Monte Carlo. Der 94er-WM-Held und Ex-Gladbacher Martin Dahlin traut Deutschlands Gruppengegner Schweden eine Überraschung in Russland zu.

In Mönchengladbach war Martin Dahlin schon Jahre nicht mehr. Zwar verfolgt der 50-Jährige, der beim Hamburger SV seine Karriere beendete, weiterhin genau, wie es bei der Borussia so läuft und denkt gern an seine Spiele am Bökelberg zurück, doch sein Alltag als Berater mit eigener Agentur lässt wenig Platz für Abstecher an die alte Wirkungsstätte. Seit über zwölf Jahren lebt Dahlin in Monte Carlo. Dort erreichen wir den früheren Stürmer in seinem Büro, der nicht nur im Fohlen-Dress in der Bundesliga (125 Spiele, 60 Tore) begeisterte, sondern mit Schweden spektakulär Dritter wurde bei der WM 1994 in den USA.

Sind Sie eher ein nostalgischer Typ, Martin Dahlin?

Martin Dahlin: Eher nicht so. Ich habe jedenfalls keine Fotos von mir aus meiner Karrierezeit zu Hause hängen (lacht). Aber auch wenn ich selbst nicht so ein Nostalgiker bin: Ich werde ständig von Leuten auf meine alten Fußball-Momente angesprochen. Deswegen wühlt man trotzdem regelmäßig seine Vergangenheit auf, ja.

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Nervt Sie das?

Dahlin: Oh nein. Das sind wirklich fantastische Erinnerungen! Deswegen stört es mich überhaupt nicht, wenn Leute mich danach fragen.

Welches ist denn Ihre schönste WM-Erinnerung als Spieler?

Dahlin: Natürlich hat es sich unglaublich angefühlt, zwei Tore gegen Russland zu erzielen. Aber ich werde nie vergessen, wir bei unserer Heimreise 100 000 Menschen auf uns gewartet haben. Stockholm war brechend voll! Aber von der Weltmeisterschaft habe ich so einige schöne Erinnerungen behalten.

Was war das Geheimnis der schwedischen Mannschaft, die 1994 in den USA Dritter wurde?

Dahlin: Ich glaube der Schlüssel war, dass wir fast mit der gleichen Mannschaft in die USA gereist sind, mit der wir schon bei der Heim-EM 1992 aufliefen. Dort haben wir ja schon das Halbfinale erreicht und leider gegen Deutschland verloren. Wir waren also schon dort hungrig und auf einer Erfolgsspur. 1994 kamen wir noch gereifter an, hatten Erfahrung gesammelt, die uns während des Turniers sehr geholfen und stärker gemacht hatte.

Was trauen Sie der aktuellen schwedischen Nationalmannschaft zu?

Dahlin: Wir können auf jeden Fall in die K.o.-Runde einziehen, da ich uns den zweiten Platz in der Gruppe zutraue. Ist der einmal erreicht, kann danach alles passieren.

Schwedens Martin Dahlin am Ball. Stefan Effenberg geht in Deckung.
Schwedens Martin Dahlin am Ball. Stefan Effenberg geht in Deckung. © imago

Was wird von dem Team erwartet?

Dahlin: Zunächst einmal ist jeder in Schweden einfach froh, dass wir bei der diesjährigen Fußball-Weltmeisterschaft dabei sind. Das ist nicht unbedingt selbstverständlich. Jetzt, nachdem wir uns qualifiziert haben, müssen wir uns jedoch nicht mit lediglich der Teilnahme begnügen, sondern neue Ziele formulieren. Der Einzug in die K.o.-Runde: Darauf sollten wir schielen und darauf schielen wir. Er wäre schon fantastisch.

Nervt es, dass seit Jahren eigentlich nur über Zlatan Ibrahimovic gesprochen wird?

Dahlin: Alle konzentrieren sich nur darauf. Aus der einen Frage werden medial eintausend Geschichten gemacht. Selbst wenn Ibrahimovic mal nichts sagt. Diese ganze Ibrahimovic-Debatte wird sehr kindisch geführt, meiner Meinung nach - vor allem: noch immer. Sie ist nicht wegzubekommen und das ist schon furchtbar ab einem bestimmten Punkt.

Wäre Schweden stärker mit Zlatan?

Dahlin: Inzwischen ist das für uns eine hypothetische Frage. Ibrahimovic hat seinen Rücktritt früh genug in der Qualifikationsphase erklärt. Schweden hat es ohne ihn geschafft. Die Qualifikation wurde erreicht. Deshalb stellt sich die Frage für mich nicht, ob sie besser wäre. Die Mannschaft hat bereits bewiesen, gut genug zu sein. Er ist medial natürlich sehr präsent und äußert sich gern offensiv, aber hat zuletzt auch keine Anstalten gemacht, konkret wieder in die Nationalelf zurückzukehren.

Kann es auch nicht befreiend sein für ein Team, wenn sich nicht mehr alles um eine Person dreht - auch taktisch?

Dahlin: Natürlich hat sich Schweden das erste Mal seit acht Jahren wieder ohne ihn für die WM qualifiziert, andererseits hat Erfolg viele Gründe, nie nur einen. Ob Schweden mit oder ohne Ibra besser wäre? Unmöglich zu beantworten. Schweden spielt jetzt eine ganz bestimmte Art Fußball, die sich von der mit Ibrahimovic unterscheiden mag. Aber sie ist erfolgreich. Es passt. Vorher hatte es anders gepasst.

Was sind die Stärken dieser schwedischen Mannschaft?

Dahlin: Sie tritt wirklich als Mannschaft und Einheit auf. Die Jungs sind eingespielt. Jeder arbeitet hart, sowohl taktisch, als auch für den anderen. Es ist wirklich schwer, gegen die Mannschaft von Janne Andersson ein Tor zu erzielen. Die Ordnung stimmt bei allen elf Akteuren auf den Platz. Alle sind super diszipliniert, machen Extrameter. Auch der Kampfgeist stimmt.

Wie viele Ihrer Klienten sind bei der WM?

Dahlin: Im schwedischen Kader sind es sechs Spieler. Im Island-Kader zwei.

Wie betreuen Sie diese während des Turniers?

Dahlin: Ich stehe im ständigen Austausch mit meinen Spielern - sowieso. Wegen der Weltmeisterschaft versuche ich nicht öfter als sonst anzurufen. Man sollte nicht plötzlich zu viel ändern. Wir setzen da auf Kontinuität. Es ist wichtig, die Regelmäßigkeit beizubehalten.

Bitten Ihre Spieler Sie häufig nach Ratschlägen, die Sie ihnen als erfahrener Ex-Profi geben können?

Dahlin: Natürlich. Wir reden über alles, sind da ganz offen. Mit den Einen mehr, mit den Anderen weniger. Aber wir sind im dauerhaften Austausch. Aber ja, das ist der Vorteil, wenn man einen Berater hat, der selbst Profifußball gespielt hat. Er ist auf Augenhöhe. Er hat Ähnliches durchgemacht. Er hat Verständnis und deshalb auch oft die richtigen Ratschläge. Mir fällt es leicht, mich in meine Spieler hineinzuversetzen. Manche von ihnen haben wir schon in jungen Jahren gescoutet, andere kommen gerade wegen meiner Erfahrung aber auch zu mir in die Agentur, wenn sie schon älter sind.

Welche Tipps geben Sie den Spielern?

Dahlin: Ich sage ihnen, dass sie an sich glauben müssen. Das ist ganz wichtig. Sie müssen den Glauben haben, dass sie den Unterschied machen können in einem Spiel. Dann gelingt der Durchbruch. Ich sage ihnen, dass sie gut genug sind und die Qualitäten haben, um das zu erreichen, was sie erreichen wollen. Selbstvertrauen ist ganz wichtig bei dem Druck so eines Turniers.

Wie gehen Sie als Berater eigentlich mit Transferfragen um während der WM?

Dahlin: Das wird im Einzelfall entschieden, ob wir das Thema ruhen lassen oder während des Turniers sogar schon Zukunftsgespräche geführt werden.

Wie beurteilen Sie die Preisentwicklung auf dem Transfermarkt?

Dahlin: Gerade alle vier Jahre, in WM-Jahren, sieht man, dass sich alle Transferaktivitäten zeitlich ganz deutlich verschieben – und das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Preise, wenn alle warten – auch auf Dinge, die bei der WM passieren. Der Sommer wird sehr stressig für mich werden im späteren Verlauf.

Werden Sie einige Spiele besuchen?

Dahlin: Ich werde mit Sicherheit nach Russland reisen, um Spiele anzuschauen. Ich habe Karten für die Spiele, auch für die Partie gegen Deutschland, aber noch nicht entschieden, welche ich besuchen werde.

Wie blicken Sie auf Russland als Ausrichter dieser WM?

Dahlin: Ich kann nur sagen, dass ich nicht mit allem einverstanden bin, was in Russland passiert, will an dieser Stelle aber nicht zu sehr ins Politische abschweifen.

Wie blicken die Schweden auf Weltmeister Deutschland?

Dahlin: Deutschland ist immer der Favorit - egal bei welchem Turnier. Das ist auch diesmal nicht anders. Schweden könnte Gruppenzweiter werden. Die Mannschaft ist gut aufgestellt. Darauf sollte sie sich richten und ich glaube, dass sie dies schaffen kann.

Trauen Sie Schweden eine Überraschung gegen Deutschland zu?

Dahlin: Natürlich kann das passieren. Es wird schwer sein, aber sie können für eine Überraschung gegen Deutschland gut sein, absolut.

Wer wird den WM-Titel holen?

Dahlin: Sehr schwierig. Neben Deutschland erwarte ich, dass Brasilien, Argentinien, aber auch Belgien ein gutes Turnier spielen werden. Frankreich muss man ebenfalls auf dem Zettel haben.