Die Kunden werden zu Erfindern

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Maya Heinbockel

Design: Wie Lego, BMW und Microsoft Ideen aus dem Internet nutzen. Fan soll Eisenbahnen für den dänischen Bausteinhersteller kreieren. Unterstützung für Software-Spielentwickler. Firmen suchen Nähe zu Verbrauchern.

Hamburg. Er hat die Dresdner Frauenkirche gebaut, den Stuttgarter Fernsehturm und Venedig. Aus vielen kleinen Lego-Steinen. Holger Matthes ist begeisterter Lego-Fan. "Ich habe 2000 Lego-Elemente im Kopf und sehe die Welt um mich in Lego-Steinen", sagt der 32-Jährige. Allein für die Frauenkirche kaufte er Steine für 4000 Euro. Doch nicht nur der Umsatz macht Matthes für Lego interessant. Jetzt hat das Unternehmen den Fan als externen Mitarbeiter entdeckt. Auf einer Internetseite, auf der er mit anderen Lego-Freunden seine neuesten Entwicklungen präsentiert. "Im März hat mich Lego gefragt, ob ich für sie Eisenbahnen entwickeln kann", sagt Matthes stolz. Die Modelle von ihm und weiteren neun Fans sind vom Frühjahr 2007 an unter dem Namen "designed by lego-fans" erhältlich. "Das ist in etwa so, wie im Spitzenrestaurant mit dem Chefkoch in der Küche zu stehen und ein neues Gericht zu zaubern", schwärmt der Lego-Fan aus Baden-Würtemberg. Entlohnt wurde er mit seiner liebsten Währung: bunten Lego-Steinen.

Immer mehr Unternehmen machen sich die Ideen von Fans wie Holger Matthes oder auch normalen Kunden zunutze. "Viele Lego-Fans sprühen vor Ideen. Da steckt ein unglaubliches kreatives Potenzial", sagt Mads Nipper, Marketingchef von Lego. Das weiß auch BMW. "Der Konsument weiß selbst am besten was er will", sagt Michaela Müller von BMW. "Seine Ideen sind oft der Zündfunke für eine völlig neue Herangehensweise an eine Problemstellung." Konsumenten haben bei BMW schon für mehrere Innovationen gesorgt. Etwa für das Telematiksystem Map to Mobile, das den Standort des Fahrzeugs auf das Handy funkt. Ein Kunde, der als Außendienstler viel mit dem Auto unterwegs ist, hatte die Idee. Und BMW griff begeistert zu - für 175 Euro gibt es die Innovation nun zu kaufen. Für den Fan gab es zwar kein Geld, dafür aber den Ruhm - und endlich sein Wunschprodukt. Um mehr solcher Gedankenblitze zu erhalten, lädt BMW nun technikinteressierte Kunden zu einem Workshop nach München ein und sucht in Internetforen.

Auch der Konsumgüterhersteller Henkel hat den Konsumenten ein neues Produkt zu verdanken. "Eine Verbraucherin erklärte uns, dass sie keinen Spülstein verwendet, weil der auf Gästetoiletten nicht hochwertig aussieht", sagt Friedhelm Stara, Geschäftsführungsmitglied Henkel, "Daraufhin haben wir gemeinsam mit der italienischen Designfirma Alessi den Fresh-Surfer in Form eines Segels entwickelt." Inzwischen gibt es das duftende Designprodukt für die Toilette überall zu kaufen.

Microsoft will seine Kunden mit dem XNA Game Studio Express zur Mitarbeit bewegen. Käufer dieser bald erscheinenden Software können sich ihre eigenen Spiele für die Konsole XBox und für den Computer programmieren. Die Beta-Version konnten sich Fans bereits kostenlos herunterladen. "Wir sammeln Anregungen von interessierten Nutzern im Internet, um XNA noch zu verbessern", sagt Microsoft-Technologieberater Dirk Primbs. Für die Betroffenen ist das eine Ehre, denn normalerweise werde eine Konsolenentwicklung immer sehr geheim gehalten, so Primbs.

Microsoft bricht die Regel jedoch nicht ohne Grund. "Wir wollen nah an der Zielgruppe entwickeln", so Primbs. Und daraus könnte noch mehr entstehen. "Wir könnten uns auch vorstellen, besonders guten Spieleprogrammierern bei der Vermarktung zu helfen", heißt es von Microsoft. Mit einem aktiven Nutzer aus Hannover werde bereits für XNA zusammengearbeitet.

Gerade das Internet ist für Unternehmen inzwischen eine Fundgrube für Ideen. Lego hat Hobbydesigner Matthes im Netz gefunden. Sogar die Software, mit der die Lego-Modellabbildungen auf den Verkaufspackungen erstellt wurden, haben Fans eigenhändig programmiert und im Internet ausgetauscht. "Damit hat sich Lego aufwendige Fotosessions gespart", so Matthes.

Um noch mehr solcher Fans zu finden, sucht Lego weiter im Netz. "Wir haben vor drei Jahren eine Abteilung gegründet, die eng mit den Internetnutzern in Europa und Amerika zusammenarbeitet", sagt Nipper. Auch Microsoft hat allein fünf Mitarbeiter, die sich nur den Wünschen und Fragen der Kunden aus den Internetforen widmen. Mit Microsoft-Unterstützung entstehen so im Internet individuelle Lösungen, die Microsoft gar nicht entwickeln und vermarkten könnte. "Wir können schließlich nicht in alle Richtungen entwickeln", sagt Microsoft-Sprecherin Barbara Steiger. Auch BMW hat auf der eigenen Internetseite eine "virtuelle Innovationsagentur" eingerichtet. Hier können sich kleine Firmen und Tüftler mit einem Formular an den Autohersteller wenden.

Für innovative Kunden, die nicht nur auf die Ehre, sondern auch auf Geld aus sind, gibt es inzwischen mehrere unabhängige Onlineplattformen. Sie heißen Innocentive.com oder Ninesig ma.com und wenden sich an Akademiker und Hobbytüftler, eben die Daniel-Düsentriebs weltweit.

Hier stellen Firmen wie der Konsumgüterhersteller Procter & Gamble, Henkel oder Pharmahersteller Novartis ihre Probleme und Wünsche ins Internet. Wer eine Lösung darauf weiß, wendet sich über die Internetseiten an das Unternehmen. Ist die Lösung gut, wird für sie bezahlt. Offensichtlich hat die Entwicklung erst begonnen. "Künftig ist es denkbar, dass einige Tausend Fans als Amateurdesigner für uns arbeiten", glaubt Lego-Marketingchef Nipper. Dabei könnten sogar ganz neue Linien entstehen.

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