Erfurt. Nils Petersen stand vor der Weltmeisterschaft im erweiterten Kader des DFB. Die Spiele verfolgte er am Ende doch vor dem Fernseher.

Herr Petersen, ist Frankreich gegen Kroatien das erwartete Finale?

Nils Petersen: Frankreich hatte ich auf dem Zettel. Ansonsten sah ich Deutschland, Brasilien oder Spanien im Endspiel.

Das klingt recht konservativ – Sie hätten bei Top-Wettquoten Ihr Geld in den Sand gesetzt.

Nils Petersen: (lacht) Gut, dass ich nicht wette.

Wären die Chancen für die deutsche Mannschaft mit Nils Petersen besser gewesen?

Nils Petersen: Ich bin ganz ehrlich gerade raus: Ich konnte den Bundestrainer im Trainingslager in Südtirol sportlich nicht überzeugen – das ärgert mich. Ich habe dort aber so trainiert, dass ich abends in den Spiegel schauen kann, weil ich alles gegeben habe. Es haben andere überzeugt. Schuster, bleib bei deinen Leisten. Ich spiele immer noch beim SC Freiburg. Dass alles anders gekommen wäre, wenn ich mitgefahren wäre – das zu sagen, wäre vermessen.

Es soll beim DFB nun einen Umbruch geben – wollen Sie dabei eine Rolle spielen?

Nils Petersen: Ich war unter den besten 27. Nur leider haben wir ja keine normale Weltmeisterschaft gespielt, die jeden Umbruch einfacher gemacht hätte. Nun werden junge, frische Kräfte gefordert – ich werde dieses Jahr 30. Das könnte ein Nachteil sein. Aber die Hoffnung ist durchaus vorhanden, wieder für Deutschland auflaufen zu dürfen, vielleicht sogar das nächste Turnier im Auge zu haben. Aber dafür muss ich in Freiburg meine Hausaufgaben machen.

Sie hatten berichtet, die Anrufe des Bundestrainers verpasst zu haben. Das passiert Ihnen nicht wieder, oder?

Nils Petersen: Ich hatte seine Nummer ja gar nicht eingespeichert, las dann nur seine SMS. Und dann ruft man eben total nervös zurück. Man kennt ihn ja sonst nur von den Interviews im Fernsehen. Er hat dann aber den lockeren Eindruck vermittelt, wie man ihn eben aus der Ferne kennt. Nur als Spieler ist man in dem Moment ganz und gar nicht so locker.

Wem drücken Sie am Sonntag im WM-Finale die Daumen?

Nils Petersen: Ich bin ein Fan von Kroatien geworden. Das sind Mentalitätsmonster. Das macht mich an als Zuschauer. Frankreich ist der Favorit, aber es tat der WM gut, dass sich mal nicht die üblichen Verdächtigen durchgesetzt haben. Nachdem ich die Kroaten gegen Argentinien gesehen habe, wusste ich, dass mit denen zu rechnen ist. Es freut mich, dass eine Nation ins Finale einzieht, die zeigt, was mit geschlossener Mannschaftsleistung und mit Mentalität möglich alles ist. Es ist das kleinste Land seit 1930, das es ins Finale geschafft hat. Überraschungen sind wieder möglich. Denken wir an den Iran, der es fast ins Achtelfinale geschafft hätte; trotz Portugal und Spanien in der Gruppe. Davon lebt der Fußball.

Haben die Kleinen aufgeholt?

Nils Petersen: Auf alle Fälle. Es gibt keine Selbstläufer mehr. Jeder kann inzwischen gut verteidigen, jeder mit Fünferkette spielen.

Ist Kroatien das SC Freiburg dieser WM?

Nils Petersen: Sie sind besser. . . (lacht) Aber in der Tat: Sie sind der Außenseiter, den keiner auf dem Zettel hatte. Es wäre wohl keinem aufgefallen, wenn sie ausgeschieden wären. Sie nutzen die Chance, die ihnen keiner zugetraut hat. Ja, das kommt mir als Freiburger bekannt vor.

Kroatien musste dreimal in die Verlängerung, Frankreich gar nicht. Ein Nachteil?

Nils Petersen: Nein. Die schwimmen auf einer Euphoriewelle, wissen, dass sie über diese Distanz gehen können, ohne einen Leistungsabfall zu haben. Das ist für Frankreich unangenehm.

Was sind deren Stärken?

Nils Petersen: Bei den Franzosen stellen sich alle in den Dienst der Mannschaft, haben die Ausnahmespieler in ihren Reihen, die ein Spiel entscheiden können.

Reden wir mal über den Videobeweis. In der Bundesliga geht es drunter und drüber, bei der Weltmeisterschaft läuft das reibungslos. Liegt das vielleicht auch daran, dass man in der Bundesliga stets als Fan einer Mannschaft emotional gefangen ist, während es einem bei der WM egal sein kann, ob der Schiedsrichter bei Iran gegen Portugal noch einmal auf den Bildschirm schaut?

Nils Petersen: Gute Frage. Ich hatte bisher nur den Eindruck, dass es unspektakulärer ist, weil er seltener genutzt wird. Aber ja, die Emotionen sind ein starkes Argument. Wenn in der Bundesliga ein Abstiegskandidat gegen einen Europacup-Anwärter spielt, bin ich viel genervter, wenn ich ewig auf eine Entscheidung des Schiedsrichters warten muss. Ich bin kein Freund vom Videobeweis. Ich habe die Fehler der Schiedsrichter für selbstverständlich gehalten, weil uns Fußballer ja auch ständig welche unterlaufen. Aber wenn es dazu dient, den Sport fairer zu machen, müssen wir uns fügen. Es macht einen aber leider sensibler in Sachen Torjubel. In der Bundesliga hätte Perisic sich wohl nicht so freuen dürfen wie bei seinem 1:1 gegen England. Da hätte man auch zwei Minuten danach noch darauf warten können, dass ein Signal aus Köln kommt: hohes Bein!

Im Gespräch ist schon jetzt die Weltmeisterschaft 2022 in Katar, deren Endspiel am vierten Advent stattfindet. Wie soll da die richtige Stimmung aufkommen?

Nils Petersen: Eine spannende Frage. Nehmen wir den Moment des 1:0 für England gegen Kroatien, als Hunderttausend im Londoner Hyde Park vor Freude ihre Bierbecher durch die Luft warfen. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass dann mit Schnee geworfen wird oder der Glühwein fliegt. Auch als Spieler gibt es Länder, auf die man richtig Bock hätte, wenn dort eine WM stattfände. An Katar muss man sich erst einmal gewöhnen.

2022 sind Sie 34 Jahre alt. Der WM-Termin bringt doch Ihre Pläne fürs Karriereende durcheinander.

Nils Petersen: (lacht) Sie meinen, weil ich dann erst im Winter zurück nach Jena kommen kann. . .? Dazu müsste mich der FCC aber auch wollen. Vielleicht lässt sich ja über eine Leihe sprechen. Ich habe schließlich in Jena noch etwas offen.

Was denn?

Nils Petersen: Ich habe um die 60 Zweitliga-Tore und über 50 in der Bundesliga geschossen. Aber in der dritten Liga stehe ich bei exakt null. Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen. Diese Bilanz macht mich im Kopf kaputt, die will ich aufbessern. Ich war damals eben nicht gut genug – die Noten in der Zeitung haben es ja gezeigt. (lacht)