Leipzig. DFB-Direktor Bierhoff vermisst die Unterstützung für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Doch er gibt zu: “Wir haben Sympathien verspielt“.

Die Stadt Leipzig, das kann man nicht anders sagen, zeigte sich am Montagmittag doch wieder von seiner schönsten Seite. Blauer Himmel, bunte Bäume – und Sonne satt. Auch in der zentral gelegenen Nordstraße, wo noch am Sonnabend Corona-Leugner, Hooligans und Rechtsradikale ihr Unwesen trieben, ging es zwei Tage später wieder gesittet zu. Drei Kamerateams, drei Fotografen, eine Handvoll Journalisten und ein halbes Dutzend Autogrammjäger – fast alle mit Mundschutz – verfolgten aus der Distanz, wie ein Nationalspieler nach dem nächsten vor dem Nationalmannschafshotel „The Westin“ vorgefahren wurde. Sechs Tage lang residiert hier das DFB-Team, das am Mittwoch gegen Tschechien (20.45 Uhr/RTL) und am Sonnabend gegen die Ukraine (20.45 Uhr/ZDF) in der nahe gelegenen Red-Bull-Arena spielt.

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Auch Oliver Bierhoff war mit dem Auto angereist, hatte allerdings trotz herrlichem Herbstwetter eine Unwetter-front ausgemacht. „Es wird derzeit immer eine dunkle Wolke über die Nationalmannschaft geschoben“, sagte der DFB-Direktor, als er zu einer zuvor angekündigten Pressekonferenz bat, mit deren Inhalt aber wohl kaum einer gerechnet hatte. Bierhoff hatte Redebedarf – und davon reichlich. Handgestoppte 15 Minuten und 28 Sekunden nutze der 52-Jährige das digitale Zoom-Gespräch zu Beginn zu einem Monolog, in dem er die schlechte Stimmung rund ums Nationalteam thematisierte. Die gesamte Pressekonferenz dauerte sogar knapp 50 Minuten lang.

Oliver Bierhoff: "Jungen Spieler haben unser Vertrauen verdient"

„Wir haben mit der Nationalmannschaft Sympathien verspielt. Wir sind momentan nicht mehr Deutschlands liebstes Kind“, räumte Bierhoff zunächst selbstkritisch ein. „Wir sind nicht mehr das Lagerfeuer der Nation.“ Der frühere Nationalstürmer ging ohne langes Taktieren in die Offensive – und beschrieb schonungslos, wie sehr Image und Ansehen von „Deutschlands wichtigster Fußballmannschaft“ in den vergangenen Monaten gelitten hätten. Allerdings nutzte Bierhoff seine Redezeit auch zum Gegenpressing. So habe es ihm auch wehgetan, wie sehr zuletzt gerade die junge Mannschaft kritisiert worden sei. Es gehe ihm vor allem um die Tonalität der Kritik, so Bierhoff. „Die Mannschaft stellt sich doch. Die jungen Spieler haben unser Vertrauen verdient – und sie werden es auch wieder zurückzahlen.“

Von den fünf Spielen im sehr schwierigen Jahr 2020 konnte die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw nur ein einziges gewinnen. Neben dem wenig spektakulären 2:1-Sieg in der Ukraine gab es gleich vier Unentschieden gegen Spanien (1:1), zweimal die Schweiz (1:1, 3:3) und die Türkei (3:3). Besonders die zahlreichen späten Gegentore wurden – zum Teil heftig – kritisiert, die Rufe nach den aussortierten Routiniers Thomas Müller (31), Mats Hummels (31) und Jerome Boateng (32) immer lauter.

DFB-Team: Bitte um Geduld vor den letzten Länderspielen

Vor den letzten drei Spielen des Jahres – am kommenden Dienstag (20.45 Uhr/ZDF) spielt das DFB-Team auch noch in Sevilla gegen Spanien – warb Bierhoff nun um Geduld. So habe er nachgerechnet, dass die Nationalspieler, die am Montagvormittag in Leipzig eingetroffen waren, im Schnitt gerade einmal sieben Länderspiele vorweisen können. Bei den Partien im Oktober, rechnete er weiter, habe es nur vier Spieler mit mehr als 50 Länderspielen gegeben. Und trotzdem würde jeder der Jungs alles geben. „Ein Toni Kroos“, sagte Bierhoff, „hofft nicht mehr auf Geld oder Ruhm durch das Nationalteam.“

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Ob sich aber Chefkritiker wie Lothar Matthäus („Das ist nicht mehr unsere Nationalmannschaft“) durch Bierhoffs eindringliche Worte besänftigten lassen, ist genauso ungewiss wie dessen Segen für das neue Nationalmannschaftstrio. Neben dem Augsburger Felix Uduokhai (23) und dem früheren Augsburger Philipp Max (27,PSV Eindhoven) nominierte Löw am späten Sonntagabend noch einen Nicht-Augsburger nach: Für den verletzten Joshua Kimmich, dessen lädierter Meniskus am Wochenende bereits operiert wurde, holte Löw überraschend Wolfsburgs Ridle Baku (22).

DFB-Team: Debütanten dürfen sich Hoffnung machen

Ridle wer? Der Rechtsverteidiger, der in Mainz geboren wurde und bis vor einem Monat auch bei Mainz 05 spielte, gilt als komplett unbeschriebenes Blatt. Trotzdem war Bote Nzuzi „Ridle“ Baku, dessen kongolesischer Vater ihm als Kind in Anlehnung an Karl-Heinz Riedle den Spitznamen Ridle verpasste, dem VfL Wolfsburg bereits vor einem Monat zehn Millionen Euro wert. Baku, dessen Zwillingsbruder Makana bei Holstein Kiel spielt, gilt als einer der Shootingstars des bisherigen Saisonstarts.

Und Bierhoff deutete am Montag an, dass sich Baku, Uduokhai und Max durchaus Hoffnungen machen dürfen, bereits am Mittwoch im Test gegen Tschechien zu debütieren. Der eine oder andere Champions-League-Spieler soll dagegen zunächst noch geschont werden, ehe der 27-Mann-Kader vor den beiden Nations-League-Spielen gegen die Ukraine und in Spanien dann wieder ein wenig verkleinert werde – und die dunklen Wolken über der Nationalmannschaft sich idealerweise verzogen haben.