Rom. Überall wird gelockert. Aber in Italien gilt jetzt eine 2G-Pflicht für alle Berufstätigen über 50. Warum die Wirtschaft schäumt.

Während viele EU-Länder die Corona-Regeln lockern, zieht die Regierung von Premier Mario Draghi die Schrauben weiter an. In Italien gilt nun auch die 2G-Pflicht für alle Berufstätigen im Alter von über 50 Jahren, eine weltweit beispiellose Maßnahme. Und das hat schwere Folgen für die Wirtschaft. Denn zehntausende eingefleischte Impfgegner verzichten lieber auf Job und Gehalt, statt sich impfen zu lassen.

In Italien, wo vor genau zwei Jahren die Pandemie ausbrach, sind 5,3 Millionen der insgesamt 59 Millionen Menschen nicht geimpft. Davon gehören 1,4 Millionen der Altersgruppe über 50 an, für die seit dem 1. Februar eine Impfpflicht gilt. Geschätzt wird, dass eine halbe Million Berufstätige weder ein Impf- noch ein Genesenenzertifikat haben. Daher müssen sie seit dieser Woche der Arbeit fernbleiben. Sie bekommen kein Gehalt, behalten aber ihre Arbeitsstelle.

Als erstes EU-Land führte Italien die Corona-Impflicht im Gesundheitssektor ein

Etwa 850.000 Berufstätige sollen in Italien kein Impfzertifikat haben, genaue Zahlen gibt es nicht. Viele von ihnen haben sich in den vergangenen Wochen an der Omikron-Variante infiziert, was ihnen für sechs Monate den Genesenstatus sichert. Mehrere Arbeitnehmer haben sich krankschreiben lassen und hoffen, dass die Regierung früher oder später die Restriktionen für Berufstätige lockert. Andere kämpfen vor Arbeitsgerichten um ihr Recht auf Job und Gehalt trotz Impfverweigerung. Einige davon sogar mit Erfolg.

Italien hatte als erstes EU-Land eine Impfpflicht für das Gesundheitspersonal eingeführt, die dann auf Lehrer und Sicherheitskräfte ausgedehnt wurde. Am 8. Januar wurden schließlich alle über 50-Jährigen verpflichtet, sich immunisieren zu lassen. Wer sich nicht impfen lässt, muss mit einer Einmal-Strafe von 100 Euro rechnen. Der Bußgeldbescheid wird automatisch erstellt.

Steuerbehörde darf ins Impfregister schauen

Die Impfpflicht gilt auch für dauerhaft in Italien lebende EU-Bürger und andere Ausländer. Sie ist zunächst bis zum 15. Juni begrenzt. Die italienische Steuerbehörde (Agenzia delle entrate) hat das Recht, Einblick in die Impfregister der Gesundheitsbehörden zu nehmen. Wer dort als nicht gegen Covid-19 geimpft aufscheint, bekommt den Bußgeldbescheid direkt ins Haus geschickt.

In der öffentlichen Verwaltung haben zahlreiche Beamte auf Arbeit und Gehalt verzichtet, nur um sich der Impfpflicht nicht beugen zu müssen. Dies schafft Probleme, weil viele von ihnen nicht leicht ersetzbar sind. Vor allem Kleinunternehmer sind nicht in der Lage, Ersatz für ihre ungeimpften Fachkräfte zu finden. Sie bevorzugen es, ihre ungeimpften Mitarbeiter zu behalten und eine Strafe von bis zu 1000 Euro zu riskieren, statt sich auf die schwierige Suche nach neuem Personal einzulassen.

In Neapels Nahverkehrsgesellschaft ANM wurden 30 nicht geimpfte Mitarbeiter vom Dienst suspendiert, in der Gemeinde Bologna sind es 64. Viele Impfgegner greifen auf Karenzurlaub zurück, einige drängen ihre Arbeitgeber, eine Kündigung auszusprechen, damit sie in den nächsten zwei Jahren auf Arbeitslosengeld bekommen können.

Viele osteuropäische Arbeitskräfte sind nicht geimpft

„Mit der Ausrede der Pandemie wird unser in der Verfassung verankertes Recht auf Arbeit mit den Füßen getreten“, protestiert Massimo Misuraca, Mitarbeiter des öffentlichen Gesundheitsdiensts in Palermo, der seit Dezember von der Arbeit suspendiert ist.

Auch die Landwirtschaft schlägt Alarm. Auf den italienischen Feldern sind 35 Prozent der Arbeitskräfte Ausländer. Viele Osteuropäer sind nicht geimpft oder wurden mit Impfstoffen immunisiert, die in Italien nicht anerkannt werden. Die Lage ist problematisch, denn die Betriebe haben seit Jahren Schwierigkeiten, Arbeitskräfte zu finden. Personalprobleme drohen Italiens Wirtschaftsaufschwung zu beeinträchtigen, der laut Regierungsangaben in diesem Jahr vier Prozent des Bruttoinlandprodukts betragen könnte.

Ausnahmezustand besteht weiter

Dass die strengen Restriktionen den ersehnten Wirtschaftsaufschwung bremsen, weiß Tourismusminister Massimo Garavaglia nur zu gut. Er macht Druck auf die Regierung zu einer sofortigen Abschaffung der 2G-Pflicht in Hotels, Restaurants und Museen. „Italien hat eine Durchimpfungsrate von 91 Prozent erreicht, wir müssen uns jetzt an andere Länder anpassen, um keine Marktanteile im Tourismus zu verspielen“, so der Minister.

„Der Tourismussektor lebt von Planung. Für den Sommer sind die Aussichten gut, aber für Ostern hängt es von den Entscheidungen ab, die jetzt getroffen werden“, warnt der Minister. Garavaglia wünscht sich eine allgemeine Regel: „Unterhalb einer bestimmten Schwelle der Bettenbelegung auf den Intensivstationen der Krankenhäuser sollen alle Corona-Maßnahmen aufgehoben werden, sowohl für Italiener als auch für Ausländer“.

Doch so weit ist man in Italien noch nicht. Zwar wurde inzwischen die Maskenpflicht im Freien abgeschafft. Aber es gilt 2G-Pflicht unter anderem in Bars, Restaurants, Hotel sowie in Bussen und Bahnen. Auch der Ausnahmezustand, der vor zwei Jahren verhängt wurde, besteht weiter. Ende März, so Gesundheitsstaatssekretär Andrea Costa, könne er vielleicht aufgehoben werden.

Dieser Artikel ist zunächst auf www.morgenpost.de erschienen