeline am Freitag beim Baustart: "Nord Stream ist unser bestes Frostschutzmittel. Bei Transitstreits und politischen Temperaturen unter dem Gefrierpunkt kann diese Pipeline die Lage nachhaltig stabilisieren", sagte er. Auch Jürgen Trittin, der Fraktionschef der Grünen im Bundestag, hob den Sinn der Milliardeninvestition hervor: "Ich halte Gas unter der Maßgabe, dass wir Übergangstechnologien brauchen, die regelbar sind, für vernünftig." Auch das Nabucco-Projekt sei in diesem Zusammenhang zu begrüßen, sagte Trittin dem Radiosender MDR Info. Erdgas ist weniger klimaschädlich als Erdöl und besonders als Kohle. Der flüchtige Energierohstoff ist in Kraftwerken jeder Größe, aber auch in Kolbenmotoren flexibel einsetzbar. Deshalb gilt es als idealer Energieträger beim Übergang vom fossilen und atomaren Energiezeitalter hin zu einer Versorgung, die deutlich stärker als heutzutage auf erneuerbaren Energien basiert. Allerdings ist Europas Abhängigkeit vom größten Erdgasexportland Russland in den vergangenen Jahren stark gestiegen.