Hamburg. Weil Edison Zanis Vater in eine Fehde mit einer anderen Familie verwickelt war, musste der Boxer aus Albanien nach Hamburg fliehen.

Lange hat er dagesessen mit etwas schüchtern gebeugtem Kopf, den Blickkontakt vermieden und mit leiser Stimme geantwortet. Aber nun, als die Frage aufkommt, was ihm sein Sport bedeute, wirkt Edison Zani wie von einer unsichtbaren Energiequelle aufgeladen. „Mein Leben“, sagt er, zwei Worte nur, die von einem Strahlen unterfüttert werden, das keinen Zweifel zulässt. Dieser junge Mann, der mit seinem weich konturierten Gesicht jünger wirkt als die 19 Jahre, die sein Pass als Alter ausweist, glaubt wirklich daran, dass ihm das Boxen den Weg in eine erfolgreiche Zukunft weisen kann.

Man muss die Vergangenheit kennen, vor der Edison Zani nach Hamburg geflohen ist, um seinen Antrieb zu verstehen. Ohne seine Eltern und die Schwester, nur in Begleitung eines Onkels, war er vor zwei Jahren aus Albaniens Hauptstadt Tirana mit dem Flugzeug nach Deutschland ausgereist; zunächst nach Hannover, kurz darauf ging es weiter nach Hamburg. Der Grund, warum er sein Leben hinter sich ließ und ein neues in einem völlig fremden Land beginnen musste, ist ein erschütternder. Weil sein Vater in eine Fehde mit einer anderen Familie verwickelt war, trachten die Verwandten des Opfers dem Sohn des Täters nach dem Leben. Blutrache nennt man das. In Albanien, sagt Zani, ist diese Form der Selbstjustiz alltäglich.

Den Ausgleich zu den Gedanken, die ihn quälen, findet Edison Zani im Boxen. In seiner Heimat hatte er mit dem Faustkampf begonnen, 2012 nahm er für Albanien an der U-17-Europameisterschaft teil. In Hamburg kam er über den Verein Box-Out zur SV Polizei – und so in Kontakt mit dem Hamburger Amateurbox-Verband (HABV). Dessen neuer Sportdirektor Christian Morales ist von den Fähigkeiten des Halbweltergewichtlers (Klasse bis 64 Kilogramm) dermaßen überzeugt, dass er beim Deutschen Boxsport-Verband (DBV) um eine Startberechtigung für das Toptalent ersuchte.

Ungewisser Aufenthaltsstatus

Beim traditionsreichen Chemie-Pokal in Halle (Saale) startete Zani im März erstmals für Deutschland. Anfang Mai hätte er an einem Länderkampf in Norwegen teilnehmen sollen. Weil jedoch die Ausreise aufgrund seines ungewissen Aufenthaltsstatus problematisch gewesen wäre, verzichtete man auf den Trip. Zanis aktuelle Duldung läuft bis 14. Juni, damit er die Prüfungen für seinen Realschulabschluss, den er an der Wilhelmsburger Nelson-Mandela-Schule nachmacht, beenden kann. Wie es danach weitergeht, ist unklar. Wieder einmal.

Der Asylantrag, den Edison Zani in Hamburg gestellt hatte, ist abgelehnt worden. Albanien gilt als sicheres Herkunftsland. Wenn ihm Gefahr drohe, hieß es, solle er sich dort an die Polizei wenden, die für seine Unversehrtheit sorgen würde. „Aber für mich ist Albanien nicht sicher“, sagt der schlaksige Teenager. Mit seinen Eltern, die mittlerweile getrennt leben, hat er keinen Kontakt mehr, von seiner Schwester erfährt er, was er wissen will. Was er weiß, ist dies: „Hamburg ist meine neue Heimat, ich möchte hier nicht mehr weggehen.“

Dass er bleiben darf, dafür setzen sich mittlerweile viele Menschen in der Stadt ein, allen voran Morales und Beate Cham. Cham leitet die sechs Plätze bietende Jugendwohnung des Arbeiter-Samariter-Bundes in Altona, in der Zani seit September 2014 lebt. Sie erlebt jeden Tag, welche Chancen und Probleme das Zusammenleben unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge aus verschiedenen Kulturen bieten kann. Sie sieht zwei Dinge, die den jungen Albaner aus der Masse hervorstechen lassen: Zum einen seine Zivilcourage, die er in besonderem Maße bewies, als im April 2015 in seiner Klasse ein 17 Jahre alter Afghane einen gleichaltrigen Landsmann erstach. „Da ist er als einziger dazwischen gegangen und hat versucht, dem Angreifer das Messer zu entreißen“, sagt Beate Cham, die ihren Schützling für diesen Mut für die Auszeichnung mit dem Bertini-Preis vorgeschlagen hat.

Ungebremster Wille zur Integration

Zum anderen ist es Zanis ungebremster Wille zur Integration in der neuen Heimat, die sich besonders im Spracherwerb zeige. „Wie schnell Edison die deutsche Sprache fehlerfrei erlernt hat, das ist herausragend“, sagt Beate Cham, und tatsächlich ist mit dem jungen Mann ein Gespräch möglich, dessen Niveau so manch deutscher 19-Jähriger nicht folgen könnte. „Edison ist ein sehr bedächtiger, hilfsbereiter und höflicher Mensch“, sagt die Betreuerin, „er ist für viele ein Gewinn und rundherum jemand, der eine Perspektive verdient hätte.“

Diese Perspektive wollen sie ihm unbedingt bieten. DBV und HABV haben den Hoffnungsträger fest für ihre Kader eingeplant, die Hamburger Meisterschaft im September wäre sein nächster Turniereinsatz. „Wir werden uns um eine Einbürgerung bemühen, wenn es möglich ist“, sagt Christian Morales. Zunächst jedoch haben Beate Cham, das Ottensener Kulturzentrum Motte und er alles in Bewegung gesetzt, um einen Ausbildungsplatz zu finden. Gelänge dies bis Mitte Juni, dann würde die Duldung aus humanitären Gründen verlängert werden mit der Aussicht, im Anschluss eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten.

Am liebsten würde Edison Zani im Einzelhandel Sportartikel verkaufen, wählerisch zu sein ist ihm allerdings fremd. „Ich würde alles annehmen, damit ich eine Perspektive bekomme, in Deutschland bleiben zu dürfen“, sagt er. Sein Traum, für Deutschland eine Medaille bei Olympischen Spielen zu gewinnen, soll nicht enden, bevor er überhaupt begonnen hat.