Hamburg. Man kann sich das bildlich vorstellen: Da sitzen die DFB-Nachwuchshoffnungen Stephan Ambrosius (22), Josha Vagnoman (20), Youssoufa Moukoko (16), Vitaly Janelt (22) und Lukas Nmecha (22) beim Mittagessen im Teamhotel „Vital Hotel Nautis“ im ungarischen Gárdony zusammen – und diskutieren am Tag vor dem heutigen Auftaktspiel der U-21-EM gegen Co-Gastgeber Ungarn in Székesfehérvár (21 Uhr/Pro 7) lebhaft über den Kiez, die Elbe und das Alstertal.
Denn was die Wenigsten wissen: Neben den gebürtigen Hamburgern Ambrosius (aufgewachsen in Wilhelmsburg), Vagnoman (in Poppenbüttel) und Janelt (in Bargfeld-Stegen) sowie dem Dortmunder Moukoko (in St. Pauli) ist auch U-21-Überflieger Nmecha vom RSC Anderlecht ein echter Hamburger Jung.
Hamburg-Runde in Ungarn ist nicht möglich
Der Sohn eines Nigerianers und einer Deutschen ist wie sein zwei Jahre jüngerer Bruder Felix, der ebenfalls Fußballprofi ist, in Hamburg geboren und aufgewachsen, ehe die Familie 2007 nach England zog. Nmecha wurde bei Pep Guardiolas Manchester City ausgebildet, zum VfL Wolfsburg verliehen, wechselte im vergangenen Sommer nach Belgien zum RSC – und hat doch weiter auch immer Hamburg im Blick.
Einen kleinen Schönheitsfehler hat der hypothetische Hamburg-U-21-Fünfer-Stammtisch aber doch: Weil Ungarn mit einer Sieben-Tages-Inzidenz von mehr als 500 als Hochinzidenzgebiet betrachtet wird, ist ein netter Hanseatentisch im EM-Quartier des deutschen Nationalteams nicht nur unwahrscheinlich, sondern unmöglich. Alle Spieler müssen im Essensraum des Hotels an Einzeltische, geduscht werden darf nach dem Training auch nur im eigenen Zimmer.
HSV wollte Nmecha gleich zweimal verpflichten
Für ein gepflegtes „Moin“ auf dem Trainingsplatz dürften Ambrosius, Vagnoman, Janelt, Moukoko und Nmecha aber bei allen Vorsichtsmaßnahmen sicherlich die Möglichkeit haben. Und vielleicht verrät Sturmhoffnung Nmecha den Abwehrspielern Ambrosius und Vagnoman auch auf dem Trainingsplatz, dass er gleich zweimal in den vergangenen zwei Jahren fast beim HSV ihr Kollege geworden wäre.
Im Sommer 2019 war der Hamburger Jung für den Fall des Aufstiegs als Nachfolger Pierre-Michel Lasoggas eingeplant gewesen, im Sommer 2020 sollte er dann erneut für den Fall des Aufstiegs verpflichtet werden. HSV-Sportdirektor Michael Mutzel hatte sich sowohl mit Nmecha als auch mit dessen Eltern mehrfach getroffen und soll sehr angetan gewesen sein. Das einzige Problem: Der HSV stieg dummerweise nicht auf.
Lukas Nmecha darf sich dennoch als Aufsteiger fühlen. Die Vorrunde der U-21-EM, die in den kommenden acht Tagen in Ungarn und Slowenien ausgetragen wird, gilt aufgrund all der Corona-Ausfälle als die in diesem Jahr größte Fußball-Talentemesse des Kontinents – und der Stürmer gilt als eines ihrer größten Talente, das am liebsten bei der Endrunde im Sommer (31. Mai bis 6. Juni) triumphieren würde.
Die Gruppen der U-21-EM
Lukas Nmecha lernte unter Pep Guardiola
Dass Nmecha überhaupt für Deutschland aufläuft, war keinesfalls ein Selbstläufer. Bruder Felix (20), der bereits unter Guardiola bei Manchester City in der Champions League spielen durfte, hat sich vorerst für die Wahlheimat England entschieden und spielt für die U 19 der „Three Lions“. Auch Lukas war von der U 16 an für alle Auswahlmannschaften der Engländer am Ball, ehe er doch dem intensiven Werben von U-21-Nationaltrainer Stefan Kuntz erlag und fast auf den Tag vor zwei Jahren sein Deutschland-Debüt feierte – natürlich und selbstverständlich gegen England.
„Diese Story war reif für einen kleinen Krimi“, sagte Kuntz damals, nachdem die Spielgenehmigung für Nmecha erst kurz vor dem Anpfiff gegen England vorlag. „Ich habe zehn Minuten vor der Partie erfahren, dass ich spielen darf“, sagte Nmecha nach seinem 2:1-Premierensieg und erklärte, dass er „natürlich“ bei der deutschen Hymne mitgesungen habe – „und leise bei der englischen.“