Rostow am Don. Nach Argentinien und Deutschland stolperte der dritte WM-Favorit: Brasilien kam im Spiel gegen die Schweiz nicht über ein 1:1 hinaus.

Noch einmal wuschelte sich Neymar da Silva Santos Júnior – oder schlicht und einfach Neymar – durch seine blondierten Haare, ehe der Star der brasilianischen Seleção am späten Sonntagabend in den Katakomben der Rostow-Arena verschwand. Lediglich 1:1 hatten er und seine Kollegen gegen die Schweiz gespielt, was wohl auch daran lag, dass eben jener Mann mit der Spaghettifrisur auf seine doch eigentlich angestammte Rolle als Hauptdarstellers bereitwillig verzichtete.

Noch am Vorabend von Neymars erstem Pflichtspiel seit seinem Haarriss im Mittelfuß Ende Februar hatte Nationaltrainer Tite die Erwartungen gleichermaßen gebremst und angeheizt. Neymar sei noch nicht bei 100 Prozent, sagte der 57 Jahre alte Coach, um nahezu im gleichen Atemzug zu frohlocken: „Aber er ist in sehr guter Verfassung. Er ist so gut, dass er ein großes Spiel machen wird.“

Brasilien hatte dreieinhalb Monate um Neymar gezittert

Ein Riesenspiel hat Superstar Nummer eins (Ronaldo) mit Portugal am Freitag gegen Spanien (3:3) hingelegt. Einen eher klitzekleinen Auftritt hatte Superstar Nummer zwei (Messi) am Sonnabend bei Argentiniens 1:1 gegen Island. Und am Sonntag folgte nun also mit Neymar Superstar Nummer drei, der sich in Rostow am Don irgendwo zwischen den beiden Topstars dieses Planeten (allerdings mit eindeutiger Nähe zu Messi) einordnete.

Dreieinhalb Monate hatte ganz Brasilien um den Mittelfuß der Nation gezittert. Sogar Neymars Rollstuhl (inklusive schwarzer Radkappen) brachte es im Land des fünfmaligen Weltmeisters zu einiger Berühmtheit. Und der brasilianische Patient? Zeigte sich bei Facebook (mehr als 60 Millionen Follower) mit dem Daumen hoch, bei Instagram (mehr als 92 Millionen Follower) grinsend und versprühte auch via Twitter (mehr als 40 Millionen Follower) Optimismus pur.

In der Rostow-Arena waren es dann immerhin 43.109 Follower, die schon früh Neymars Hackentrick Nummer eins (12.) und Hackentrick nur zwei (14.) beklatschten durften. Doch für den ersten Moment der Ekstase sorgte mit Philippe Coutinho ausgerechnet derjenige, der den Superstar der Seleção in dessen Verletzungszeit vertrat und ihn nach seinem Wechsel zu Paris Saint Germain bei Barcelona ersetzte. Coutinhos Schuss aus 20 Metern küsste noch einmal kurz den rechten Innenpfosten, ehe die bereits zu diesem Zeitpunkt verdiente Führung perfekt war (20.).

Doch so hübsch das brasilianische „Joga bonito“ der ersten Minuten auch anzuschauen war, so sehr stellte sich die Schweizer Bundesliga-Elf auf das Spiel der Südamerikaner ein. Gleich acht Eidgenossen aus der Startelf sind oder waren in Deutschland beschäftigt. Und der auffälligste unter ihnen war nicht nur wegen seiner arg gewöhnungsbedürftigen Streifenhörnchen-Frisur Ex-Hamburger Valon Behrami.

Neymars Frisurenbruder im Geiste fand zunehmend daran Gefallen, als Zerstörer alter Schule den Schweizer Spielverderber zu mimen. Besonders Neymar entwickelte sich mehr und mehr zum Lieblingsopfer des robusten Schweiz-Albaners. Der teuerste Spieler der Welt konnte kaum einen Zweikampf gegen den früheren HSV-Profi gewinnen. Doch für das eigene Spiel nach vorne sollte Behramis Lust am Kaputtmachen nicht wirklich helfen, wodurch es nach insgesamt 45 Lala-Minuten bei der brasilianischen Ein-Tore-Führung blieb.

Halbzeit zwei begann wie Halbzeit eins mit einem hübschen, aber wirkungslosen Hackentrick Neymars. Wer nun aber dachte, dass Brasilien nach den Straucheln der WM-Topfavoriten (Spaniens Unentschieden, Argentiniens Remis und Deutschland Auftaktpleite) nun die eigenen Titelambitionen gleich von Anfang an unterstreichen werden würde, der sah sich getäuscht. Ganz und gar. Nach einem Eckball des früheren Münchners Xherdan Shaquiri stieg Hoffenheims Steven Zuber völlig unbedrängt im brasilianischen Fünfmeterraum am höchsten und köpfte mit der ersten Schweizer Chance überhaupt zum 1:1 ein.

Neymar steht mit Brasilien unter Druck

Senhor Tite schaute sich das Geschehen noch weitere zehn Minuten vom Spielfeldrand aus an, ehe Brasiliens Nationaltrainer entschied zu handeln. Für Real Madrids Quarterback Casemiro kam der offensiv begabtere Fernandinho von England-Meister Manchester City. Allzu viel ändern sollte sich im insgesamt zu ideenlosen Spiel nach vorne zunächst allerdings nicht.

Und Neymar? Versuchte viel, köpfte noch einmal, gelang aber insgesamt wenig – und durfte sich auch im zweiten Durchgang von der (ab und an über der Grenze des Erlaubten) Rüppelhaftigkeit Behramis überzeugen. Immerhin einen Zauberpass gönnte sich Brasiliens genesener Mittelfuß, den allerdings Coutinho aus aussichtsreicher Position verzog (70.). Als dann sogar noch Jesus ein Strafstoß verwehrt wurde, war klar, dass der Fußballgott an diesem Abend nicht mehr auf Seiten Brasiliens sein würde. Que surpresa! Welch Überraschung – es blieb beim 1:1.

Die Schweiz will nun den brasilianischen Punktgewinn am Freitag gegen Serbien vergolden, während Neymar und Co gegen Costa Rica plötzlich unter Zugzwang stehen. Übrigens: Der Erste der Brasilien-Gruppe E spielt am 2. Juli in Samara gegen den Zweiten der Deutschland-Gruppe F. Deutsche Fußballfans sollten sich diesen Termin nach dem Auftakt-Wochenende dieser Weltmeisterschaft möglicherweise schon einmal notieren.