New York. Generationenduell versinkt im Chaos: Serena Williams verliert die Nerven und am Ende auch das Finale gegen die Japanerin Naomi Osaka.

Es gehört zum guten Brauch, dass auch der Schiedsrichter eines großen Tennisfinales während der Siegeszeremonie ein paar lobende Worte und ein kleines Erinnerungsgeschenk erhält. Doch als am Samstagabend die offizielle Pokalfeier des denkwürdigsten Damenendspiels der jüngeren US Open-Geschichte ihren Lauf nahm, da hatte Spielleiter Carlos Ramos längst das Arthur Ashe-Stadion verlassen müssen - wie ein gerade erwischter Halunke war der portugiesische Referee de facto zur Unperson erklärt und klammheimlich von breitschultrigen Bodyguards vom Centre Court wegeskortiert worden.

„Serena hat Grenzen überschritten und musste dafür büßen"

Ramos, einer der strengsten und korrektesten Schiedsrichter im Tenniscircuit, hatte an diesem 8. September 2018 bloß seine amtliche Pflicht und Schuldigkeit getan – und war doch unversehens zum Hauptdarsteller eines teils wunderlichen, teils bizarren Dramas geworden, das den bemerkenswerten 6:2, 6:4-Titelcoup der 20 Jahre jungen Japanerin Naomi Osaka gegen Serena Williams heftig überschattete. Statt eines hollywoodreifen Happy-Ends für Mutter Williams, mit dem 24. Grand Slam-Sieg nur ein Jahr nach der komplizierten Geburt von Töchterchen Olympia, versank das Drehbuch dieses Major-Finals schließlich im Chaos – mit Superheldin Serena im Zentrum der Aufmerksamkeit, aus den komplett falschen Gründen. Verwarnung, Punktabzug, Spielabzug: Aus dieser Trilogie der Bestrafungen gegen Williams war der Stoff einer veritablen Skandalnummer gemacht, die das sportlich komplett verdiente Scheitern der 36-jährigen Amerikanerin an den Rand drängte. „Serena hat Grenzen überschritten und musste dafür büßen. So einfach ist es“, sagte der sechsmalige Grand Slam-Champion Boris Becker zu dem Grand Slam-Aufreger in New York.

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Passiert war dies an Tag 13 der US Open, im Generationenduell, das über die Königinnenkrone des Jahres 2018 entschied: Wegen eines Fingerzeigs ihres Trainers Patrick Mouratouglu erhielt Williams zunächst eine Verwarnung wegen „unerlaubten Coachings“. Sie nahm es zunächst relativ gleichmütig hin, aber als sie im zweiten Satzes – nach einem Aufschlagverlust zum 3:2 - wegen eines im Zorn zerschmetterten Rackets eine zweite Verwarnung und damit auch einen Punktabzug erhielt, schoß ihr offenbar das erste geahndete Vergehen wieder in den Kopf. „Du nennst mich eine Betrügerin. Ich betrüge nicht, das ist nicht mein Charakter. Eher würde ich verlieren“, brüllte die scheinbar in ihrer Ehre gekränkte Williams den Referee im heiligen Zorn an, „du schuldest mir eine Entschuldigung. Du wirst nie wieder auf einem Court mit mir sein.“

„Du bist nicht nur ein Lügner, sondern auch ein Dieb“

Die wütende Tirade ging immer weiter, bis zur Anklage mit ausgestrecktem Zeigefinger in Richtung Ramos: „Du bist nicht nur ein Lügner, sondern auch ein Dieb.“ Das konnte und wollte sich der Portugiese nicht gefallen lassen, verhängte eine Spielstrafe, aus einem 3:4- wurde ein 3:5-Rückstand für die sportlich ohnehin schon an der Wand stehende Amerikanerin. Es war alles völlig regelkonform, aber es war auch zuviel für Williams und die aufgepeitschten Fans: Minutenlang diskutierte die erfolgreichste Spielerin der Gegenwart mit den auf den Centre Court aufmarschierten Supervisoren Donna Kelso und Brian Earley, beteuerte immer wieder, es sei „nicht fair“, was passiert sei. Und außerdem: „Die Männer können sich solche Dinge leisten, ohne dass sie ähnlich dafür bestraft werden.“ Damit war dann auch der Ton vorgegeben für eine Klagemelodie, die Williams nach dem Eklat anstimmte: „Ich werde weiterkämpfen für Frauenrechte und für Gleichbehandlung“, sagte sie in ihrer späteren Pressekonferenz, die eher einem großen Monolog glich.

Im Ashe-Stadion hatte die Verliererin immerhin noch kurz Fassung und Vernunft zurückgewonnen – bei der Kür der Siegerin. Als die 24.000 Zuschauer bei der Zeremonie nicht mit einem gellenden Pfeifkonzert aufhören wollten und Osaka zu einem Tränenausbruch trieben, ergriff Williams das Mikrofon und forderte die aufgebrachte Masse auf, die Unmutsäußerungen einzustellen. Osaka habe das „nicht verdient“, so Williams, „so soll sich ein Grand Slam-Sieg nicht anfühlen. Lasst uns das jetzt anständig zu Ende bringen.“

Nicht der erste Ausraster

Es war keineswegs das erste und einzige Mal, dass Williams in der Hitze des Gefechts bei ihrem Heim-Grand Slam erst die Contenance und dann auch wichtige Matches verlor. 2009 war die 36-jährige im Halbfinalmatch gegen die Belgierin Kim Clijsters sogar disqualifiziert worden, nachdem sie einer Linienrichterin angedroht hatte: „Bei Gott, ich stopfe Dir einen dieser verdammten Bälle in den Hals, ich schwöre es.“

Für den Black-Out wurde sie dann noch mit einer 175.000-Dollar-Strafe belegt. Zwei Jahre später, im New Yorker Finale der Saison 2011 gegen die Australierin Sam Stosur, geriet die jüngere der beiden Williams-Schwestern mit der griechischen Schiedsrichtern Eva Asderaki-Moore aneinander und beleidigte sie mit den Worten: „Du bist hässlich von innen.“