Phänomen: Deutschland macht den "Merkelizer"

Die geheimen Zeichen der Kanzlerin

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Anne Dewitz

Blogger, politischer Nachwuchs und sogar Chefredakteure rätseln, was Angela Merkels "Raute" zu bedeuten hat.

Hamburg. Die Hände, über dem zweiten Jackettknopf gefaltet, formen auf Bauchnabelhöhe eine Raute. Die Fingerspitzen berühren sich. Eine typische Geste der Bundeskanzlerin.

Selbst auf Wahlplakaten ließ sich Angela Merkel (55) mit diesem "biegsamen Dreieck" ablichten und gab der Welt damit ein Rätsel auf: Symbolträchtige Machtpyramide, lockernde Fingergymnastik, yogische Meditationsform oder am Ende gar Geheimzeichen der Illuminati? Was will Deutschlands mächtigste Frau uns damit sagen?

Im Internet kursieren zahllose Fotos von Menschen, die den "Merkelizer" machen. Ja, Merkels Lieblingspose hat einen eigenen Namen. Und die wird in Foren wie nerdcore.de lebhaft diskutiert. Einige glauben, in ihr eine Geste der Redner und Denker zu erkennen, die bei der Suche nach Worten und beim Lösen schwieriger Probleme hilft.

Internetnutzer Chris, ein Pragmatiker, will sich in ihr sogar wiedererkennen: "Die Handbewegung ist ein Fixpunkt, um sich zu konzentrieren. Sehr üblich für Menschen, die weniger emotional als wissenschaftlich sachlich handeln und denken. Mache ich auch sehr oft, indem ich meine Daumen aneinanderlege." User Emanuel schreibt, Merkels Pose sei "das rhetorische Dreieck in Perfektion".

Das Dreieck der Rhetorik ist ein Begriff, der aus der Kommunikationstheorie kommt. Es umfasst drei Eckpunkte: Sender, Empfänger und Sache, also Merkel, Wähler und jede Menge Verwirrung. Denn die Sache, also die Grundinformation, die der Sender kommunizieren will, kann durch Signale ohne Worte verzerrt werden. Nonverbale Signale wie dem geheimnisvollen, nahezu sagenumwobenen Merkelizer. Blogger Carsten will darin erkannt haben, was es heißt, "mit ruhiger Hand zu regieren". Andere Internetnutzer, wie Cellizzo, gehen buchstäblich unter die Gürtellinie und glauben, die Bundeskanzlerin möchte signalisieren, dass sie tatsächlich eine Frau ist und die Gebärde heißt: "Ich habe eine Vagina."

Fantasie und Interpretationswut sind keine Grenzen gesetzt. Sogar auf politischer Ebene wird debattiert. Die Jungsozialisten der SPD (Jusos) machen sich auf ihrer Internetseite daran, Merkels "geheime Handzeichen" zu entschlüsseln und fordern: "Mach uns die Merkel und schick dein Foto." Prompt kamen Fotos von Leuten, die mit ihren Händen den Merkelizer formten. Die Jusos fragen, was ihre Handhaltung, die sie auf den vielen Pressefotos und Plakaten zeigt, wohl bedeute? Sie selbst kennen die Antwort nicht. Stephan-Andreas Casdorff schon. Der Chefredakteur der Berliner Zeitung "Tagesspiegel" interpretiert Merkels Körperhaltung in einem Onlinevideo auf "Zeit" folgendermaßen: "Die umgekehrte Pyramide ist es, die ausdrückt, was das Problem der Angela Merkel darstellt. Denn der Druck lastet auf ihr. Nicht, dass sie am Kopf der Pyramide, an der Spitze steht und den Druck ausübt, sondern der Druck lastet auf ihr. Es ist wie bei einem Dreieck, und ganz am Ende dieses Dreiecks steht Angela Merkel."

Prof. Samy Molcho (73), internationaler Körpersprachenexperte, sieht das anders. Er interpretiert ihre Haltung so: "Die zueinander gedrückten Fingerspitzen errichten eine Schutzpyramide vor dem weichen Bauch. Diese nach vorne gesenkte Pyramide wirkt wie ein Keil, wie der Bug eines Eisbrechers: Die nach vorne gerichtete Spitze weist ab und alle entgegenkommenden Angriffe oder Einwürfe werden vom Körper abgeleitet. Bundeskanzlerin Merkel ist nicht aufgeschlossen für Kritik oder andere Meinungen, sondern sie geht ihren Weg vorwärts."

Und was sagt die Bundeskanzlerin? Auf die Frage eines Reporters, was ihre Geste denn nun bedeute, sagte sie tatsächlich: "Nichts." Diese Haltung helfe ihr lediglich, den Oberkörper aufrechtzuhalten und nicht in den ihr typischen leichten Buckel zusammenzusacken. "Nichts anderes heißt das." Also doch keine Verschwörung mit einer Geheimgesellschaft? Wer es glaubt ...