Manfred Staub, Besitzer des legendären Wiener Kaffeehauses Sperl, begrüßt seit 45 Jahren Stammgäste und Touristen

Zwei Institutionen, die zu Wien gehören wie die Fiaker und der Donauwalzer: das Kaffeehaus im Allgemeinen mit dem Café Sperl im Besonderen – und Herr Staub, der oft für Herrn Sperl gehalten und auch so angesprochen wird. Manchmal stellt der alte Herr, dem dieser 130 Jahre alte Treffpunkt von Literaten, Malern und Musikern, von Müßiggängern und Touristen gehört, die Sache richtig: „Ich besitze das Café ja erst seit 45 Jahren. 1968 habe ich es von der Familie Kratochwilla gekauft, die führte es 84 Jahre lang.“

Manfred Staub, in Kürze 82 Jahre alt, wäre die Idealbesetzung eines Kellners, wenn jemand einen Film drehen wollte über den Sammelpunkt „von Menschen, die allein sein wollen und dazu Gesellschaft brauchen“. Das Zitat stammt von Alfred Polgar, einem der großen Kaffeehaus-Literaten im Wien des frühen 20. Jahrhunderts. Die Zeiten haben sich geändert, räumt der „Herr Sperl“ mit einem leichten Seufzer der Melancholie ein.

So haben er und seine Mitarbeiter sich längst an die jungen Leute gewöhnt, die Nachrichten im Tablet-Computer lesen und einen Gemüse-Toast bestellen statt eines Tafelspitzes. Aber nur „einen Kaffee, bitte“ zu bestellen, das geht gar nicht, nirgendwo in einem der mehr als 500 Wiener Kaffeehäuser – und bei Manfred Staub schon gar nicht: „Es macht mich unglücklich.“

Ein Heftchen hat er, der vielfach ausgezeichnete Kaffeesieder, extra auslegen lassen, ein „Abc“, in dem erklärt wird, was früher jeder Kaffeehaus-Gänger wusste: was nämlich ein Kleiner Schwarzer und ein Großer Brauner ist, ein Franziskaner (eine Melange mit Schlagobers – und eben nicht mit Milchschaumhaube wie eine „normale“ Melange) oder ein Einspänner (ein Mokka mit aufgesetztem Schlagobers).

In einem wesentlichen Punkt unterscheidet sich das Sperl von der Konkurrenz. Während überall „der Herr Ober“, oft altgedient, immer schwarz gekleidet und meistens eher schlecht gelaunt, zum Inventar gehört, bedienen im Sperl nur Frauen. Manfred Staub hält seine Gäste, wie er sagt, „nicht für Masochisten“. Die Kellner anderswo seien in der Regel derart grantig, dass zumindest ihm dort weder der Kleine noch der Große Mokka schmecke.

Wenn Manfred Staub lange genug im Vestibül gestanden, Zeitungen zurück gelegt oder die Kaffee-Philosophie erklärt hat, löst ihn sein Sohn Rainer Maria ab. Er ist 1968 geboren, im Jahr, als der Vater – Rilke-Fan, wie sich denken lässt – das Café übernommen hat. Es war das Jahr, in dem fast alles, was Patina hatte, infrage gestellt wurde und in Wien mehr als ein Dutzend Kaffeehäuser zusperren mussten. Aber ein paar Jahre später erholte sich die Szene. Und heute, versichert Manfred Staub, gibt es ihn reichlich, ob wieder oder noch immer: den Gast alter Schule, der seine Melange bestellt, fünf, sechs Zeitungen studiert und wartet, bis Freunde kommen, mit denen er Karambol, Billard mit drei Bällen, spielen wird.

Mag sein, dass die Kaffeehaus-Kultur alter Prägung mit dem Exodus des jüdischen Bürgertums und der Boheme untergegangen ist. Mag sein, sagen auch Staub Vater und Sohn, dass ein Wiener Kaffeehaus wie ihres heute eher eine Sehenswürdigkeit als eine Weltanschauung ist. Aber die vielen echten und die noch zahlreicheren Möchtegern-Schriftsteller, die Sänger und Schauspieler vom nahen Theater an der Wien, die liebenswert-verschrobenen Stammgäste aus der Nachbarschaft, sie alle sorgen doch dafür, im Café Central wie im Landtmann, im Hawelka wie im Jelinek und natürlich im Sperl, dass die Tradition lebendig bleibt: der Löffel mit dem „Gesicht“ nach unten auf dem Wasserglas, die Mehlspeisen verführerisch und die Ober angemessen grantig, ob männlich oder weiblich.