Reinbek . Gut informiert zeigten sich die knapp 40 Zuhörer des Diskussionsabends „Wie viel Freiheit braucht der internationale Handel? Wie vertragen sich Liberalisierung und Gemeinwohl?“ auf Einladung der SPD Reinbek und der Bundestagsabgeordneten Dr. Nina Scheer (SPD) in der Neuschönningstedter Begegnungsstätte.
Als Referent widmete sich der ehemalige Richter des Bundesverfassungsgerichtes und des Bundesgerichtshofes, Prof. Siegfried Broß, der Frage der Verfassungsmäßigkeit der geplanten transatlantischen Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit den USA (TTIP) und Kanada (CETA). Professor Broß betonte, dass er etliche Verstöße gegen Verfassungsgrundsätze festgestellt habe. Es gebe eine staatenübergreifende Gesetzgebung, und das ist laut Broß „ein eklatanter Verfassungsbruch“, auch gegen EU-Recht werde verstoßen. Die Europäische Union sei nicht ermächtigt, neue Staatenbündnisse einzugehen, die USA würden quasi ein Teilmitglied der EU. Private Schiedsgerichte, wie sie in den transatlantischen Freihandelsabkommen vorgesehen sind, würden darüber hinaus mit dem Grundgesetz und den Prinzipien des Völkerrechts kollidieren.
Die Schiedsgerichte sind der umstrittenste Punkt in den geplanten Freihandelsabkommen. Klagen können ausschließlich Unternehmen – wenn sie ihre Investitionen auf der jeweils anderen Seite des Atlantiks entwertet sehen, beispielsweise durch schärfere Umwelt- oder Sozialgesetze. Staaten könnten auf Schadenersatz in Millionen- oder sogar Milliardenhöhe verklagt werden. Als „Richter“ fungieren Privatleute, meist Juristen aus großen internationalen Anwaltskanzleien. Verhandlungen werden nicht grundsätzlich öffentlich geführt. Eine Berufungsinstanz gibt es nicht.
Dr. Nina Scheer kritisierte: „Hier wird die Wirtschaftsideologie verfolgt, dass der möglichst freie Markt der Beste sei. Der Annahme, der Handel mehre den Wohlstand, widerspreche ich deutlich, es gibt keinerlei Garantie für eine Wohlstandsmehrung.“ Broß fürchtet darüber hinaus: „Vielmehr wird der Qualitätswettbewerb mit dem Siegel Made in Germany abgelöst durch einen menschenverachtenden Preiswettbewerb.“ Außerdem warnte er vor einer Blockbildung: TTIP könne Russland und China einander näher bringen.
Ein Gast monierte: „Die Geheimniskrämerei um die Verträge macht mich skeptisch, nicht einmal die Bundestagsabgeordneten können die Verträge einsehen.“ Diese Kritik richtet auch Dr. Nina Scheer Richtung Brüssel und an die Bundesregierung: Die Prozesse hinter verschlossenen Türen seien nicht akzeptabel. „Öffentliche Verhandlungen gehören zu den elementaren Qualitäten rechtsstaatlicher Gerichtsverfahren“, so auch Broß.
Zumal das Argument, es müssten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse geschützt werden, nicht überzeuge. Die nationalen Prozessordnungen im Patent-, Wettbewerbs- oder Gesellschaftsrecht hätten dafür längst praktikable Regeln gefunden.
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