HAMBURG. Der Hamburger Achim Wenske (63) ist pensionierter Kriminalhauptkommissar. Zuletzt leitete er den kriminalpolizeilichen Ermittlungsdienst am Wiesendamm. Kurz vor seinem Ruhestand hatte sich der passionierte Tennisspieler und HSV-Fan um den Job als Kontrolleur beworben. Polizisten werden gern genommen. Sie verfügen über gesundes Misstrauen, Spürsinn, Kombinationsgabe und, wenn nötig, energisches Auftreten. Ehefrau Frauke (57), sie arbeitet in einem Krankenhaus, assistiert bei weiblichen Athleten. Rund 20 unangemeldete Kontrollen haben die Wenskes monatlich in Norddeutschland zu erledigen. Dazu kommen Wettkampftests. Die (Zufalls-)Liste erhält Wenske Anfang jedes Monats von der Agentur PWC des Münchner Mediziners Dr. Helmut Pabst.
Achim Wenske führt eine Kartei. In ihr stehen etwa 300 Namen, Adressen, Telefonnummern und Trainingspläne. Die Informationen hat er sich mühsam zusammengestellt. Das war Detektivarbeit. "Die beste Kontrolle ist, wenn ich plötzlich auftauche", sagt Wenske. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) akzeptiert nur solche als unangemeldet. Die sind am effektivsten. Betrügern soll keine Zeit zur Manipulation der Urinproben gewährt werden.
Vor dem Wasserlassen darf sich der Athlet aus drei in Plastiktüten verpackten Gefäßen eines aussuchen. Wenske notiert die Nummer. Dann begleitet er den Sportler auf die Toilette. Das ist Vorschrift. Auch das Urinieren ist genormt: eine Hand fest am Becher, die andere frei schwebend mit Abstand zum Körper. Selbst beim Wasserlassen muss Wenske genau hinsehen. Die Athleten haben sich daran gewöhnt. Der Griff an die Genitalien ist verboten. Ein feuchter Finger am Strahl könnte das Ergebnis verfälschen, haben Biochemiker vor kurzem herausgefunden.
Um einen positiven Befund zu verschleiern, sind Sportler und Betreuer selbst um weit reichendere Ideen nie verlegen gewesen. Die unter dem Penis geführte Kanüle, in der Fremdurin aus einem am Rücken oder Bauch befestigten Beutel ins Röhrchen gelassen wurde, gehörte jahrelang zum Repertoire. Oder das Auffüllen der entleerten Blase mit Fremdurin über einen Katheder durch die Harnröhre. "Früher war das schmerzhaft, heute geht das mit Zähnezusammenbeißen in 90 Sekunden", sagt Wenske. Auch ein in die Harnröhre geschobenes Reiskorn kann ein positives Ergebnis verhindern. Eine andere Gefahr bestand im Panschen. Die irische Schwimm-Olympiasiegerin Michelle Smith ließ Whiskey in ihre Harnprobe fließen. Sie wurde zwei Jahre gesperrt. Unmöglich wäre heute der Fall eines erfolgreichen Hamburger Leichtathleten. Der erschien zur Dopingkontrolle in der Praxis des inzwischen verstorbenen Arztes Dieter Baron in Lokstedt gern in Begleitung eines Freundes.
75 Milliliter Urin müssen den Becher füllen. Wenske nimmt nach der Probe das Gefäß in die Hand. Fühlt sich der Inhalt lauwarm an, ist alles in Ordnung. "Fremdurin wäre kälter", weiß er. Nach der Versiegelung misst er über einen Stutzen mit einem Teststreifen Urindichte und PH-Wert. Lägen die unter den Grenzwerten, hätte das Labor Schwierigkeiten mit der Analyse. Der Athlet und Wenske unterschreiben das Protokoll. Einen Durchschlag erhält der Sportler, einen Wenske, einen die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada), den letzten anonymisiert das Labor.
Wenske verstaut die Urinprobe in seiner Kühltasche. Im Wagen schließt er sie an die Autobatterie. Es sei vorgekommen, berichtet er, dass sich bei zu warmer Lagerung Schimmel auf dem Urin gebildet habe.
Das Hauptproblem der Kontrollen, sagt Wenske, sei die Lokalisierung der Athleten. Seit anderthalb Jahren gilt für deutsche A- und B-Kader: Wer seinen Lebensmittelpunkt länger als 24 Stunden verlässt, hat die Nada per E-Mail zu informieren. Beim ersten Versäumnis gibt es eine Verwarnung, im Wiederholungsfall drei Monate Sperre. In der Praxis bleiben Sanktionen meistens aus. "Bei internationalen Kontrollen sind im Schnitt nur 40 Prozent der Athleten am angegebenen Ort", sagt Wenske. Trotz moderner Informationstechniken hapert es am Datenaustausch. Wenske glaubt nicht an Zufälle. Über die Ergebnisse seiner Kontrollen wird er nicht informiert. "Wenn einer betrügen will oder etwas zu verbergen hat, spürst du die Unruhe", sagt er. Ein Segler fiel seiner Frau auf. Der Test war positiv, der Mann hatte Marihuana inhaliert, erfuhren die Wenskes aus der Zeitung.
Die Analyse jeder Probe kostet 500 Euro, der Test auf das Blutdopingmittel Epo 1000. 2005 fielen 67 Tests deutscher Athleten positiv aus. "Jede positive Kontrolle ist ein Sieg für mehr Gerechtigkeit im Sport", sagt Wenske. Für die fährt er jeden Monat mehr als 2000 Kilometer durch Norddeutschland.
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