Entsetzen in Dachau: Angeklagter Unternehmer feuert drei Schüsse ab. Er hatte Sozialbeiträge von 44 000 Euro nicht gezahlt

Dachau. Es ging um eine Bewährungsstrafe von einem Jahr: Noch während der Urteilsverkündung zog ein 54-jähriger Angeklagter gestern Nachmittag im Dachauer Amtsgericht eine Pistole, zielte zunächst auf den Richter und feuerte dann auf den Staatsanwalt. Drei Schüsse trafen den 31-Jährigen in den Oberkörper. Der junge Mann, der seinen Dienst als Ankläger erst im vergangenen Jahr aufgenommen hatte und für Wirtschaftsstrafrecht zuständig war, starb trotz einer Notoperation in einem Dachauer Krankenhaus.

"Wir sind fassungslos und entsetzt über die schreckliche Tat", sagte Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU), die noch am Abend an den Tatort geeilt war. "Es war ein Verfahren, in dem kein Mensch damit rechnen kann, dass so eine brutale Straftat begangen werden kann." Es habe sich um eine Routineverhandlung gehandelt - deshalb habe es auch keine speziellen Sicherheitsvorkehrungen gegeben.

Zwei Zeugen, die an der Verhandlung teilnahmen, hatten den 54-jährigen Täter noch im Gericht überwältigt. Er wurde wegen Mordes festgenommen. Die tödlichen Schüsse hatte der Mann aus einer illegalen Waffe abgefeuert, einer Pistole der Marke FN mit dem Kaliber 6,5.

Der nicht vorbestrafte Unternehmer, der eine Transportfirma in Dachau betrieb, war wegen der Beschäftigung Scheinselbstständiger und nicht bezahlter Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von rund 44 000 Euro zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt worden. Beim Betreten des Gerichtsgebäudes war der Todesschütze nicht kontrolliert worden.

Er habe keine Sicherheitsschleuse durchlaufen, sagte ein Sprecher des bayerischen Justizministeriums. Er verwies darauf, dass eine Kamera im Eingangsbereich des Amtsgerichts installiert sei. Auch sitze ein Wachmann an der Pforte. "Der kann aber nicht jeden kontrollieren."

Offenbar war der Spediteur schon bei früheren Verhandlungen aggressiv aufgetreten. Ein Justizbeamter des Amtsgerichts sagte nach der Schießerei der "Süddeutschen Zeitung": "Ich hab's gewusst, dass was passieren wird. Der hat sich in früheren Verhandlungen schon aufgeführt und war völlig uneinsichtig. Er hat selbst seine eigene Anwältin angeplärrt." Nach Informationen des Bayerischen Rundfunks (BR) gab es während der Urteilsverkündung einen heftigen Wortwechsel des Angeklagten mit seiner Verteidigerin, bevor er die Pistole aus der Hosentasche zog.

Es ist nicht das erste Gewaltverbrechen in einem deutschen Gerichtsgebäude. Vor zweieinhalb Jahren erstach der 28-jährige Russlanddeutsche Alex W. vor den Augen der Richter und Anwälte die Ägypterin Marwa E. im Dresdner Landgericht. Die 31-Jährige hatte den Mann wegen einer beleidigenden Aussage angezeigt. Zugleich erinnern die Schüsse von Dachau auch an die Bluttat in einem Landshuter Gerichtssaal im April 2009. Ein 60 Jahre alter Mann tötete damals eine Frau, verletzte zwei weitere Menschen schwer und beging anschließend Selbstmord. Danach war beschlossen worden, viele Gerichtssäle mit Sicherheitsschleusen aufzurüsten. Laut Ministerium wurde dies in den Großstädten bereits umgesetzt.

Der Bayerische Richterverein forderte noch am Abend schärfere Sicherheitsvorkehrungen in Gerichtssälen. Es müsse nach dem Vorfall darüber nachgedacht werden, "ob wir der Sicherheit gerecht werden, die wir den Mitarbeitern und Besuchern der Gerichte schuldig sind", sagte der Vorsitzende des Richtervereins, Walter Groß, der Nachrichtenagentur dapd. Bei allem notwendigen Schutz dürften Gerichte aber "keine Festungen werden".

Bayerns Justizministerin Beate Merk sagte, bereits vor einiger Zeit seien individuelle Sicherheitskonzepte für die bayerischen Gerichte erarbeitet worden. "Aber wir haben alle gewusst damals, wie wir es auch heute wissen, dass keine absolute Sicherheit erreicht werden kann."

Aus einem einzelnen Gerichtsgebäude könne keine Trutzburg gemacht werden, sagte Merk. "Wir können nicht 99 Gebäude komplett verriegeln. Es ist ja so, dass unsere Richter im Namen des Volkes Recht sprechen." Deshalb gehöre es auch dazu, dass die Verfahren öffentlich zugänglich seien, sagte die Ministerin. Es sei keine neue, aber eine "ganz bittere Erkenntnis", dass viele Staatsdiener ihre Arbeit unter dem Einsatz ihres Lebens täten.