Ammersbek. Der Paralympics-Sieger vom NRV Hamburg kritisiert den Wegfall der Leistungssport-Förderung in seinem Sport.

Auf der Kommode steht ein kleines, silbern schillerndes Segelschiff. Der Pokal steht im Eingangsbereich des Hauses, in dem Heiko Kröger (51) mit seiner Frau und drei Kindern lebt. „Para World Sailing Championships 2016“ ist auf dem Segel eingraviert; achtmal hat Heiko Kröger diese Regatta gewonnen. Seit über drei Jahrzehnten segelt der Diplomkaufmann in der Weltspitze. 2000 gewann er bei den Paralympischen Spielen in Sydney Gold, 2012 in London die Silbermedaille.

Herr Kröger, Ihnen fehlt von Geburt an der linke Unterarm, dennoch gehörten Sie bei den körperlich anspruchsvollen Jollen-Regatten als junger Erwachsener zu den Top 20 Europas. Wann und warum sind Sie überhaupt in den Behindertensport gewechselt?

Heiko Kröger: Als ich angefragt wurde, hatte ich ehrlich gesagt erst keinen Bock darauf. „Ich bin ja nicht behindert“, antwortete ich. Doch dann wurde Segeln 2000 in Sydney zum ersten Mal paralympisch. Die Möglichkeit, eine olympische Medaille zu gewinnen, lockte mich, also bin ich gewechselt.

Und haben gleich Gold geholt ...

Kröger: Ja, die Spiele in diesem tollen Land mit wahnsinnig netten Menschen waren zu 150 Prozent grandios. Sportlich lief es für mich ebenfalls perfekt. Ich war mental sehr gut drauf, habe am vorletzten Wettkampftag beide Rennen mit großem Abstand gewonnen. Und: Das Niveau war absolut erstklassig. Und in den vergangenen Jahren hat es sich rapide nach oben verschoben.

Im Behindertensport sitzen die Einzelsegler in einem 4,20 Meter langen Boot. Mit welchen Einschränkungen kann man es steuern?

Kröger: Mit nahezu allen. Bei den Paralympics und Weltmeisterschafen ist das Ergebnis nicht von der Behinderung abhängig. Wir segeln sogar seit über 20 Jahren gegen Segler ohne Behinderung – chancengleich und mindestens genauso gut. Während in allen anderen Disziplinen des Behindertensports die Frage nach der Vergleichbarkeit von unterschiedlichen Einschränkungen diskutiert wird, sind wir im Segelboot nicht mehr behindert, sondern alle gleich. Die Körpergröße ist ebenso egal wie die Funktionalität in Armen und Beinen.

Worauf kommt es für den Erfolg dann überhaupt noch an?

Kröger: Die Rennen sind reine Kopfsache. Erfahrung und Training sind entscheidend. Im Gegensatz zu den Jollen ist die 2.4mR ein Kielboot, in dem die Kraft keine Rolle spielt. Die Bedienung der Steuerung kann an jeden einzeln angepasst werden.

Für die Paralympics in Tokio 2020 wurde Segeln aus dem Programm gestrichen. Warum?

Kröger: Ein Grund war, dass wir nicht die 32 Nationen an den Start bringen, die gefordert sind, sondern nur 28. Außerdem hat Segeln den großen Nachteil, dass es in den Revieren zumeist außerhalb der Hauptstadt der Spiele stattfindet. Wir verkaufen keine Tickets, und Fernsehübertragungen sind sehr aufwendig. Auch bei Olympia steht Segeln aus diesen Gründen unter Beobachtung. Es könnte sein, dass es nach Tokio auch dort aus dem Programm gestrichen wird.

Was ist mit dem Sailing Team Germany (STG), in dem Sponsoren Olympioniken und Paralympioniken sechs Jahre lang als ein Team auf gleichem Niveau unterstützten?

Kröger: Die Nationalmannschaft gibt es nicht mehr, auch keine Sponsoren, es gibt gar nichts mehr. Wir reden hier von einer Förderung von mehr als zwei Millionen Euro im Jahr, die wegfällt. Der deutsche Leistungssegelsport ist in das tiefste Loch seit Jahrzehnten gefallen.

Bedeutet das für Sie das Karriereende?

Kröger: Nein, ganz aufhören kann und will ich nicht. Viele Regatten fallen nun aber wegen des finanziellen Aufwands weg. In diesem Jahr werde ich bei den Para World Sailing Championships im Rahmen der Kieler Woche dabei sein. Eine Woche später ist in den Niederlanden die WM. Wenn ich das zeitlich hinkriege, mache ich auf jeden Fall mit.

Wie hoch sind denn die Kosten?

Kröger: Der logistische Aufwand ist mit dem Pferdesport vergleichbar. Die Container müssen frühzeitig gepackt werden, damit Boot und Ersatzteile rechtzeitig ankommen. In der Regel reisen wir zwei Wochen vor Regattabeginn an. Eine Weltmeisterschaft beispielsweise in Australien kostet für unser Team mit fünf Seglern, drei Trainern und unserer Physiotherapeutin ungefähr 65.000 Euro. Dazu zählen dann unter anderem die Fracht der Boote, Flug und Hotel, Verpflegung und Fahrtkosten vor Ort.

Sie haben ein eigenes Inklusionsprojekt gestartet. Wie sieht es damit aus?

Kröger: Mit finanzieller Förderung der Aktion Mensch und des Sailing Team Germany e. V. – den gibt es noch – , möchte ich Segelvereine in inklusive Segelvereine umgestalten. Ich habe ein Konzept aufgestellt und berate Vereine, die dies umsetzen wollen. Das ist gelebte Inklusion. Inzwischen machen sechs Vereine aus sechs Bundesländern mit. Diese sollen dann als Leuchttürme in ihrer Umgebung dienen, sodass noch mehr Vereine und Menschen erkennen: Segeln mit Behinderung, das funktioniert.