Sotschi. Nun hat es den Gastgeber erwischt. Im Viertelfinale verlor Russland nach Elfmeterschießen gegen Kroatien, das nun auf England trifft.

Es dauerte nur wenige Sekunden, ehe das Gefühl der unendlichen Trauer durch das Gefühl des grenzenlosen Stolzes abgelöst wurde. 5:6 nach Elfmeterschießen hatte WM-Gastgeber Russland gegen Kroatien gerade verloren – doch der verdiente Applaus für das tapfer kämpfende Heimteam dürfte um kurz vor Mitternacht (Ortszeit) mindestens bis ins 1600 Kilometer entfernte Moskau zu hören gewesen sein. Do svidaniya, Rossija!

Die Stimmung in dem Ferienörtchen Sotschi am Schwarzen Meer hätte auch bereits Stunden vor dem Anpfiff kaum begeisternder sein können. An der kilometerlangen Strandpromenade konnte am Samstag kaum ein Russe ohne Flagge in der Hand, zusammengeknotet auf dem Kopf oder auf die Wangen gepinselt gesichtet werden. Als dann kurz vor dem Anpfiff im ausverkauften Olympiastadion Fisht auch noch die inoffizielle WM-Hymne „Kalinka“ eingespielt wurde, kannte der Jubel keine Grenzen mehr.

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Die gute Stimmung erhielt auch keinen Dämpfer, als das Spiel zunächst nicht ganz mit den Aktivitäten auf der Tribüne mithalten konnte. Aber gerade als sich das Niveau der Partie zunehmend zum Gegenpol des Feuerwerkspiels vom Vorabends zwischen Belgien und Brasilien (2:1) entwickelte, entschied sich Russlands Spanienlegionär Denis Cheryshev die Initiative zu ergreifen: Solo Cheryshev, Doppelpass mit Artem Dzyuba, dann die erneute Ballannahme mit rechts, zwei Schritte, Abschluss mit links in den linken Winkel. Was für ein Tor – was für eine Explosion.

Hoffenheimer Kramaric trifft für Kroatien

Doch so plötzlich das Tor der unendlichen Freude auf der einen Seite fiel, so plötzlich wurde ein Großteil der 44.287 Zuschauer auf der anderen Seite wieder unsanft aus ihren Träumen gerissen. Schuld hatten Mario Mandzukic, der allen Russen auf der linken Seite enteilte, und der Hoffenheimer Andrej Kramaric, der die gefühlvolle Hereingabe mit brachialer Wucht einköpfte.

So stand es nach 45 ausbaufähigen Minuten 1:1, wobei kaum ein Zuschauer im Stadion das Spielniveau ernsthaft beklagt haben dürfte. Daran änderte sich auch nach dem Wiederanpfiff nichts, als die Partie schnell wieder an die ersten 30 Minuten erinnerte. Auf dem Rasen passierte erneut wenig bis gar nichts – und auf der Tribüne wurde ein Volksfest gefeiert.

Diesmal war es der Ex-Wolfsburg-Dortmunder Ivan Perisic, der gewillt war, die Rolle des kroatischen Spielverderbers zu übernehmen. Doch Inter Mailands Offensivallrounder zielte zu genau und überprüfte lediglich die Beschaffenheit des linken Innenpfostens (60.).

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Die gute Nachricht: Der Pfosten hielt. Die schlechte Nachricht für den Gastgeber: Perisic‘ letzte Aktion vor seiner Auswechslung sollte zur Initialzündung für die nun immer dominanter auftretenden Kroaten werden. Doch ähnlich wie Spanien im Achtelfinale bissen sich auch Luca Modric und Co. die Zähne an den bestens organisierten Russen aus. Und so stand nach 95 Minuten statt eines Siegers nur eines fest: Verlängerung. Schon wieder.

Zwei Tore in der Verlängerung

Und der 30-minütige Zuschlag sollte es in sich haben. Diesmal waren zunächst die Kroaten an der Reihe: Ein eher harmloser Kopfball Domagoj Vidas ging an Freund und Feind vorbei – und schlug mitten ins russische Fußballherz ein (101.). Doch wer nun dachte, dass Russlands Kampfeswille damit gebrochen sei, der sollte sich fundamental irren. Die immer lauter werdenden Zuschauer mussten allerdings bis zur 115. Minute warten, ehe sie der gebürtige Brasilianer Mario Fernandes mit seinem platzierten Kopfball zum 2:2 erlöste. Es folge, was folgen musste: Elfmeterschießen. Auch schon wieder.

Der Nervenkrimi in der Kurzfassung: Bei den Russen, die gegen Spanien noch jubeln durften, verschossen diesmal Fedor Smolov und Fernandes, wodurch der Fehlschuss von Mateo Kovacic nicht ins Gewicht fiel. Um 23.50 trat der frühere Schalker Ivan Rakitic zum letzten Elfmeter an – und traf unten links. Die Gastgeber verabschiedeten sich mit einer Ehrenrunde – und Kroatien darf sich nun auf das Halbfinale am Mittwoch im Luschniki-Stadion gegen England freuen. Was für eine Dramatik.