Carcassonne. Seit über einer Woche fährt Simon Geschke bei der Tour de France im Trikot des besten Bergfahrers. Nun geht es in die Pyrenäen.

Als König der Berge wird Simon Geschke dieser Tage immer stolzer. Und er hat ja auch einen guten Grund dazu. Im Spätherbst seiner Karriere als Radprofi ist der 36-Jährige der deutsche Fahrer, der länger als alle anderen nationalen Kollegen zuvor das weiße Trikot mit den roten Punkten für den besten Kletterer der Tour de France trug. In den Alpen hat er es sich geholt, so wie es sich für einen Bergkönig gehört. In den Pyrenäen, in die es nach dem letzten Ruhetag nun an diesem Dienstag mit der 16. Etappe über 178,5 Kilometer von Carcassonne nach Foix (ab 12.15 Uhr Eurosport, ab 16.05 Uhr ARD) geht, will der gebürtige Berliner es verteidigen. Und Simon Geschke weiß, dass ihm im knallwarmen Süden Frankreichs noch der eine oder andere heiße Ritt bevorsteht.

„Das Trikot ist eine schöne Sache. Ich habe immer ein Wertungstrikot bei der Tour de France gewollt“, sagte Geschke, als er nach dem neunten Abschnitt der Großen Schleife durch Frankreich in Chatel Les Portes du Soleil ins rotgetupfte Trikot geschlüpft war. Seitdem wächst Tag für Tag sein Bart und sein Selbstbewusstsein. Auch wenn er manchmal selbst nicht daran glaubte, die Führung behaupten zu können: „Da habe ich nicht nur einen oder zwei Konkurrenten, auf die ich aufpassen muss. Da kann im Grunde genommen jeder Fahrer so viel Punkte sammeln, dass er mich verdrängt.“

Degenkolb traut Geschke Coup zu

Bis jetzt hat sich nichts an seinem Bergregententum geändert, das Geschke natürlich bis zum großen Finale in Paris fortführen will: In die letzten sechs Tour-Etappen nimmt Cofidis-Fahrer Geschke (46 Punkte) sieben Zähler Vorsprung auf den Südafrikaner Louis Meintjes (30/Intermarche-Wanty-Gobert Materiaux) mit, Dritter ist der Amerikaner Neilson Powless (25/EF Education-EasyPost) mit 37 Punkten.

Eng geht es zu, im Klassement wie auch in den Serpentinen die Berge hoch. Viel Kampfgeist und Energie sind dafür vonnöten. Geschke merkt man nach vollbrachtem Tagewerk immer mehr an, dass die Erschöpfung immer mehr zunimmt. „Ich spüre, wie mir die Frische fehlt. Bei der Ausreißergruppe am Sonntag waren Leute wie Etappensieger Michael Matthews, die viel weniger bisher in Fluchtgruppen unterwegs waren und deshalb einfach viel mehr Kraft zum Zusetzen hatten“, sagt er vor dem siebten Start im gepunkteten Trikot in Carcassonne.

Deshalb will er auch nur Tag für Tag schauen, wie lange er das Bergtrikot behalten kann. John Degenkolb, Landsmann und früherer Teamkollege, traut ihm den großen Coup zu, es bis nach Paris zu bringen. „In den Pyrenäen muss er jetzt sehen, dass er die Bullets, die er noch hat, perfekt einsetzt. Dann ist es möglich, dass er im Trikot bis nach Paris kommt. Es muss aber auch alles zusammenkommen und er einen perfekten Tag erwischen“, so der 33-Jährige vom Team DSM.

Schon jetzt bedeuten Geschkes Tage im Bergtrikot einen deutschen Rekord. Bisheriger Spitzenreiter war Marcel Wüst mit vier Tagen. Der heute 54 Jahre Kölner war allerdings Sprinter und holte das Trikot auf den ersten vier Tagen der Tour 2000. In der ersten Woche sind die Tour-Berge zumeist auch eher Hügel, Wüst war daher mehr ein Hügelkönig. Selbst Geschke meint lachend in Bezug auf den früheren Rekordhalter: „Sicher habe ich es eher verdient als Marcel.“ Und für Sebastian Lang, der das gepunktete Trikot bei der Tour 2008 immerhin in den Pyrenäen eroberte, war dann unmittelbar danach in den Alpen Schluss.

Geschke lauert auch noch auf einen Tagessieg

Der deutsche Rekord bedeutet Geschke nicht viel. Er wusste nicht mal davon: „Es musste mir erst jemand stecken.“ Zu den Höhepunkten seiner Laufbahn zählen diese Tage in Frankreich allemal. Im letzten Jahr steckte er in einem emotionalen Tal: Corona erwischte ihn bei den Olympischen Spielen. Statt Straßenrennen hieß es Corona-Hotel. Und das war, glaubt man Geschke, eher ein Knast als ein Hotel.

Das Erfolgsjahr jetzt – im Frühjahr ließ er als Dritter der Romandie-Rundfahrt aufhorchen – ist nur mit seiner Saison 2015 vergleichbar. Da gewann er eine Tour-de-France-Etappe und holte auch je einen dritten und vierten Platz bei Etappen des Giro d’Italia. Auch jetzt ist Geschke auf einen Tageserfolg aus. „Ein Tour-Etappensieg zählt mehr, als ein paar Tage ein Wertungstrikot zu tragen“, sagt er zu seinen Prioritäten. „Das heißt nicht, dass ich jetzt tauschen möchte“, fügt er aber schnell hinzu. Simon Geschke genießt die Tage im Punkte-Shirt – ein Etappensieg würde sie veredeln.