Newport/Berlin. Menschliches Auge statt moderner Technik: Die Regelhüter können sich weiter nicht zu Hightech auf dem Fußballplatz durchringen. Der Weltverband Fifa vertagte am Wochenende eine Entscheidung zur Einführung von Torlinientechnologien und verkündeten stattdessen, bei der EM 2012 erstmals zwei zusätzliche Torrichter einzusetzen. Die von Experten geforderten Torkameras oder Chip-Bälle werden zwölf weitere Monate getestet, ehe die Regelhüter des International Football Association Board (Ifab) im März 2012 ein Urteil sprechen sollen. „Wir werden mit den technischen Experimenten weitermachen und das Thema beim Ifab-Treffen im nächsten Jahr in London wieder auf die Agenda setzen“, sagte Fifa-Präsident Joseph Blatter am Sonnabend im walisischen Newport. „Dann wird eine definitive Entscheidung fallen.“
Zehn technische Systeme hatte die Fifa unter die Lupe genommen, keines überzeugte den Weltverband in Zürich. Dennoch wagte Blatter - bis vor kurzem noch entschiedener Gegner von Technik im Fußball - eine kühne Prognose: Der Schweizer kann sich eine Torlinientechnik schon zur WM 2014 in Brasilien vorstellen. Wenn das Ifab im nächsten Jahr einem System Grünes Licht gibt, „dann sollte es kein Problem sein, dieses 2014 einzusetzen“, meinte Blatter. Bis dahin werden Unparteiische von zwei zusätzlichen Assistenten unterstützt.
Das schon in der Champions League erprobte Fünf-Schiedsrichter-Modell wird nun auch bei der EM 2012 angewandt. Das entschied das Ifab im Rahmen seiner 125. Jahresversammlung in Wales und entsprach damit einem Wunsch der Europäischen Fußball-Union Uefa. Für die Torlinien-Tüftler bedeutete die Entscheidung dagegen einen Rückschlag. „Die Enttäuschung ist natürlich groß“, meinte Christian Holzer, Geschäftsführer der bayrischen Firma Cairos, die den Chip im Ball entwickelte. „Aber das Ganze ist ja nicht abgesagt worden. Ich hoffe, dass wir unser System jetzt unter realitätsnahen Szenarien vorzeigen können“, sagte Holzer am Sonntag der Nachrichtenagentur dpa. Fifa-Boss Blatter hatte bereits neue Tests bei Spielen angekündigt.
Auch beim Deutschen Fußball-Bund (DFB), dessen Schiedsrichter sich für Technik-Hilfen aussprechen, ist man von der Ifab-Entscheidung nicht begeistert. „Das muss man erstmal zur Kenntnis nehmen“, sagte Lehrwart Lutz Wagner der dpa. Der frühere Referee kritisierte den Aufschub:„Irgendwann muss man auch mal zur Entscheidung kommen.“ Das Votum für Torrichter sei nicht unproblematisch:„Da kommt die menschliche Komponente rein, wo Fehler passieren.“ Bei der Bewertung einer Spielsituation – ob der Ball im Tor war oder nicht – dürfe es keine Grauzone geben. „Diese Schwarz-Weiß-Entscheidung kann nur die Technik lösen. Der Chip im Ball bietet die größte Sicherheit.“ Wagner meint aber:„Wenn am Ende das richtige Ergebnis rauskommt, ist das in Ordnung. Ein halbes Jahr früher oder später ist nicht entscheidend.“ Im Ifab sitzen je ein Vertreter aus England, Schottland, Wales und Nordirland sowie vier Fifa-Offizielle. Für ein Urteil benötigt man sechs Stimmen. Die Fifa-Vertreter stimmen traditionell en bloc, so dass keine Entscheidung am Weltverband vorbei getroffen werden kann. Daneben entschied das Ifab, einen deutschen Antrag auf Änderung der Regeln zu vertagen. Der DFB will bei einer Notbremse im Strafraum neben dem Elfmeter die Gelbe Karte statt der Roten verhängen. Ein Platzverweis plus Sperre zuzüglich zum Strafstoß sei übertrieben. Die Entscheidung wurde an eine sogenannte „Fifa Task Force“ verwiesen. (dpa/abendblatt.de)
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