Bargteheide. Plötzlich Prinzessin zu sein – kann es etwas Märchenhafteres geben? Die Geschichte von einer jungen Frau aus einfachen Verhältnissen, in die sich ein Prinz verliebt, fasziniert seit Jahrhunderten in unzähligen Variationen immer wieder auf’s Neue das Publikum. Ganz so einfach macht es die Theaterwerkstatt im Kleinen Theater Bargteheide den Zuschauern aber nicht. Die höfische Gesellschaft, die sich in der Groteske „Yvonne, Prinzessin von Burgund“ auf der Bühne tummelt, ist zwar ganz weit oben in der Hierarchie angesiedelt, aber menschlich gesehen ganz weit unten.
Am Hof von Burgund steht die Verlobung des Prinzen Philipp (Felix Schmidt) mit der Bürgerlichen Yvonne (Jennifer Noelker) bevor. Die Vorbereitungen sind bereits in vollem Gange. Doch die Begeisterung des Hofstaats über die Verbindung hält sich in Grenzen. Und auch der bis zum Bodenlosen gelangweilte junge Adlige hat seine Wahl nicht etwa aus Liebe getroffen, sondern verfolgt damit andere eigene Ziele. Wie überhaupt jede der Figuren, hinter deren weiß gepuderten Fassaden sich Abgründe jenseits des Denkbaren auftun.
Kleines Theater Bargteheide wagt Experiment mit Groteske
Offensichtlich ist der Standesdünkel der Herrscherfamilie so zu Kopf gestiegen, dass der innere moralische Verfall in jeder Äußerung und jeder Handlung mitklingt. Nach der Devise: Erlaubt ist, was gefällt, die Macht ist unser. Yvonne ist derartiges Gehabe völlig fremd. Warum sie der Verlobung zugestimmt hat, bleibt rätselhaft. Denn Yvonne spricht nicht, scheinbar willenlos lässt sie alles mit sich machen. Einziges Statement ist ihre farbenfrohe Kleidung, mit der sie aus der Menge heraussticht wie die einzige Lebende unter Untoten.
Für Regisseurin Christiane Leuchtmann ist es ihre erste Inszenierung eines Erwachsenenstücks am Kleinen Theater Bargteheide. „Ich wollte gern eine eigene Schauspieltruppe haben, das Theater hat mir die Chance geboten, das in die Tat umzusetzen.“ Zehn Darsteller im Alter von 16 bis 65 Jahren wirken mit. Zur Thematik der 1957 uraufgeführten Groteske des polnischen Autors Witold Gombrowicz sagt sie: „Es geht explizit um Mobbing.“ Jeden könne es treffen. Weder sei es die Schuld des Opfers, noch müsse es eine Steilvorlage geliefert haben. „Selbst wenn man nichts tut, kann man zur Zielscheibe werden.“
Im Falle von Yvonne spielt der Status eine entscheidende Rolle. „Es gibt eine klare Hierarchie, die bestimmt, wer im Ranking welche Position innehat“, erläutert die Regisseurin. Das Stück zeige eindrücklich, wie schnell eine Gemeinschaft, von der man das nicht erwartet hätte, umkippen könne. Die Tendenz, jemanden auszugucken, sei in allen gesellschaftlichen Strukturen verankert.
Selbst Untertanen wird Gehabe der Obrigkeit mal zu viel
Sie finde es grandios, wie der Autor Bösartigkeit mit einem gemeinen, gehässigen Humor vermische. „Da bleibt einem das Lachen im Halse stecken.“ Das passiert nicht nur den den Zuschauern, selbst den speichelleckenden Untertanen, so abgebrüht sie auch sind, steht manchmal die Fassungslosigkeit angesichts der Entscheidungen der Obrigkeit ins Gesicht geschrieben.
Gleich zu Anfang des ersten Akts offenbart König Ignaz seinen Charakter, wenn er wie beiläufig ein Gnadengesuch ablehnt, das „durch alle zwölf Instanzen“ befürwortet worden ist. „Was gafft ihr mich so an“, fährt er die Dienerschaft an, nachdem der nach Verkündung seines Todesurteils ein kollektives entsetztes „Majestät!“ entfahren ist. „Über das Gnadenrecht habe ich zu bestimmen. Hinrichten, den Schurken! Nicht weil er ein Schurke ist, sondern weil wir alle Schurken sind.“ Eine Begründung, die in ihrer Obszönität kaum zu überbieten ist und das Opfer verhöhnt.
Theaterstück verlangt Darstellern und Publikum viel ab
Die Aufführung verlangt sowohl dem Publikum als auch den Schauspielern einiges ab. Wenn die Darsteller ausrasten, dann aber so richtig und mit ohrenbetäubendem Geschrei. Und das nicht nur einmal. Alles ist überzogen, wird spielerisch über das übliche Maß hinaus ausgestellt. So funktioniert das in einer Groteske, das muss man aber auch aushalten können.
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Was der Darsteller des Prinzen, der gerade 18 Jahre alte Felix Schmidt, dabei an Performance auf die Bühne bringt, ist hochgradig imponierend und inspirierend zugleich. „Die Rolle ist mir nicht besonders schwergefallen“, sagt er auf Nachfrage. „Ich bin verdammt gut darin, auszuflippen.“ Niemand habe dem Prinzen je beigebracht, dass er Mitgefühl haben solle. Christiane Leuchtmann sagt: „Der Prinz ist schon eine sehr bösartige Figur. Er macht Sachen, weil er sie kann, und sieht nichts Falsches darin.“
Figuren verstärken sich gegenseitig in ihrem Verhalten
Für Jennifer Noelker, die die Prinzessin spielt, bestand die Herausforderung vor allem darin, nicht zu sprechen. „Für mich ist es schwieriger, nur mit Mimik und Gesten zu arbeiten.“ Und mit diesen beschränkten Mitteln Emotionen von Trauer bis Entsetzen sichtbar zu machen. Das Geschehen baut sich langsam auf, bis das Ganze eine unheilvolle Dynamik annimmt. „Die Figuren verstärkten sich gegenseitig in ihrem Verhalten.“
Die Einzige, die passiv bleibt, ist Yvonne, die sich klaglos ihrem Schicksal ergibt. Für Konturen bietet der Charakter keinen Platz, das ist aber auch gar nicht die Intention. Denn er ist austauschbar, weil er als Platzhalter für alle Opfer von Mobbing, Rassismus und Diskriminierung steht. Die Groteske ist ein Lehrstück, das noch lange nachhallt. Leuchtmann sagt: „Mobbing ist nie das Thema der anderen, wir tragen es alle mehr oder weniger in uns – ob wir das wollen oder nicht.“
Theater Sa 30.9., 20.00, So 1.10., 19.00, ab 12 J., Kleines Theater, Hamburger Straße 3, Karte 13,–/10,–, Vvk.: kleines-theater-bargteheide.de
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