Essen. Joachim Löw bleibt Bundestrainer, obwohl die Nationalmannschaft in der WM-Vorrunde ausgeschieden ist. Das ist ein großes Risiko.

Zwischen beiden Nachrichten lagen nur wenige Minuten. Die FAZ berichtete am Dienstagmorgen von Vorwürfen aus der Mannschaft an Bundestrainer Joachim Löw und DFB-Direktor Oliver Bierhoff, dass sie mit ihrer Sorglosigkeit das blamable WM-Aus provoziert hätten. Kurz darauf steuerten Sport-Bild und die Bild-Zeitung dagegen: Löw macht weiter und wird den Umbau der Nationalelf forcieren.

Noch bevor die eine oder andere Nachricht bestätigt werden konnte, überschlugen sich die Meinungsäußerungen und Spekulationen, Unmutsbekundungen und Zustimmungen. Wir können das positiv sehen: Die deutsche Nationalmannschaft weckt noch immer Emotionen. Aber auch negativ: Der DFB hat die Kontrolle über das Thema verloren und ist ein getriebener Verband.

Die Löw-Entscheidung wird am DFB vorbei lanciert

Der Deutsche Fußball-Bund wird einwenden, dass er ja immer gesagt hat: Löw hat einen Vertrag bis 2022 und soll sich noch in dieser Woche äußern, ob er den Vertrag erfüllen möchte. Nur liegt in dieser Sichtweise das Bürokratische, das den DFB und seinen Präsident Reinhard Grindel so alt aussehen lässt. Die Löw-Entscheidung wird an der Otto-Fleck-Schneise vorbei lanciert.

Reaktionen zur Löw-Entscheidung

weitere Videos

    Dass Löw überhaupt die Entscheidung überlassen wird, wie es mit der Nationalmannschaft weitergeht, ist Ausdruck der Hilflosigkeit in der DFB-Spitze. Es gibt keine Alternative zu Löw. Alle Fußballehrer, die als Bundestrainer infrage gekommen wären, sind an ihre Klubs dauerhaft gebunden. Für eine Rückkehr des Querdenkers Jürgen Klinsmann fehlen Kraft und Vision.

    Die Vorwürfe gegen Löw wiegen schwer

    Darum konnten sie beim DFB nicht einmal die geforderte WM-Analyse abwarten, die hoffentlich eine Prüfung enthält, ob sich die Situation für Löw geändert haben könnte, seit die WM 2018 schieflief. Zum Beispiel: Wie groß Löws Anteil am Versagen des WM-Kaders wirklich ist. Die FAZ-Vorwürfe wiegen schwer und klingen, als sei Löw Opfer seines eigenen Egos geworden.

    Die Analyse kann, wenn sie ernsthaft vorgenommen wird, diese Behauptung widerlegen oder bestätigen. Erst danach weiß der DFB mit letzter Bestimmtheit, ob Löw noch der richtige Bundestrainer für die Verjüngung der Nationalmannschaft ist. Jetzt sticht der DFB in See und lotet seine Fahrtrichtung ohne Orientierungshilfe aus. Eine gefährliche Reise ist das.

    Kredit hat Joachim Löw nicht mehr

    Vor zwei Jahrzehnten, nach der WM 1998, hat der DFB das schon einmal getan und hat mit Berti Vogts weitergemacht. Schon beim nächsten Länderspiel, nach Reaktivierung von Stefan Effenberg und dem Gegurke auf Malta, war Schluss: Es gab kein Weiter-so mit Vogts. Der DFB stand vor einem Scherbenhaufen. Jahre des Rumpelfußballs begannen mit Erich Ribbeck.

    Schon Anfang September muss Deutschland im Nations Cup gegen Frankreich antreten. So ein Spiel gegen die Mannschaft der Stunde kann schiefgehen. Einen Kredit aber wird Löw nicht mehr bekommen. Gewinnt er — dann wird man vorsichtig bleiben. Auch die WM-Qualifikation lief ja blendend. Verliert er — geht die Personaldiskussion von vorne los. Vom DFB verschuldet.

    Diskutieren Sie mit dem Autor Pit Gottschalk bei Twitter