Sotschi. Sind sich die Häuptlinge im DFB-Team fremd geworden? Grüppchenbildung wird dementiert. Aber der Beweis für Zusammenhalt fehlt noch.

Es gibt derzeit viele, die es nicht unbedingt gut meinen mit der deutschen Nationalelf. Am Mittwoch kam der Rasensprenger dazu. Er zischte los, als Thomas Müller und seine Kollegen gerade den Trainingsplatz in Sotschi betreten hatten. Kaltes Wasser regnete auf sie nieder. Eilig verschoben sie sich in die hinterletzte Ecke des Spielfelds, und zwar in einer Einheitlichkeit wie man es gegen Mexiko kein einziges Mal gesehen hatte. Aber es war jetzt ja auch eine kollektive Choreografie der Vermeidung gefragt, und so rückten die Spieler zusammen.

Lahm zählt Deutschland weiterhin zum Kreis der WM-Titelfavoriten

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    Zu den Phänomenen unserer Zeit gehört es, dass auf schwierige Fragen gern einfachen Antworten gegeben werden. Warum hat Deutschland erstmals seit 36 Jahren ein WM-Auftaktspiel verloren? Und dann auch noch so kläglich? Warum droht dieser Mannschaft der vielen Renommierten ein historisches frühes Aus, sollte auch das zweite Spiel gegen Schweden am Sonnabend nicht gewonnen werden (20 Uhr/ARD)? Grüppchenbildung! Das ist eine Antwort. „Erste Risse“, titelte die Sport Bild am Mittwoch und berichtete von einem Graben zwischen einer Gruppe mit dem wiederum ziemlich starken Namen „Bling-Bling-Truppe“, zu der Spieler wie Sami Khedira, Jerome Boateng und Mesut Özil gezählt werden. Jene Profis also, die sich gern der Selbstvermarktung in den sozialen Netzwerken widmen. Und auf der anderen Seite sollen Spieler mit einem Bayern-Bezug stehen wie Müller, Manuel Neuer und der Ex-Münchner Toni Kroos.

    Nationalelf-Direktor Bierhoff: "Ich sehe keinerlei Konflikte"

    Gruppen gebe es durchaus, gab Müller am Mittwoch zu. Beim Essen säßen öfter die Spieler zusammen, die sich auch privat gut verstehen. Aber eine Konfliktlinie, an der diese Mannschaft zu zerbrechen droht, verlaufe zwischen den Tischen keinesfalls. „Ich habe Grüppchenbildung erlebt. Bei der EM 2012 zum Beispiel, als das Thema aufkam, dass Dortmund und Bayern konkurrierten, da hatten wir nicht die beste Teamchemie“, sagte Müller. „Aber davon ist heute gar nichts zu spüren.“ Ähnlich äußerte sich Nationalelf-Direktor Oliver Bierhoff: „Ich kann das nur dementieren“, sagte der 50-Jährige. „Ich sehe keinerlei Konflikte innerhalb der Mannschaft.“ Es handelte sich hier um eine kollektive Choreografie der Verneinung.

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      Das sind die offiziellen Statements von Beteiligten, und dass sie so ausfallen war zu erwarten. Aber auch wenn man sich im innersten Kreis der Nationalelf umhört, dann bekommt man nur Kopfschütteln über diese Debatte. „Wir sind kein Kindergarten“, lautet eine Antwort auf die Frage nach den vermeintlichen Zerwürfnissen. Vielmehr wundert man sich intern über die Lust an der Zerstörung, die von außen hereingetragen wird.

      Aber selbst wenn es völlig anders sein sollte, müssten Spannungen nicht unbedingt leistungsmindernde Effekte habe. 2012 hat Deutschland trotz des von offizieller Seite (Müller) bestätigten Dortmund-Bayern-Grabens durch die Nationalelf bis zum EM-Halbfinale begeisternden Fußball gespielt.

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      Ist der Weltmeister im Kopf müde?

      Die Frage, die über dieser WM steht, ist aber eigentlich eine andere. Ist der Weltmeister im Kopf auf eine Weise müde, wie es viele Weltmeister seit der letzten Titelverteidigung durch Brasilien 1962 waren, besonders aber seit 2002, als drei von vier amtierenden Titelträger stets in der Vorrunde ausschieden? Fehlt nach dem Triumph von 2014 einfach das letzte Prozentpünktchen Begeisterung, dass eine Mannschaft befähigt, auch bei großen Widerständen voranzuschreiten und nicht gespaltet zu werden?

      Die Antwort darauf können nur diejenigen geben, die 2014 dabei waren und noch heute das Gestänge bilden, an dem sich das Team von 2018 aufrichten soll: die Führungsspieler. In Löws Team gibt es sechs Häuptlinge mit Kapitän Manuel Neuer, Müller, Khedira, Kroos, Boateng und Mats Hummels. Sie spielen bis auf Hummels seit 2010 in dieser Mannschaft. Und dennoch konnte man gegen Mexiko den Eindruck gewinnen, dass sie sich fremd geworden sind. Kaum Kommunikation auf dem Platz, dafür versteckte Vorwürfe daneben. Die Verteidiger Hummels und Boateng kritisierten die Achtlosigkeit von Kroos und Khedira vor ihnen, ohne Namen zu nennen. Neuer sprach direkt die Führungsspieler an: Jeder müsse sich fragen: „Habe ich die Bereitschaft, das Turnier hundertprozentig anzunehmen.“ Er dürfte auch Kroos gemeint haben, der gegen Mexiko den ein oder andere Gang zu wenig eingelegt hatte.

      Fehleranalyse beim deutschen Team

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        Müller hat daher dazu aufgerufen, wieder zusammen zu rücken: „Wichtig ist, dass wir gemeinsam nach vorn blicken. Es wäre nicht gut, wenn wir uns selbst zerfleischen und auffressen. Wir sollten nicht die Fehler bei anderen suchen: Der macht das schlecht und der das“, sagte der 28-Jährige. Das er dies ausspricht, zeigt, dass es diese Form der Schuldzuweisungen intern offenbar gegeben hat. Soll jetzt gegen Schweden gewonnen werden, muss damit Schluss sein. Zusammen gegen die Müdigkeit, das könnte das Motto sein.

        Jene zarte Müdigkeit im Kopf übrigens haben einige junge Spieler im Kader nicht. Intern gibt es deshalb die Überlegung, mit mindestens einem von ihnen dem Team mehr Begeisterung zuzuführen. Dieser Spieler könnte Leon Goretzka heißen.