Melbourne. Ohne große Erwartungen war Alexander Zverev zu den Australian Open gereist. Jetzt steht er ohne einen Satzverlust im Viertelfinale.

Es war ein schon ein bisschen gemein: Während drüben in der brodelnden Rod-Laver-Arena zur gleichen Zeit das bisherige Turnier-Highlight dieser Australian Open zwischen Rafael Nadal und Local Hero Nick Kyrgios über die Bühne ging, spielte Alexander Zverev sein Achtelfinal-Spiel gegen den Russen Andrey Rublev an diesem kühlen Montagabend in der halbleeren Melbourne-Arena. Aber vielleicht war es genau diese "Unter-dem-Radar"-Stimmung, die Deutschlands bester Tennisspieler gebraucht hat, um am Ende auch sein viertes Spiel beim ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres am Ende ungefährdet in drei Sätzen mit 6:4, 6:4 und 6:4 zu gewinnen - und ziemlich überraschend ins Viertelfinale einzuziehen.

Überraschend deshalb, weil mit dieser Leistungsexplosion nicht zu rechnen war. Vor allem auch deshalb, weil die Wochen vor dem ersten Höhepunkt des Tennisjahres für Zverev so verheerend verliefen. Alle drei Einzelspiele beim neu eingeführten Teamwettbewerb "ATP-Cup" in Brisbane verlor er für Deutschland sang- und klanglos, produzierte dabei massenhaft Doppelfehler, zertrümmerte Schläger wie John McEnroe zu schlimmsten Zeiten und legte sich zu allem Überfluss nach einem Match auch schon mal lautstark und wenig charmant mit seinem Vater, der gleichzeitig sein Trainer ist, an. Peinlich waren diese Auftritte. Die Experten waren sich danach einig: Dieser Alexander Zverev wird bei den Australian Open keine große Rolle spielen. Zu schlecht war die Form. Zu schlecht war auch die Einstellung.

Als einziger Spieler mit weißer Weste

"Ich habe überhaupt keine Erwartungen an ihn. Niemand sollte die haben. Er kann hier eigentlich nicht viel Matches gewinnen, schon gar nicht das Turnier", sagte der siebenfache Grand-Slam-Sieger Mats Wilander im Interview mit dieser Redaktion vor dem Start in Melbourne. Aber Wilander sagte auch: "Druck gibt es für ihn nicht, vielleicht ist das sogar ein Vorteil." Der Schwede hat, was das betrifft, Recht behalten.

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Zverev schwebt bisher ohne Druck und auch ohne eine eigene Erwartungshaltung wie eine Feder durch die Australian Open und präsentiert sich in einer bestechender Verfassung. Der Sieg gegen Rublev war bereits das vierte Match ohne Satzverlust. Selbst die drei Favoriten auf den Titel, Novak Djokovic, Rafael Nadal und Roger Federer, haben in dieser inoffiziellen Wertung alle schon Minuspunkte auf der Uhr. Zverev dagegen hat als einziger verbliebener Spieler im Turnier noch eine weiße Weste. Das ist bemerkenswert.

Zverev hat jetzt die Nerven im Griff

Woher kommt jetzt diese plötzliche Leistungsexplosion? “Ich habe hart gearbeitet. Ich habe in der Woche vor dem Start mehr trainiert als jeder andere, fünf, sechs, sieben Stunden täglich", sagte der ATP-Weltmeister von 2018 unmittelbar vor den Australian Open. Das Training zahlt sich aus. Der Problem-Aufschlag ist plötzlich wieder eine Waffe, dazu kommt, dass sich Zverev auf dem Platz hervorragend bewegt, fit wirkt - und: seine Nerven im Griff hält. Das war nicht immer so.

Aber auch abseits des Platzes läuft es derzeit. "Ich habe ein ziemlich ruhiges Leben gerade, was schön für mich ist. Ich bin sehr glücklich“, sagte er nach dem 6:2, 6:2, 6:4 in der dritten Runde gegen den früheren spanischen Melbourne-Halbfinalisten und Top-Ten-Spieler Fernando Verdasco. Zverevs neue Freundin Brenda Patea, das ließ sich zwischen den Zeilen daraus lesen, hat vieles zum Positiven verändert. Das Model sitzt hier in Melbourne bei jedem Spiel mit in seiner Box, so wie der Vater, Kumpel Marcelo Melo, Physiotherapeut Hugo Gravil, Fitnesstrainer Jez Green und Trainingspartner Sergej Bubka junior. Es ist auch das Gesamtpaket, das Team, das Zverev so stark macht.

Jetzt gegen Warinka - und den Fluch

Am Mittwoch steht nun das Viertelfinale an. Es ist erst das dritte Mal, dass der 22-Jährige bei einem Grand-Slam-Turnier soweit gekommen ist - bei 19 Teilnahmen. Gegen den Schweizer Stan Wawrinka, der das Turnier in Melbourne 2014 gewinnen konnte, geht es also auch ein bisschen gegen den Fluch, bei den vier großen Turnieren regelmäßig nie so richtig weit zu kommen.

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Zverev wollte nach seinem Achtelfinal-Erfolg nicht viel über das kommende Spiel erzählen. Ein paar Floskeln fielen. Das Übliche. Nur eines blieb hinterher hängen: "Es gibt für mich jetzt keinen Grund, nicht selbstbewusst zu sein. Aber stolz auf das Erreichte bin ich noch nicht. Ich kann hoffentlich noch ein paar Matches spielen, dann kann ich vielleicht auch stolz sein." Es ist auch ein persönlicher Reifeprozess, den dieser Alexander Zverev gerade in Australien durchmacht. Seine Reise ist noch nicht vorbei.