Er war mehr als ein Boxer: Muhammad Ali starb mit 74 Jahren nach langer Parkinsonerkrankung. Die Welt trauert.

    Wenn einer der „Größte“ war, hat es ihm an großen Auftritten nicht gemangelt. Doch einen besonderen Moment für Muhammad Ali, Amerika und den Rest der Welt hätte der ehemalige Schwergewichts-Weltmeister beinahe verpasst. Ali hatte in seiner wandlungsreichen Karriere vor Millionen Menschen geboxt. Er war der globale Athlet schlechthin. Doch als er 1996 bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Atlanta vor einem globalen Milliarden-Publikum das Feuer entflammen sollte, gab es Widerstände.

    Ein Kriegsdienstverweigerer, der seine Goldmedaille von 1960 weggeworfen haben will, der sich sträubte, im Krieg seinem Land zu dienen – der war auserkoren, bei den Coca-Cola-Spielen zum 100. Jubiläum des neuzeitlichen Olympia die Fackel in die zitternde Hand zu nehmen?

    Das konnte nicht sein. Billy Payne vom Organisationskomitee hatte Bedenken. Gerade im konservativen Süden der USA konnte man das eigentlich nicht machen. Payne hatte schon Boxer Evander Holyfield in der Hinterhand, als die Entscheidung doch zugunsten Alis fiel. Und so wackelte der seit 1984 mit der Diagnose der Parkinsonschen Erkrankung lebende Ali über das Podium und entzündete das Olympische Feuer.

    So wie der aufmüpfige Ali in den Sechzigern Amerika gespalten hat, so einte er durch diesen Auftritt das Land der Freien, die Heimat der Mutigen. Es gelang dem berühmtesten Muslim der Welt ein zweites Mal, als er nach den Anschlägen des 11. September 2001 sagte, das hätten Terroristen getan, die nichts mit dem Islam zu tun hätten. Die Uno erkor ihn zum Friedensbotschafter und schickte Ali im Jahr darauf nach Afghanistan.

    In der Nacht zu Sonnabend ist der Mann, der Cassius Marcellus Clay war und diesen „Sklavennamen“ Mitte der 60er-Jahre ablegte, im Alter von 74 Jahren in Phoenix gestorben. Parkinson wurde ihm zum Verhängnis. Eine heimtückische Krankheit, die vermutlich wenig mit seiner Profiboxkarriere von 1960 bis 1981 zu tun hat. Die Schüttellähmung bremste seine Mobilität, löste unkontrolliertes Zittern aus. Er konnte nur schlecht schlucken, das Sprechen kam verzögert, vermurmelt. Zuletzt war eine Blutvergiftung der Todesauslöser. In den vergangenen Jahren war bei

    Sein Geist war aber wach. Auch wenn häufig seine Frau Lonnie und sein Freund, der Fotograf Howard Bingham, für ihn sprachen, so erinnerte sich Ali an seine Karriere, an den Quatsch, den er verzapft hat, gab inhaltlich klare Antworten auf die Fragen, die man ihm stellte. Ihn umgab nach wie vor eine Aura, die man spürte, wenn er im Raum war.

    Der GOAT, der „Greatest Of All Times“ hat das Boxen revolutioniert und die Welt abseits des Rings so nachhaltig verändert wie kein zweiter Sportler. US-Präsident Barack Obama sagte: „Er war ein Mann, der für uns gekämpft hat. Sein Kampf außerhalb des Rings kostete ihn seinen Titel und seinen Ruf. Er brachte ihm viele Feinde und Verunglimpfungen ein, und beinahe wäre er im Gefängnis gelandet. Aber Ali stand seinen Mann. Sein Sieg hat uns geholfen, uns an das Amerika zu gewöhnen, das wir heute kennen.“

    "Kein Vietcong hat mich je Nigger genannt"

    Ali, der wegen seiner Nähe zu den Schwarzen- und Muslim-Aktivisten sogar vom FBI und der NSA überwacht wurde, verweigerte 1967 die Einberufung nach Vietnam. „Ich hab’ keinen Ärger mit dem Vietcong. Keiner von denen hat mich je ,Nigger‘ genannt“, sagte er. Er verlor seine Boxlizenz, wäre fast im Gefängnis gelandet und konnte erst drei Jahre später sein Comeback starten.

    Finanziell wurde es eng, wie mehrfach in seinem turbulenten Leben. In den Sechzigern hatte er die (Box-)Welt mit Siegen über Sonny Liston und Floyd Patterson geschockt. Als er 1970 wieder in den Ring stieg, waren „die Beine weg“, wie Experten und Biografen feststellten. Sein Tempo, der legendäre Speed in Beinen und Fäusten war passé. Die Einzigartigkeit von „Float like a butterfly, sting like a bee“ (Schwebe wie ein Schmetterling, stich zu wie eine Biene) wich einer ruhigeren, taktischeren Kampfführung. Das Ali-Momentum war scheinbar verloren gegangen. Scheinbar.

    Er unterlag in zwei Kämpfen, tingelte umher, ehe er beim „Rumble in the Jungle“ 1974 in Kinshasa (Zaire) vor dem blutrünstigen Diktator Mobutu Sese Seko die Urgewalt von George Foreman mit seiner „Ich steh’ am Seil“-Taktik (Rope-a-dope) stoppte. Foreman powerte sich aus. Ali flüsterte ihm ins Ohr: „George, ist das alles, was du hast?“ Nach acht Runden knockte Ali ihn aus. So wie er Foreman übertölpelte, trickste Ali die vermeintlichen Schlauberger alle aus. Er hatte sogar den Fans und Zuschauern in Zaire weißgemacht, dass er, Ali, jetzt nach Hause, nach Afrika komme, um den WM-Titel zurückzugewinnen.

    Erst in dem Moment, als Foreman aus dem Flugzeug stieg, erkannten die Menschen in Kinshasa, dass auch Foreman Afroamerikaner ist. Foreman hatte seine Schäferhunde dabei, was seine Popularität in Afrika schmälerte. Die Hunde gelten als Symbol der Unterdrückung, weil die Kolonialherren sie früher hielten. Da hatte Ali selbst schon einen afrikanischen Slogan aufgenommen, den die Fans brüllten: Ali, boma ye. Ali, schlag ihn tot.

    Aber Ali führte auch die radikale Schwarzenbewegung aufs Glatteis. Er sollte seinen Trainer Angelo Dundee feuern, wurde ihm einst nahegelegt. Dundee sagte vor einigen Jahren im Abendblatt-Interview, was der Champ den Black Muslims entgegnete: „Angelo ist kein Weißer. Er ist Italiener.“

    Seine Sprüche waren legendär, alle geprobt natürlich, wie Dundee dem Abendblatt verriet. Vor Kämpfen lernte Ali ganze Gedichte auswendig und ratterte als erster Rapper der Sportgeschichte seine Verunglimpfungen herunter. „Ich habe mit einem Alligator gerungen, mit einem Wal gerauft, habe einem Blitz Handschellen angelegt, den Donner ins Gefängnis gesteckt. Letzte Woche habe ich einen Fels ermordet, einen Stein verletzt, einen Ziegel ins Krankenhaus geschickt. Ich bin so fies, dass selbst Medizin krank wird.“

    Ali behauptete so schnell zu sein, dass er den Schalter betätigen könne und im Bett sei, ehe das Licht verloschen ist.

    So sehr er alle überlieferten Gesetze und Konventionen außer Kraft setzte, so schmerzlich waren seine Niederlagen. Die im Ring und die außerhalb. Vier Ehen, neun Kinder – Ali war ein Frauenheld. Oft vertraute er falschen Freunden, umgab sich wie die anderen US-Ikonen Elvis und Frank Sinatra mit einer Horde von Schulterklopfern. Seine Niederlage gegen Leon Spinks im ersten Kampf 1978, dann das verlorene Duell gegen Larry Holmes sowie der letzte Kampf gegen Trevor Berbick auf den Bahamas am 11. Dezember 1981 (Punktniederlage) – musste das sein? Ali wurde ausgebeutet von einer wahren Hydra an Schattenmännern, die einen alternden Superstar bis zum Letzten monetarisieren wollten.

    Der Hamburger Profiboxer Jürgen Blin bekam 180.000 Mark für den Ali-Kampf

    Schon der Kampf gegen den Hamburger Jürgen Blin in Zürich war eine solche Veranstaltung. In Europa war Geld zu holen. Am zweiten Weihnachtstag 1971 knockte Ali den späteren Europameister in der siebten Runde aus. Blin, 73, sagte dem Abendblatt zuletzt, er habe 180.000 Mark für den Kampf bekommen, das konnte er nicht ablehnen. „Das war der einzige Kampf, bei dem ich wusste, dass ich es nicht schaffen kann.“ Ali sei grundsätzlich freundlich gewesen. Die siebte Runde sieht Blin so: „Ich war nicht wirklich k.o., aber er hatte mich erwischt. Ehe ich ganz ausgeknockt wurde, blieb ich einfach liegen.“

    Die Trauerfeier für Ali soll am Freitag in seiner Heimatstadt Louisville (Kentucky) stattfinden, wo ihm einst das Fahrrad gestohlen wurde und er wütend zum Boxen fand. Der frühere US-Präsident Bill Clinton sowie der Komiker Billy Crystal sollen sprechen.

    Muhammad Ali wurden im Laufe seine Lebens Wunder und Fähigkeiten zugeschrieben, die er als zutiefst sensibler, verletzlicher Mensch, der er war, natürlich nie zu leisten imstande war. Weil er so eloquent rüberkam, musste er bereits in den Siebzigern an der Uni Harvard seine gesammelten Weisheiten kundtun. Das schmeichelte ihm natürlich, dass das arrivierte Amerika ihn in seinen Schoß aufnahm, seine Botschaften hören wollte.

    Am Ende einer Veranstaltung mit Professoren und Studenten wurde er mal um ein Gedicht gebeten. Er sollte das Auditorium rappen. Ali sagte das vermutlich kürzeste Gedicht der Literaturgeschichte auf, wie Experten später diskutierten. Nach „Adam had them“, dem bis dato knappsten Reim der bekannten Lyrik sagte Ali langsam: „Me. We.“ Der ex- wie egozentrischste Sportler, den die Geschichte kennt, fasst seine Sicht auf die Welt in zwei Worte. „Ich. Wir.“