Familienhilfe

RTL "Super-Nanny" als letzter Rettungsanker?

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Undine Brandt

Foto: RTL

Glinde. Nach einer RTL-Fernsehproduktion mit der Familientherapeutin "Super Nanny" Katia Saalfrank ist die Situation in einer Glinder Familie eskaliert. Die dreifache Mutter gab das Sorgerecht ab, das Jugendamt musste eingreifen. RTL weist Kritik zurück.

Soraya M. (25) ist alleinerziehend und mit ihren drei Kindern (7, 4 und 3 Jahre) völlig überfordert. Eine Atmosphäre von Gewalt und Angst sind in der Glinder Familie an der Tagesordnung. Immer wieder verliert die dreifache Mutter die Beherrschung, schlägt ihre Kinder, weil sie es selbst nicht anders gelernt hat. Schließlich ist sie so verzweifelt, dass sie „Die Super Nanny“ Katia Saalfrank um Hilfe bittet. Die TV-Pädagogin soll ihr zeigen, wie es richtig geht.

Saalfrank kommt im März tatsächlich mit einem Filmteam vorbei, macht zehn Tage lang Aufnahmen, führt Interviews und schaltet das Jugendamt ein. Die Folge wird Mittwochabend um 20.15 Uhr auf RTL ausgestrahlt. Doch verbessert hat sich die Situation von Familie M. nicht. Im Gegenteil: sie eskalierte. Die Mutter gab das Sorgerecht für ihre drei Kinder auf eigenen Wunsch ab – sie werden jetzt in einer Pflegefamilie betreut – und ließ sich in die Psychiatrie einweisen, um ihre traumatische Kindheit mit professioneller Hilfe aufzuarbeiten.

Dass ein Super-Nanny-Einsatz solche Folgen hat, sei nicht üblich. „Doch manchmal nicht vermeidbar, wenn die Situation unhaltbar ist“, sagt RTL-Sprecherin Anke Eickmeyer dazu.

Beim Jugendamt ist die Familie seit dem Jahr 2004 bekannt. Zahlreiche Hilfsmaßnahmen hat die Mutter in Anspruch genommen, der siebenjährige Sohn wird im Kinderhaus betreut, sein Schulleiter ist eingeweiht. „Familien mit solchen Problemen sind zerbrechliche Gebilde. Da braucht es nur kleine Auslöser und das Fass läuft über“, sagt Gerald Wunderlich, Mitarbeiter im Jugendamt.

Ob die Lage auch ohne den Druck der Super Nanny eskaliert wäre, vermag er nicht zu sagen. „Die Mutter wird in Saalfrank einen Rettungsanker sehen. Andere hatte sie nicht“, weiß Wunderlich. Er kritisiert, dass die Sendung suggeriere, derartige komplexe Probleme in zehn Drehtagen zu lösen. „Wenn das so wäre, könnten wir uns Tausende von Sozialarbeitern sparen.“

Doch diesen Anspruch hat RTL eigenen Angaben nach auch nicht: „Vielmehr soll in der Sendung ein möglicher Lösungsweg aufgezeigt, etwas angestoßen werden“, sagt Eickmeyer.

An welcher Stelle das bisherige Hilfsangebot versagt hat, ob das nicht niedrigschwellig genug ist und die amtlichen Hürden zu hoch sind, das muss kritisch hinterfragt werden, sagt Ingo Loeding, Geschäftsführer des Kinderschutzbunds Stormarn. Familien samt ihren Problemen vor die Kamera zu zerren und einem Millionenpublikum zu präsentieren, hält er dennoch für einen falschen Weg. „Die Kinder werden vorgeführt.“

Mit diesem Urteil steht Loeding nicht allein da. Zahlreiche Familientherapeuten und Erziehungswissenschaftlicher kritisieren, dass die Persönlichkeitsrechte der Kinder in der Sendung nicht gewahrt sind. „Wie verhalten sich jetzt Mitschüler, Lehrer, Nachbarn gegenüber den Kindern? Was antwortet die Mutter der Bäckersfrau, die sie darauf anspricht? Die Familie ist für lange Zeit stigmatisiert. Manchmal hilft dann nur ein Umzug in eine andere Stadt“, sagt Loeding. Er fordert eine professionelle Hilfe, die die Privatsphäre achtet.

Dagegen argumentiert RTL, dass die Familien selbst die Initiative ergreifen und sich bei der Super Nanny bewerben – zwischen 1200 und 2000 pro Jahr. Eine nicht ganz unerhebliche Rolle dürfte die Aufwandsentschädigung spielen. Laut einem Bericht des NDR-Medienmagazins Zapp aus dem Jahr 2009 erhalten sie für die Teilnahme 2000 Euro.

Und wer kümmert sich um die zerrüttete Familie nach der TV-Ausstrahlung? „Zwei Psychologen, die während des Drehs dabei sind, betreuen sie weiter. Die meisten werden an eine Therapieeinrichtung vermittelt und dem Jugendamt übergeben“, sagt RTL-Sprecherin Eickmeyer.

Ob und wann Soraya M. wieder das Sorgerecht für ihre drei Kinder erhält, ist derzeit ungewiss.

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