Beim 2:2 in Hoffenheim verlor der FC St. Pauli bereits zum wiederholten Male in den letzten Spielminuten wichtige Punkte gegen den Abstieg.

Hamburg. David Alaba nimmt aus 18 Metern Maß, schießt und dreht mit weit aufgerissenen Augen jubelnd ab. Sein erster Treffer für die TSG Hoffenheim, begünstigt durch St. Paulis Innenverteidiger Ralph Gunesch, der den Ball unglücklich abfälscht, beschert seinem neuen Klub einen längst verloren geglaubten Punkt. 2:2 statt 1:2 gegen den FC St. Pauli, der auf das Tor zum Ausgleich nicht mehr antworten kann. Als der Anstoß ausgeführt wird, läuft bereits die Nachspielzeit. Bei den Kraichgauern werden nach dem folgenden Abpfiff Erleichterung und Freude sichtbar, während die Braun-Weißen ein böses Déjà-vu-Erlebnis zu verarbeiten haben. Nicht zum ersten Mal in dieser Saison gehen dem FC St. Pauli in der Schlussphase wichtige und verdiente Punkte im Abstiegskampf verloren.

Seit dem Saisonauftakt beim SC Freiburg, den die Hamburger dank Toren in der 83., 87. und 90. Spielminute mit 3:1 gewannen und sich damit für ihre leidenschaftliche Vorstellung spät belohnten, ist die Schlussphase zur Problemzone geworden. Sieben Gegentreffer musste die Mannschaft von Trainer Holger Stanislawski während der 19 Partien in den letzten zehn Spielminuten hinnehmen. Kein ungewöhnlicher Wert, doch zu viele von ihnen waren spielentscheidend. Alabas Vorgänger haben Namen: Isaac Vorsah, Mladen Petric und Renato Augusto. Im Hinspiel gegen Hoffenheim fiel das 0:1 durch Vorsah in der 85. Minute, Petric traf im Derby für den HSV zwei Minuten vor dem Abpfiff, und Leverkusens Mittelfeldspieler besorgte den K. o. gegen St. Pauli in der 81. Minute. Vier Gegentore, die sechs Punkte kosteten. Zu viel für einen Klub, der sich im Abstiegskampf jeden Zähler hart erarbeiten muss. Vorschlusspanik beim FC St. Pauli. "Wir betreiben hohen Aufwand", weiß Stanislawski und hat einen Erklärungsansatz parat: "Das kostet natürlich viel Kraft."

Die späten Gegentore als Problem der Fitness? Nur indirekt. "Die Voraussetzung ist, dass man konzentriert bleibt, wir dürfen uns nicht zu sicher fühlen. Auch in Hoffenheim haben wir uns das Spiel richtig schön zurechtgelegt, aber jeder Zweikampf muss so geführt werden, als wäre er der letzte. Diesmal allerdings kann ich der Mannschaft keinen Vorwurf machen, da dem Ausgleich ein klares Foulspiel vorausgegangen war."

Anders als bei den vorangegangenen Last-Minute-Gegentoren, denen individuelle Aussetzer zugrunde lagen, klammert der Trainer die Spätfolgen von Hoffenheim explizit aus der Kritik aus, sie sei genereller Natur. Bis auf ein unnötiges Foulspiel von Deniz Naki, der dem Gegner eine gute Freistoßsituation bescherte, verteidigte St. Pauli nach dem 2:1 durch Gerald Asamoah clever und hatte sogar noch eigene Chancen. Doch auch Stanislawski sind die unnötigen späten Gegentreffer nicht verborgen geblieben. "Natürlich wissen wir darum. Diese Spiele müssen wir über die Zeit bringen oder früher für uns entscheiden, indem wir unsere Aktionen in Ruhe zu Ende spielen."

Er wird mit seinen Spielern darüber sprechen, trainieren kann er es nicht. Und der Tonfall wird ruhig und freundlich klingen. Bei allem Ärger über den verpassten Sieg wirkt Stanislawski einen Tag nach dem 2:2 zufrieden, lobt taktische Umsetzung, Spielkultur und Handlungsschnelligkeit "meiner Jungs. Natürlich sind jetzt alle müde, kaputt, enttäuscht und traurig, aber wichtig ist, dass wir nach dem relativ guten Start gegen Freiburg den nächsten Schritt gemacht haben. Es hat Spaß gemacht, zuzusehen." Bis kurz vor dem Abpfiff, als sich die Freude in Frust wandelte, der gestern auf dem Trainingsgelände allgegenwärtig war und noch einige Tage nachwirken dürfte.

Denn bei allem berechtigten Beifall über die Darbietung ist Spielern wie Trainer klar, dass die Endabrechnung im Mai ohne B-Note ausfällt. "Ich habe den Jungs gesagt, dass sie nicht auf Tabellensituation und Ergebnisse schauen sollen", sagt Stanislawski, wissend, dass das gerade vor dem bedeutenden Heimspiel gegen Abstiegskonkurrent 1. FC Köln (Sonnabend, 15.30 Uhr, Millerntor) ungehört bleiben wird. Es zählen Punkte und Tore, unerheblich, ob sie in der 5. oder 88. Minute erzielt werden. Ein weiteres Ende mit Schrecken muss verhindert werden, um nicht einen Schrecken ohne Ende zu erleben.

St. Pauli hofft noch auf den vollen Lohnausgleich, der laut Stanislawski auch in Form von eigenen späten Treffern, individuellen Fehlern beim Gegner oder falschen Schiedsrichterentscheidungen zugunsten der Hamburger ausfallen darf. "In den letzten Spielen", so der Trainer mit einem Grinsen, "fordern wir das Glück noch ab." Mit späten Entscheidungen kennen sie sich ja aus.