Der beliebteste Strand Hamburgs liegt an der Lübecker Bucht. In Timmendorf trifft sich die große hanseatische Welt im Kleinen

Haben Sie jemals "Timmendorfer Strand" zu diesem Ort gesagt? Immerhin fast 9000 Menschen haben das Glück, in dem Ort dieses Namens zu leben. Die anderen sagen "Timmendorf", wenn sie sich für einen Ausflug an die Lübecker Bucht entscheiden. Oder sie verabreden sich schlicht für eine Fahrt "ans Meer". Timmendorf ist so etwas wie der Hamburger Strand mit offener blaugrüner See statt bleigrauer Binnenalster und manchmal auch ein Mikrokosmos der Absonderlichkeiten. Vielleicht weil knapp 40 Prozent der Gäste aus Nordrhein-Westfalen kommen, sind Hamburger hier so gern gesehen. Am Timmendorfer Strand ist der Hanseat Gast im eigenen Haus.

Wenn man Piera Tonegutti, die vor mehr als 40 Jahren aus Norditalien nach Norddeutschland kam, fragt, was sie an ihrer Heimat am meisten schätzt, kommt die Antwort prompt: "Meine Hamburger Gäste." Piera Tonegutti ist die Patronin einer der ältesten Eisdielen Deutschlands. Weil sie viel vom Rest der Welt kennt, sei ihr ein Satz über den Ort erlaubt, den sie seit 40 Jahren Heimat nennt: "Ich hätte nie geglaubt, dass ich in einem solchen Kaff alt werde!" Nur wenn man ihr intensiv in die Augen blickt, bemerkt man ihren leisen ironischen Unterton. Und spürt das tiefe Glück, das die Nähe des Meeres in den Menschen, die hier viel Zeit verbringen, hervorzurufen imstande ist.

Einmal Timmendorf, immer Timmendorf: Ans Meer sind wir schon gefahren, als der Erste von uns einen Führerschein hatte. Mit dem Golf I ins Nautic. Danach schliefen wir am Strand. Und waren genervt, weil schon um neun die Familien den schmalen Gürtel zwischen Maritim Seehotel und Meer für sich beanspruchten. Dann kamen wir mit einer Freundin im geliehenen Cabriolet und fühlten uns wie kleine Könige. Dann die Jahre, an denen man an fast jedem Sonnenwochenende "hoch" fuhr. Und sich aufregte, dass man als Nicht-Strandkorb-Mieter quasi auch Persona non grata ist am Strand von Timmendorf. Es war dies vielleicht die Zeit, in der ein leichter Neid auf dieses Häufchen Glücklicher erwuchs, die ein Stückchen Ostsee-Ufer ihr Eigen nennen - ein Haus "in erster Reihe", wie es in Maklerdeutsch heißt. Im Gegensatz zu uns hatten es diese Menschen ans Ufer geschafft.

Heute sind wir die Familienmenschen, die sich morgens über gestrandetes Jungvolk wundern. Wir fahren noch immer gern nach Timmendorf - wenn die Autobahn nicht gerade betoniert wird. Wir wissen die immense Angebotsfülle zu schätzen, die der Ort für Kinder vorhält, wir wissen zu würdigen, dass hier auch Freunde im Rollstuhl Ostseebäder erfahren können (im leihbaren Schwimmrollstuhl), wir surfen mangels erquicklicher Welle auf der Ostsee per WLAN im Datennetz.

Wir lassen die Kinder im Wasser spielen, ohne Sorge haben zu müssen, dass die Brandung sie fortspült. Und wir haben inzwischen auch die anderen lohnenden Ausflugsziele an der Lübecker Bucht besucht: Scharbeutz mit seinen Themenstränden, Pediküre im Strandkorb, der Ostsee-Therme und professioneller Kinderbetreuung am Meer. Grömitz mit der sensationellen Tauchgondel und der neuen Flaniermeile über Wasser. Den idyllischen Hafen von Niendorf und, und, und.

Aber irgendwie zieht es uns doch immer wieder nach Timmendorf, auf eine Tomatensuppe und Wein oder Weizenbier im Café Wichtig am Timmendorfer Platz, das nicht umsonst seinen früheren, leicht spöttischen Aliasnamen zum Markenzeichen gemacht hat. Nach einem erfüllten Strandtag hier zu sitzen und Männer mit um die Schultern gelegten Pullovern oder ältere Damen mit Schoßhund zu zählen oder den Kontostand derjenigen zu schätzen, die ihren Luxuswagen bewusst verbotswidrig am Brunnen gegenüber abstellen, das ist schon ein höchst exklusives Vergnügen.

Hier an der Strandallee schauen wir auch in unsere eigene Zukunft: Rechts von uns liegt das Maritim Sporthotel, das mehr und mehr zur Wohnanlage für jung gebliebene Senioren aus ganz Deutschland wird. Nachmittags - und durchaus auch abends - trifft man sich im Barbereich, um Elvis-Imitatoren zu sehen, Cocktails zu trinken und zu flirten, als sei das Leben ein immerwährender Strandurlaub. Links sind die Reha- und Kur-Kliniken, in denen Herz- und andere Kranke die gute Luft nutzen, um möglichst schnell wieder auf die Beine zu kommen.

Wenn wir es nicht wollen, sind wir in Timmendorf nie allein. Christian Jaletzke, Geschäftsführer der "Timmendorfer Strand Niendorf Tourismus GmbH", präsentiert stolz die Zahlen, die den Erfolg seiner Arbeit für die gänzlich unterschiedlichen und doch nachbarschaftlich verbundenen Gemeinden bestätigen: 1,3 Millionen Übernachtungen pro Jahr, 5,5 Millionen Tagestouristen. Und 2011 verspricht das dritte touristisch erfolgreichste Jahr in Serie zu werden.

30 Millionen Euro investiert die Gemeinde in die Neugestaltung des Ortskerns, weit mehr als 20 Millionen in den Küstenschutz. Niendorf erhält Gastro-Terrassen am Strand, Timmendorf eine neue Seebrücke mit asiatischem Teehaus. Jürgen Hunke, einer derjenigen, die es ans Ufer geschafft haben, finanziert einen ordentlichen Teil des Projektes.

Im Jahr 2012 wird es auch einen Gosch am Timmendorfer Strand geben. Der Inselstolz der Rügener, die Gosch bei sich nicht haben wollen, ist den Timmendorfern fremd.

Alles neu also am Hamburger Meer und doch alles wie gehabt. Nach wie vor sind 94 Prozent der Touristen in Timmendorfer Strand deutscher Herkunft. Internationalität sucht man hier vergebens- wie fast überall an der Lübecker Bucht, außer bei Niederegger in der Lübecker Altstadt. Die paar Skandinavier, die hier Urlaub machen, verbringen ihre Tage auf dem Golfplatz.

Und dann sind da noch die zwei Prozent Schweizer, von denen niemand so recht weiß, warum sie gerade nach Timmendorf kommen. Vielleicht aber sind sie die touristische Elite ihrer Heimat. Sie wissen Gutes zu erkennen und wünschen sich vielleicht manchmal, sie lebten in Hamburg und könnten auch mal für ein verlängertes Wochenende herkommen.

Deutsche Konkurrenz für Timmendorf und seine kleineren Nachbarn fürchtet Tourismus-Manager Jaletzke nicht. Immerhin kann man in der Lübecker Bucht mit noch einem weiteren Pfund wuchern: Wenn erst alle Bauarbeiten abgeschlossen sind, wird man auf einer 15 Kilometer langen Strandpromenade von Sierksdorf bis Brodten barrierefrei wandern, joggen, skaten oder radeln können.

Am liebsten wäre es den Timmendorfern natürlich, die Gäste verließen das "Nizza des Nordens" - zumindest während ihrer Urlaubszeit - gar nicht. Um diesem Ziel näher zu kommen, lockt die Gemeinde mit mehr als 1300 Veranstaltungen pro Jahr. Vom "Tanztee mit René an der See" bis zu den "Top-Tagen", in denen sich zur Frühsommerzeit internationale Top-Marken präsentieren. Und sogar bundesweit beachtet: die jährlich an der Timmendorfer Seebrücke ausgetragenen Finals der Deutschen Beachvolleyball-Meisterschaften.

Es war so, es bleibt so: Das Einzige, was der Gast in Timmendorf vergeblich sucht, ist Tristesse. Die Schöne an der Lübecker Bucht will es ihren Gästen gleich tun und wie sie ihre Jugendlichkeit bewahren.

Das hat ehrlichen Charme. Und etwas Tröstliches: Mit dem Timmendorfer Strand kann man wunderbar zusammen alt werden.

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