Der Skandal um falsch deklariertes Pferdefleisch hat die Mehrzahl der 27 EU-Staaten erreicht. Massenhaft verschwinden Produkte aus den Läden.

Brüssel/Berlin. Der Pferdefleisch-Skandal hat fast zwei Drittel der EU-Staaten erreicht. 17 von 27 Mitgliedsländern haben inzwischen Verdachtsfälle von als Rind deklariertem Pferdefleisch nach Brüssel gemeldet. Der CDU-Entwicklungspolitikers Hartwig Fischer schlug am Donnerstag vor, aus dem Verkauf genommene Produkte wie etwa Lasagne oder Gulasch nicht zu vernichten. Sie sollten stattdessen an Hilfsorganisationen wie die Tafeln gehen. Die Tafel reagierten zurückhaltend. Die Bundesregierung will sich derweil für erweiterte Kennzeichnungen bei Fleischfertigprodukten einsetzen.

Eine Sprecherin des Bundesverbands Deutsche Tafel sagte der Nachrichtenagentur dpa zum Vorschlag des Bundestagsabgeordneten Fischer, die Frage einer Verteilung stelle sich nicht. Es gebe eine Verunsicherung, die Tafeln würden solche Waren daher nicht annehmen, wenn es bei den Nutzern keine Nachfrage gebe.

Bisher musste nur bei rohem Rindfleisch vermerkt sein, aus welchem Land es stammt, aber nicht bei Fertigprodukten mit Fleisch. Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) will dies nun ändern. Sie sagte der „Passauer Neuen Presse“ (Freitag): „Deutschland und Frankreich sind sich einig: Wir wollen eine Herkunftskennzeichnung - und zwar so bald wie möglich und verpflichtend für alle 27 Staaten der EU.“ Darüber solle am Montag im Agrarministerrat beraten werden.

Im Zusammenhang mit dem Skandal nahm die Staatsanwaltschaft Rostock Vorermittlungen gegen einen Produzenten aus dem Landkreis Rostock auf. Geprüft werde, ob ein Anfangsverdacht für eine Straftat vorliegen könnte, sagte ein Sprecher. Noch gebe es aber keinen Anfangsverdacht, keine Beschuldigten und keine Geschädigten. Auch bei der Staatsanwaltschaft Oldenburg (Niedersachsen) laufen Ermittlungen.

In den vergangenen Tagen sind in Europa immer mehr Produkte mit nicht deklarierten Pferdefleisch-Anteilen entdeckt worden. Geschäfte nahmen Gerichte aus den Regalen, Behörden verschärften Kontrollen. In Rumänien wurden mehr als 700 Kilogramm falsch etikettiertes Fleisch im Lagerraum eines Großhändlers gefunden, wie die rumänische Nachrichtenagentur Mediafax berichtete.

Bis Donnerstag wurden sechs Fälle von vermutetem Betrug an das europäische Warnsystem RASFF mitgeteilt – aus Deutschland, Irland, Großbritannien und Österreich. Die falsch ausgezeichneten Produkten waren Nudelgerichte, Gulasch, Burger und Gefrierfleisch.

17 der 27 EU-Länder erhielten Lieferungen mit möglicherweise falsch deklariertem Pferdefleisch: Deutschland, Irland, Österreich, Dänemark, Finnland, Frankreich, Ungarn, Italien, die Niederlande, Spanien, Großbritannien, Zypern, Bulgarien, Tschechien, Griechenland, Portugal und Schweden. Auch in die Nicht-EU-Länder Schweiz, Norwegen und Hongkong gingen Lieferungen. Die Ware kam nach Angaben der meldenden Behörden aus Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Polen, Irland, Luxemburg, Rumänien und Zypern.

Allerdings müssen die Staaten nicht verpflichtend alle Fälle von vermutetem Pferdefleisch-Etikettenschwindel melden, weil möglicher Betrug keine Frage der Lebensmittelsicherheit ist. Die EU-Kommission bittet in der aktuellen Affäre dennoch um solche Meldungen. EU-Diplomaten halten die Angaben für weitreichend.

Auch Pferdefleisch, das das Medikament Phenylbutazon enthält, haben die Behörden der EU-Länder beim RASFF-System angezeigt. Das entzündungshemmende Mittel darf nicht in Fleisch für den menschlichen Konsum enthalten sein. Phenylbutazon fand sich in Fleisch aus Großbritannien und gelangte nach Frankreich und in die Niederlande.

Im Fall des münsterländischen Unternehmens Vossko, das bei eigenen Analysen schon vergangene Woche Pferd gefunden hatte, stamme das mit Rind vermischte Fleisch aus Polen, teilte der Kreis Warendorf mit. Zudem sei in der Probe auch Schweinefleisch nachgewiesen worden. Vossko hatte die Liechtensteiner Firma Hilcona beliefert, die für den Discounter Lidl „Combino Tortelloni Rindfleisch“ herstellt. Lidl nahm das Gericht aus dem Angebot. Details zu dem polnischen Betrieb nannte der Kreis Warendorf nicht.