Hamburg. Als Michél Mazingu-Dinzey endlich seine Augenbinde abstreifen durfte, staunte er nicht schlecht über die 1:3 Niederlage seiner Mannschaft. Der ehemalige St. Pauli-Kicker tappte mit seinen Team-Kollegen aus der vereinseigenen Traditionsmannschaft während der gesamten Spielzeit im Dunkeln. Diesmal allerdings – nicht wie zu turbulenten Profi-Zeiten - völlig beabsichtigt. Die Alt-Herren Mannschaft hatte soeben gegen St. Paulis Blindenfußball-Team verloren, das erstmals zum Benefiz-Hallenturnier „Kick it like Water“ eingeladen war und prompt Vizemeister wurde. Zur Chancengleichheit wurden den Gegnern vor dem Match die Augen verbunden. Das Team namens „Blinde Leidenschaft“ blieb in allen sieben Partien ungeschlagen, musste sich erst im Finale gegen das Team „Sportfreunde“ im Siebenmeterschießen geschlagen geben. Einzig im Achtelfinale gegen die Senioren aus der eigenen Abteilung kassierten sie einen Gegentreffer. “Es fühlte sich an, als ob Du nachts aufstehst und den Lichtschalter nicht finden kannst. Im Zweikampf muss man jedes noch so kleines Geräusch fixieren“, sagte Mazingu-Dinzey.
Blindenfußballer verlassen sich ganz auf akustische Signale. Jedes Team wird von zwei Guides von den Seiten- und Torauslinie per Zuruf angeleitet. Zusammen mit dem Rasseln des mit Metallkügelchen gefüllten Spielballs und dem Ruf "voy" (spanisch: „ich komme“), sind sie die einzig erlaubten Signale. Ansonsten muss absolute Stille auf dem Spielfeld herrschen.
Torschütze Mazingu-Dinzey, der zum ersten Mal „blind“ spielte, zollte der Leistung seines Gegners höchsten Respekt: „Katja hat sich so auf dem Feld so schnell bewegt, wie ich es normalerweise ohne verbundene Augen tue.“ Katja Löffler, Mittelfeldspielerin des Bundesligisten, war Dinzey ein ums andere Mal mit dem Ball in Richtung Tor enteilt. „Es lief alles sehr fair ab, keine der Mannschaften hat versucht zu schummeln. Aber auch für uns war es ungewohnt. Wir mussten aufpassen, dass unsere Gegner nicht mit uns zusammenstoßen“, resümierte Markus Löffler seine erste Teilnahme am Hallenturnier in der Stellinger Indoor-Soccer-Halle. Der viermalige Nationalspieler gründete das Blindenfußball-Team vor drei Jahren zusammen mit seiner Frau, nachdem er per Brief beim Kiez-Klub anfragte. „Ich war schon seit meiner Kindheit Fan des FC St. Pauli, und so lag der Kontakt zu meinem Lieblingsverein nahe“, erinnert sich der gebürtige Westfale. Obwohl sich Fußball für Blinde und Sehbehinderte erst seit zwei Jahren in einer eigenen Bundesliga organisiert, kann der 33-Jährige erste positive Entwicklungen in Deutschland ausmachen. „Mit der Nationalmannschaft konnten wir uns bei er Europameisterschaft in diesem Sommer erstmals platzieren, wurden die fünfte von neun Mannschaften“, sagte der Defensiv-Spezialist, „und auch in der Bundesliga ist das Spiel schneller und systematischer geworden. Es gehen kaum noch Bälle durch.“
In drei bis vier Jahren möchte Löffler mit der Bundesliga zu den derzeit übermächtigen Spaniern und Franzosen aufschließen. Die Paralympics 2012 in London sind das mittelfristige Ziel für die Nationalmannschaft. Das Hallenturnier stand ganz im Credo der Hamburger Hilfsorganisation „Viva con Agua“, eine Initiative, die sich für Trinkwasserversorgung in Entwicklungsländern engagiert. 2005 startete Ex-St. Pauli-Profi Benjamin Adrion das Projekt, das mittlerweile weltweit Anhänger hat und sich vor allem in Kenia einsetzt. „Das Blindenfußball-Team hat wirklich beeindruckend gespielt“, lobte auch er den Turnier-Zweiten.
Veranstaltungen wie diese will Löffler künftig nutzen, um seinem Sport auch unter Nicht-Sehbehinderten bekannter zu machen. Und auch sein Team lehnt sich nicht zurück und wartet auf Einladungen: Am 11. Dezember kann jeder Interessierte ein Schnuppertraining besuchen und sich mit der Blind-Variation des Fußballs vertraut machen. Mehr Informationen im Internet unter www.fcstpauli-blindenfussball.de
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