Berlin. Ferrero: Der Rückruf von Süßigkeiten ist kein Einzelfall. Warum in Deutschland schon viele Lebensmittel zurückgerufen werden mussten.

Dieser Rückruf hat viele Familien getroffen. Kurz vor Ostern musste Ferrero zahlreiche Schokoladen-Produkte zurückrufen, nachdem Kinder erkrankten, die zuvor Süßigkeiten wie Überraschungseier oder Schoko-Bons gegessen hatten.

Der Grund: Salmonellen in einer belgischen Fabrik des Herstellers. Insgesamt lösten diese Bakterien laut EU-Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ecdc) bislang europaweit rund 190 Infektionen aus, davon 14 in Deutschland. Weitere Erkrankungen konnten durch den massenhaften Rückruf verhindert werden.

Immer wieder verunsichern solche Vorfälle die Verbraucher und werfen die Frage auf: Wie sicher sind unsere Lebensmittel? In Deutschland mussten Behörden in diesem Jahr bis Mitte April schon vor 93 Produkten warnen oder diese wegen Mängeln vom Markt zurückziehen – davon 81 Lebensmittel.

Dies waren fast ein Drittel mehr Beanstandungen als im Vorjahreszeitraum, als 65 Produkte auf „lebensmittelwarnung.de“ gemeldet wurden, berichtet das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) dieser Redaktion.

Rückrufe: Salmonellen und Listerien sind oft ein Grund

Der häufigste Beanstandungsgrund waren mikrobiologische Kontaminationen (16 Fälle) – wie Salmonellen oder Listerien – sowie Verunreinigungen durch Fremdkörper (16 Fälle) wie Glasscherben oder Plastik. Betroffen waren Produkte aller Kategorien – von Wurst, Fleisch, Fisch, Getreide, Backwaren bis hin zu Eis und Schokolade.

Als jüngste Fälle stehen auf dem Portal Warnungen vor einem französischen Ziegenkäse, der mit Bakterien verseucht sein könnten, ein Pflanzenextrakt, in dem Salmonellen nachgewiesen wurden, sowie eine „erneute Ausweitung“ für diverse Schokoladenprodukte von Ferrero der Marke „kinder“, die in einem „mutmaßlichen Zusammenhang mit einem Salmonellen-Ausbruchsgeschehen“ stehen.

Im Fall Ferrero wurde ein Salmonellenbefall in der Produktion im Bereich von zwei Rohstofftanks in dem belgischen Werk in Arlon erstmals am 15. Dezember 2021 festgestellt. Der offizielle Rückruf für Ferrero-Produkte in Deutschland erfolgte am 5. April durch Ferrero und auf dem Portal „lebensmittelwarnung.de“, das von den Bundesländern und dem BVL betrieben wird.

Hintergrund: Rückrufaktion bei Ferrero: Diese Produkte sind betroffen

Ferrero-Rückruf: Betroffene Fabrik ist geschlossen

Konsequenzen für die Verbraucher wurden erst gezogen, als „weitergehende Untersuchungen“ ergaben, dass die in dem belgischen Werk nachgewiesenen Salmonellen „eine genetische Übereinstimmung mit Salmonellen von zahlreichen Erkrankungsfällen in mehreren europäischen Ländern, darunter auch Deutschland aufweisen“, so Ferrero.

„Als uns durch die Zusammenarbeit mit den Lebensmittelsicherheitsbehörden klar wurde, dass es einen Zusammenhang zwischen den Arlon-Funden und den Salmonellenfällen gab, haben wir sofort gehandelt“, berichtet Ferrero auf Anfrage dieser Redaktion. Innerhalb einer Woche sei ein „vollständigen Rückruf“ aller in Arlon hergestellten „kinder“-Produkte“ erfolgt.

Die Fabrik in Arlon wurde geschlossen und soll erst wieder geöffnet werden, „wenn sie von der örtlichen Behörde neu zertifiziert wurde“, so Ferrero. Betroffene Produkte wurden über den Handel aus den Verkaufsregal entfernt, der Preis für gekaufte Produkte erstattet. Ferrero riet zudem allen, die ein solches Produkt bereits gekauft hatten, „es nicht zu verzehren“.

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Die Ferrero-Fabrik im belgischen Arlon wurde nach den Bakterienfunden geschlossen.
Die Ferrero-Fabrik im belgischen Arlon wurde nach den Bakterienfunden geschlossen. © AFP | Eric Lalmand

Rückrufe: BVL-Präsident fordert besseren Datenaustausch

Verbraucherschützer kritisieren, dass die Informationen über die Verunreinigungen verzögert weitergegeben werden. „Während die Behörde in Großbritannien bereits am 2. April Produkte zurückgerufen hat, gab es in Deutschland erst am 5. April Rückrufe“, kritisiert die Verbraucherorganisation Foodwatch.

Zudem wussten „sowohl Ferrero als auch Überwachungsbehörden bereits seit Dezember 2021 von Salmonellen-Funden – trotzdem kam es erst jetzt, fast fünf Monate später, zu öffentlichen Rückrufen“, kritisiert Andreas Winkler von Foodwatch: „Wenn so ein Fehler passiert, muss die Bevölkerung sofort gewarnt werden.“

Die Verbraucherorganisation ist überzeugt: „Eigenkontrollen und Eigenverantwortung der Hersteller reichen nicht aus. Wir brauchen Transparenzpflichten für Behörden, damit Fälle wie Ferrero umgehend öffentlich gemacht werden müssen.“ Lebensmittelhersteller müssten gesetzlich verpflichtet werden, Verbraucherinnen und Verbraucher „sofort auf allen Kanälen deutlich zu warnen“. Schließlich gehe es darum, Gesundheitsschäden zu vermeiden.

Für die Lebensmittelsicherheit sind in Deutschland grundsätzlich die Unternehmen selbst durch Eigenkontrolle verantwortlich. „Sobald ein Unternehmen feststellt, dass von seinen produzierten Lebensmitteln eine Gesundheitsgefahr ausgeht, ist es gesetzlich dazu verpflichtet, schnellstmöglich die zuständige Lebensmittelüberwachungsbehörde zu informieren“, sagt Anja Tittes, Bundesvorsitzende des Bundesverbands der Lebensmittelkontrolleure Deutschlands (BVLK).

Rückrufe: Unternehmen für Information selbst verantwortlich

Hinzu kommen risikoorientierte stichprobenartige Kontrollen durch die Behörden, ob die Unternehmen ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen. Grundsätzlich sei das System der Selbstkontrolle aber effektiv, ist Tittes überzeugt. „Wir haben in Deutschland ein hohes Niveau in der Lebensmittelsicherheit.“

Dennoch gibt es auch aus Behördensicht Verbesserungsbedarf. „Die Transparenz im gesundheitlichen Verbraucherschutz muss durch einen besseren Datenaustausch erhöht werden“, fordert Friedel Cramer, Präsident des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit.

„Dazu sollten wir als koordinierende Bundesbehörde aus den Bundesländern nicht nur Daten der Produktproben, sondern auch der Betriebskontrollen erhalten.“ Alle Daten der amtlichen Kontrollen in Deutschland sollten zentral vorliegen und sowohl den zuständigen Landes- wie Bundesbehörden zu Auswertungen zugänglich sein.

„Um lebensmittelbedingte Krankheitsausbrüche noch schneller aufzuklären und zu stoppen, fordern wir zudem eine systematische Erfassung von pathogenen Keimen“, so Cramer. „Dies ist wichtig, um bei einem Krankheitsausbruch die ursächlich verantwortlichen Lebensmittel zu identifizieren und epidemiologische Untersuchungen durchzuführen.“

Es gibt noch manches im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher zu optimieren. Denn alle Experten sind sich sicher: Der nächste Lebensmittelskandal kommt bestimmt.

Dieser Artikel ist zuerst auf abendblatt.de erschienen