Berlin. Bestsellerautorin Cornelia Funke über den vierten Band der „Reckless“-Reihe, ihre Kindheit in Dorsten und die Faszination Indiens.

Über 20 Millionen verkaufte Exemplare, Übersetzungen in 37 Sprachen – Cornelia Funke ist die deutsche Erfolgsautorin par excellence. Dabei hat die gebürtige Dorstenerin seit langem ihre Zelte in den USA aufgeschlagen, wo sie ihre fantastischen Welten entwirft.

Aktuell präsentiert die 61-Jährige den vierten Band ihrer „Reckless“ -Reihe über die Abenteuer in einem Paralleluniversum zu unserem Planeten. So sehr sie andere Kulturen in sich aufsaugt, so ist sie doch noch von ihrer alten Heimat geprägt – und hat auch ihre Leidenschaft für den deutschen Fußball nicht vergessen.

In Ihren „Reckless“-Romanen gehen Sie auf Fantasiereisen um die ganze Welt. Privat halten Sie sich in Ihrem eigenen Refugium auf – Ihrer Avocadofarm in Malibu. Haben Sie das Bedürfnis, da eine Hecke drum zu ziehen, um vor der grauen Realität geschützt zu sein?

Cornelia Funke: Da bin ich ganz anders gestrickt, was mich selbst überrascht. Ich habe 2,5 Hektar hier, und im vorderen Teil, wo meine Avocado-Bäume stehen, habe ich ein kleines Café bauen lassen. Am Samstag, wenn meine Nachbarn ihren Marktstand betreiben, mach’ ich das Tor im Zaun zwischen uns auf und lade jeden zu freiem Kaffee oder Tee ein.

Wegen Covid-19 geht das natürlich derzeit nicht, deshalb gucken viele traurig über die Hecke und fragen, wann ich mein Tor wieder aufmache. Ich hoffe, sehr bald. Wenn man einen so verzauberten Ort wie diesen hat, macht er nur Spaß, wenn man ihn mit anderen teilt.

Gab es eine Phase in Ihrem Leben, wo Sie lieber im Elfenbeinturm lebten?

Funke: Als ich Teenager war. Ich bin kaum weggegangen, habe viel gelesen und ferngeguckt, und mir meine eigenen Welten im Inneren gebaut. Der einzige Ort, wo ich hingegangen bin, war das Fußballstadion.

Welche Mannschaft?

Funke: Schalke. Ich bin ja im Ruhrgebiet aufgewachsen.

Leiden Sie aktuell mit Schalke mit?

Funke: Nein. Was fast schade ist. Jetzt bin ich Basketball-Fan. Da gucke ich eher LeBron James und den Los Angeles Lakers zu. Aber ich schaue mir noch die Fußball-WM an. Das lasse ich mir nicht nehmen. Ich bin selbst sehr unsportlich und schreie doch die ganze Zeit die armen Jungs an, was sie alles falsch machen! Da bin ich eine schlimme Pharisäerin. Bayern München war damals natürlich ein Todfeind. Jetzt ist mein Sohn Bayern-Fan, das ist schon sehr peinlich.

Autorin Cornelia Funke arbeitet in ihrem Haus auf ihrer Avocadofarm in Malibu – ein verzauberter Ort, wie sie erzählt.
Autorin Cornelia Funke arbeitet in ihrem Haus auf ihrer Avocadofarm in Malibu – ein verzauberter Ort, wie sie erzählt. © dpa | Michael Orth

Diese Einflüsse sind freilich nicht unbedingt in Ihren „Reckless“-Romanen zu spüren Aber welche Regionen haben denn sonst bleibende Eindrücke hinterlassen?

Funke: Ein Journalist hat mir mal gesagt, dass man das Ruhrgebiet sehr stark in Reckless findet – die Kuhwiesen mit den Schloten am Horizont… dieser Kontrast folgt mir wohl immer noch. Heute inspirieren mich natürlich die wilden Landschaften meiner Wahlheimat – und von Orten wie Neuseeland. Dessen weitgehend unberührte Landschaften sind unvergesslich. Aber man wird dort auch traurig, weil man realisiert, wie die Welt mal ausgesehen hat. Und dann ist da natürlich Indien.

Was hat Indien mit Ihnen gemacht?

Funke: Ich war zweimal da, jeweils nur zwei Wochen auf Festivals in Delhi und in Jaipur. Zum einen waren die Begegnungen mit meinen Lesern sehr intensiv. Da standen Inder in ihren frühen 20ern vor meinem Signiertisch, fielen mir um den Hals und sagten „Sie sind meine Kindheit“. Es ist unglaublich: Das ist so eine andere Kultur, und doch kann man mit seiner Geschichte so viel Liebe bei den Lesern hervorrufen. Die Offenheit und Lebendigkeit in Indien entspricht mir sehr.

Mich hat auch sehr beeindruckt, dass es zumindest auf den ersten Blick keine so materialistische Kultur ist. Den Unterschied merkt man dann ganz besonders, wenn man nach Amerika zurückkommt. Indien hat im Grunde genommen auch vorbereitet, dass ich aus der Stadt weg und auf meine Farm gezogen bin.

Andererseits ist dieses Land alles andere als utopisch. Man kann sich auch nicht vorstellen, dort als Frau auf Dauer zu leben. Als ich dort war, wusste ich nicht, ob ich lebend wieder rauskomme, aber als ich im Flugzeug saß, habe ich es schon vermisst.