St. Gallen. Gegen den Fußballzwerg fällt das erste deutsche Tor erst kurz vor Halbzeit. Fans murren beim ersten Auftritt von Bundestrainer Flick.

Timo Werner hob fast pflichtschuldig die Arme und nahm die Gratulationen entgegen, die ihm die herbeigeeilten Mitspieler erbrachten. Aus den Gesichtern der deutschen Nationalspieler sprach dabei mehr Erleichterung als Freude, denn auf Werners Treffer hatten sie lange warten müssen: Erst nach 41 Minuten fiel das 1:0 gegen den Fußballzwerg Liechtenstein – und das allein war Beleg dafür, wie schwer sich die deutsche Nationalmannschaft im ersten Länderspiel unter dem neuen Bundestrainer Hansi Flick tat.

2:0 (1:0) hieß es am Ende vor 7958 Zuschauern im Kybunpark im Schweizer St. Gallen. Denn Liechtenstein war zwar offiziell die Heimmannschaft, aber mit dem Heimvorteil war das so eine Sache: Im Rheinpark-Stadion von Vaduz musste der der Rasenplatz saniert werden, was ursprünglich für 2020 geplant, aber um ein Jahr verschoben worden war. So musste ein Ausweich-Stadion gefunden werden – und der Kybunpark in St. Gallen ist von Liechtenstein aus das nächste, das von der Europäischen Fußball-Union (Uefa) für Länderspiele zugelassen ist.

„Natürlich haben wir uns schon vorgenommen, mehr Tore zu machen“, sagte Ersatzkapitän Joshua Kimmich bei RTL. „Wir haben uns wirklich schwer getan. Es war ein komisches Spiel, ein schwieriges Spiel, weil der Gegner sehr, sehr tief verteidigt hat. Wir hatten ein paar Möglichkeiten, die ganz dicken Dinger sind ausgeblieben.“

Schützenfest gegen Liechtenstein bleibt aus

Mit dem Kopf durch die Wand: Nationalspieler Niklas Süle (links).
Mit dem Kopf durch die Wand: Nationalspieler Niklas Süle (links). © AFP

Mit dem Heimvorteil für Liechtenstein war es aber auch deswegen so eine Sache, weil zwar eigentlich derzeit von der Uefa noch keine Auswärtsfans zugelassen werden – den optischen und akustischen Eindrücken nach aber sehr viele Anhänger der deutschen Nationalmannschaft den Weg ins grenznahe St. Gallen gefunden. Als Flick vor Anpfiff zu seinem ersten TV-Interview schritt, wurde er von gut vernehmbarem Jubel begleitet, auch den deutschen Spielern brandete Beifall entgegen, als sie den Rasen betraten. Mit zunehmender Spieldauer aber wurde aus dem Klatschen ein Murren und Motzen. Denn der angepeilte Sieg in der WM-Qualifikation war zwar gelungen, das erwartete Schützenfest gegen den 189. der Weltrangliste aber nicht einmal in Ansätzen zu sehen.

Flick hatte in seinem ersten Spiel eine Mischung aus Etablierten und Frischlingen aufgeboten: Joshua Kimmich kehrte wie angekündigt ins Mittelfeld zurück und trug auch gleich die Kapitänsbinde. Neben ihm agierte Ilkay Gündogan, vorne stürmte Timo Werner. Insgesamt wenig überraschend – anders als die Tatsache, dass Leon Goretzka, Marco Reus und Serge Gnabry erst einmal auf der Bank saßen. Dafür kam der 18-jährige Musiala zu seinem Startelfdebüt und U21-Europameister Ridle Baku zu seinem zweiten Länderspiel. Flick hatte wohl schon im Hinterkopf, dass in den sechs folgenden Tagen die auf dem Papier schwierigeren Aufgaben gegen Armenien und Island anstehen.

Deutschland hat gefühlt 128 Prozent Ballbesitz

Die Spieler offenbar auch, vielleicht hatte sie aber auch die Liechtensteiner Hymne kurz vor Schluss in eine Schockstarre versetzt. Die nämlich hat dieselbe Melodie wie die englische, und als die deutschen Nationalspieler diese Hymne zuletzt gehört hatten, nahm das bekanntlich kein gutes Ende.

Nationalspieler Timo Werner (2. v. l. feiert mit seinen Teamkollegen die Führung gegen Liechtenstein.
Nationalspieler Timo Werner (2. v. l. feiert mit seinen Teamkollegen die Führung gegen Liechtenstein. © AFP

In St. Gallen waren die Kräfteverhältnisse erwartungsgemäß anders verteilt. Deutschland hatte gefühlte 128 Prozent Ballbesitz, wusste damit aber nur phasenweise etwas anzufangen. Joshua Kimmich (4.) und Werner (7.) kamen gefährlich zum Schuss – doch Benjamin Blüchel, sonst beim FC Vaduz in der zweiten Schweizer Liga im Tor, wehrte ab.

Ansonsten aber tat sich die deutsche Mannschaft schwer, den dichten Liechtensteiner Abwehrriegel zu knacken. Dass vom schnellen Umschalten, das sich Flick gewünscht hatte, nichts zu sehen war, konnte man den deutschen Spieler noch am wenigsten vorwerfen – wie soll man umschalten, wenn man immer den Ball hat? Allerdings hatte Flick auch Intensität und Tempo gefordert, zu sehen bekam er Behäbigkeit und Ideenarmut.

Musiala bereitet das 1:0 von Werner vor

Robin Gosens schreckte mit seinem Kopfball an den Pfosten (19.) noch kurz auf aus der Lethargie, dann kam lange nichts. Bis zur 41. Minute, bis Jamal Musiala von links nach innen zog, zwei, drei, vier Gegenspieler umtänzelte und im richtigen Moment in den Strafraum steckte. Werner lief noch ein paar Schritte und schob den Ball dann durch Büchels Beine ins Tor.

Beflügelt schien die deutsche Mannschaft von der Führung allerdings nicht, auch die zweite Hälfte gestaltete sich zäh. Und wenn sie sich einmal durchkombinierte, stand dieser Büchel im Weg, der im Liegen erst gegen Gosens, dann gegen Gündogan rettete (58.).

Leroy Sané erhöht auf 2:0

Flick reagierte, brachte erst Reus, Gnabry und Jonas Hofmann auf einen Schlag und später noch Goretzka. Die deutsche Mannschaft agierte etwas druckvoller – und erhöhte: Leroy Sané schoss von halblinks ins lange Eck – 2:0 (77.). Ein hochverdienter Sieg, natürlich. Und doch wurde das Spiel kein Zeugnis des Neuanfangs – sondern dafür, dass für den neuen Bundestrainer noch eine ganze Menge zu tun ist.

So haben sie gespielt

Liechtenstein: Büchel/FC Vaduz (32 Jahre/36 Länderspiele) - Sandro Wolfinger/USV Eschen/Mauren (30/43) ab 83. Yildiz/FC Balzers (32/48), Malin/FC Dornbirn 1913 (27/28) ab 83. Kollmann/FC Ruggell (26/3), Kaufmann/USV Eschen/Mauren (30/62), Hofer/FC Biel-Bienne (23/16), Göppel/USV Eschen/Mauren (23/42) - Noah Frick/Neuchatel Xamax (19/9) ab 71. Kardesoglu/FC Balzers (24/4), Frommelt/USV Eschen/Mauren (20/11), Hasler/FC Thun (30/76) - Sele/FC Chur 97 (24/30) ab 61. Fabio Wolfinger/USV Eschen/Mauren (24/11), Yanik Frick/Energie Cottbus (23/20) ab 71. Grünenfelder/FC Balzers (22/4). - Trainer: Stocklasa

Deutschland: Leno/FC Arsenal (29 Jahre/9 Länderspiele) - Baku/VfL Wolfsburg (23/2) ab 60. Hofmann/Borussia Mönchengladbach (29/4), Kehrer/Paris St. Germain (24/10), Süle/Bayern München (25/33), Gosens/Atalanta Bergamo (27/12) - Kimmich/Bayern München (26/60) ab 82. Wirtz/Bayer Leverkusen (18/1), Gündogan/Manchester City (30/50) ab 73. Goretzka/Bayern München (26/36) - Musiala/Bayern München (18/6) ab 60. Reus/Borussia Dortmund (32/45), Havertz/FC Chelsea (22/19) ab 60. Gnabry/Bayern München (26/27), Sane/Bayern München (25/35) - Werner/FC Chelsea (25/43).

Schiedsrichter: Fabio Verissimo (Portugal)

Tore: 0:1 Werner (41.), 0:2 Sane (77.)

Zuschauer: 7958 (in St. Gallen)