Peking. In Chinas Hauptstadt Peking bereiten sich die Bewohner auf den drohenden Corona-Lockdown vor. Für das Land steht Vieles auf dem Spiel.

Die Lockdowns haben nun auch die Hauptstadt erreicht: Die exklusive „Palm Springs“-Siedlung, ein riesiger Häuserkomplex mit über zehntausend Menschen, wurde von den Seuchenschutzmitarbeitern eingezäunt. Dort müssen die Leute nun die nächsten zwei Wochen ausharren, eingesperrt in der eigenen Wohnung.

Womöglich ist dies jedoch nur dein Vorgeschmack für das, was noch kommen mag. Am Wochenende meldeten die Behörden einen Omikron-Infektionsstrang, der laut offiziellen Angaben über eine Woche unentdeckt blieb. Bislang spiegelt sich das noch nicht in den täglichen Infektionszahlen wider, die bei rund 30 Fällen pro Tag sind. Dennoch solle man sich auf „düstere Zeiten“ einstellen, heißt es von der Stadtregierung.

Möglicher Corona-Lockdown in Peking: Drei Massentestungen am Tag

Am Montagmorgen wurden die Pekinger von lärmenden Megafonen geweckt. Es waren die Nachbarschaftskomitees, die zu Sonnenaufgang zum Massentests aufriefen. Die Hauptstädter werden sich daran gewöhnen müssen, mindestens drei Durchgänge sind bereits angekündigt.

Seither gehören lange Menschenschlangen vor den Testzentren, oftmals über mehrere Häuserblocks, zum Stadtbild. Doch mindestens ebenso lange Schlangen bilden sich auch vor den Supermärkten. Die Leute kaufen derzeit ein, was sie kriegen können – und oft ist das nicht allzu viel: In mehreren Stadtvierteln waren die Gemüseregale zeitweise leergeräumt.

Menschen warten in Peking auf einen Corona-Test. Die Behörden haben Massentests angeordnet.
Menschen warten in Peking auf einen Corona-Test. Die Behörden haben Massentests angeordnet. © Noel Celis / AFP

Lockdowns in China: Vertrauen in die Behörden ist erschüttert

Die Propagandamedien sahen sich dazu veranlasst, auf ihren Titelseiten vor Panikkäufen zu warnen, doch das feuerte das Horten nur weiter an: Das Vertrauen in die offiziellen Stellen ist spätestens seit der anhaltenden Lockdown-Tragödie in Shanghai vollkommen vorüber.

Dort sitzen die Leute schon in der vierten Woche im Lockdown, manche sind bereits gar seit 50 Tagen in ihre Wohnungen gesperrt. „Ich fühle mich wie ein Gefangener der chinesischen Regierung“, schrieb unlängst ein befreundeter Korrespondent über die Corona-Maßnahmen.

Hamsterkäufe: Viele Pekinger kauften zusätzliche Kühlschränke

Wenig überraschend haben sich die besorgten Bürger in Peking auf alle Eventualitäten eingestellt. Sie gaben in Scharen Bestellungen für Tiefkühltruhen und Kühlschränke auf.

Denn wenn es zum Lockdown kommt, entscheidet längst nicht mehr das Bankkonto übers eigene Wohlergehen, sondern die Größe der Vorratskammer. Nur diese hilft aus, wenn die staatlichen Essenslieferungen nicht regelmäßig ankommen.

Corona: Wurde die Pandemie wegen Chinas rabiater Politik nur aufgeschoben?

Wie ein Damoklesschwert kreist der Lockdown-Hammer über der Stadt. Panikstimmung wäre zwar eine übertriebene Zuschreibung für den Status Quo Pekings, doch zuletzt war die Anspannung in der Hauptstadt Ende Januar 2020 ähnlich hoch.

Nun sind über zweieinhalb Jahre vergangen, doch in China, so scheint es, hat die Pandemie nach wie vor noch gar nicht richtig angefangen – sie wurde lediglich dank Grenzschließungen und Massentests aufgeschoben.

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Peking hat nur rund 20 neue Corona-Fälle – trotzdem der Stadt drohen harte Konsequenzen

Nur rund 20 weitere Fälle hat Peking am Montag registriert, und dennoch ist die Lage mehr als ernst. Zum einen wollen die Behörden unter allen Umständen den „point of no return“ verpassen, bei dem das Virus nicht mehr einzudämmen ist. Und für das politische Machtzentrum der Volksrepublik, in dem sich Staatschef Xi Jinping im Herbst beim Parteikongress zur dritten Amtszeit krönen will, gelten ganz besonders strenge Vorgaben.

Die Aussicht, möglicherweise wie die 26 Millionen Einwohner Shanghais über Wochen hinweg in den eigenen Wohnungen eingesperrt zu sein, sorgte nicht nur unter den Pekingern für schlechte Stimmung. Auch die Aktienmärkte schmierten regelrecht ab: Die Handelsindexe von Shenzhen, Hongkong und Shanghai brachen bereits Anfang der Woche deutlich ein, letzterer gar auf den niedrigsten Stand seit zwei Jahren. Auch der Wert des „Renminbi“, Chinas staatlicher Währung, hat deutlich gelitten.

China: Lockdown in Shanghai bedroht Wirtschaftsleistung

„Das ist ein Breitbandschaden für die Wirtschaft, die befindet sich zum Teil im freien Fall“, sagt Jörg Wuttke, Präsident der europäischen Handelskammer in Peking, über die ökonomischen Folgen der „Null Covid“-Strategie. Seit den 80er Jahren lebt der Manager bereits im Land, doch einen solch rasanten Umschwung wie in den letzten Monaten hat der Deutsche noch nicht erlebt. „Es ist Wahnsinn, wenn ich zurückblicke, wie optimistisch wir noch vor wenigen Wochen waren“, sagt Wuttke.

Der 1. April hat die Ausgangslage jedoch vollständig verändert. Der Lockdown von Shanghai traf die Volksrepublik mitten in ihre ökonomische Achillesferse: Die über 25 Millionen Einwohner generieren rund 3,8 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts, das benachbarte Jangtse-Delta mit seinen 160 Millionen Einwohnern macht ein Fünftel der landesweiten Wirtschaftsleistung aus. Nun könnte ein zusätzlicher Lockdown in Peking die Lage ungleich weiter verschärfen.

Chinas Corona-Strategie: Widersprüchliche Leitlinien aus Peking

„Das Hauptproblem scheint zu sein, dass es zwei widersprüchliche Zielvorgaben aus Peking gibt – einerseits „Null Covid“ und andererseits die Wirtschaft am Laufen zu halten“, sagt Kammer-Präsident Wuttke. Dabei behält schlussendlich stets der Seuchenschutz die Oberhand: Denn für Bürgermeister bedeutet jeder noch so kleine Infektionsausbruch in ihrem Einzugsgebiet das Ende ihrer politischen Karriere. Die wirtschaftlichen Folgen ihres Handelns bekommen sie hingegen erst mittelbar zu spüren.

Und dennoch sind Peking und Shanghai nur die Spitze des Eisbergs. Hier leben die urbanen Eliten des Landes, die internationalen Expats und Diplomaten. In vielen anderen Gegenden, die ebenfalls im Lockdown sind, dringen die Stimmen der Abgeriegelten nur selten nach draußen. Insbesondere die Nachrichten aus dem abgelegenen Nordosten des Landes muten schockierend an: Dort haben bereits zu Beginn des Monats Studierende an örtlichen Universitäten berichtet, dass sie über mehrere Wochen in den Sechs-Betten-Zimmer ihres Wohnheims eingeschlossen waren – ohne die Möglichkeit, regelmäßig zu duschen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.