Reinbek. Rechtschreibung mangelhaft: So urteilt mehr als die Hälfte der Betriebe in der Region über die Lehrlinge. Auch die mathematischen Kenntnisse des Nachwuchses sind lückenhaft. Das hat eine repräsentative Umfrage des Verbands der südholsteinischen Wirtschaft (VSW) unter seinen Mitgliedern ergeben.
Nur 19,7 Prozent der Firmen sind mit dem Bildungsniveau ihrer Lehrlinge zufrieden, aber 72,1 Prozent halten es für ungenügend. Im Vergleich zum Vorjahr sei das Niveau noch gesunken, geben mehr als 60 Prozent der Betriebe an. Diese Bewertung gilt für die Absolventen aller Schularten, vom Hauptschüler bis zum Gymnasiasten.
"Den Azubis fehlt es nicht an Ausbildungsmotivation, aber es mangelt ihnen an elementaren Grundkenntnissen", sagt der VSW-Vorsitzende Michael Voigt (51). Fast die Hälfte der Betriebe gibt an, daß die Lehrlinge Defizite in den Grundrechenarten und der Prozentrechnung aufweisen. Beim technischen Rechnen schnitten die jungen Frauen und Männer deutlich besser ab: Nur jeder vierte Betrieb sieht Defizite in diesem Bereich.
Michael Voigt betont, daß sich die Ergebnisse nur auf die Jugendlichen beziehen, die auch tatsächlich einen Ausbildungsplatz erhalten haben. "Bei den abgelehnten Bewerbern sieht es noch schlimmer aus", sagt er. Die Mehrzahl der Unternehmen hat deshalb eigene Einstellungstests entwickelt, so Voigt, der Geschäftsführer der Ahrensburger Ewert Holding ist.
"In meinem Betrieb gibt es einen Deutschtest, und es werden Rechenaufgaben gestellt", sagt er. Beispielsweise erhalten die Kandidaten Texte, die auf Rechtschreibung und Kommasetzung zu prüfen sind. Schreibweisen wie "Hightek", "Fordermann", "Milimeter", "Schiksal" oder "specktakulär" sollten hier tunlichst korrigiert werden.
Stephan Rieken (48), Geschäftsführer einer Groß- und Außenhandelsfirma in Glinde, setzt dagegen auf Gespräche mit den Bewerbern. Dabei stelle sich schnell heraus, ob die jungen Leute bereit seien, ihre eventuell vorhandenen Defizite auszugleichen. "Ich höre zum Beispiel immer wieder, daß die Hauptstadt von China Tokio heißt", sagt der Leiter eines Unternehmens, das im Handel mit Ostasien stark engagiert ist. Wer eine Ausbildung als Groß- und Außenhandelskaufmann anstrebe, sollte schon besser Bescheid wissen. Gert Suffrian, Personalleiter des Geesthachter Johanniter-Krankenhauses, zieht nur Bewerbungen in die engere Wahl, die mehr als vier vollständige Sätze enthalten. "Das sind weniger als die Hälfte der Briefe", sagt er.
Schuldzuweisungen lehnt der VSW-Vorsitzende Michael Voigt ab. "Wir wollen nicht auf die Bildungspolitik oder die Schulen eindreschen", sagt der Manager, "viele Lehrer machen einen guten Job." Er setzt auf den verstärkten Dialog mit den Schulen. Schon in den unteren Klassen müßten Rechtschreibung und Kopfrechnen einen größeren Stellenwert erhalten und die Leistungen auch bewertet werden.
Außerdem seien die Eltern in der Pflicht, die beruflichen Chancen ihres Nachwuchses zu verbessern. Der Umgang mit elektronischen Medien fördere weder Lesen noch Schreiben. Statt die Kinder dem Fernseher oder Computer zu überlassen, sollten Eltern ihren Nachwuchs stärker zum Lesen anhalten. "Dann gibt es bei der Rechtschreibung weniger Probleme", meint Voigt.
Er schlägt auch ein Praktikum zwei Jahre vor dem Schulabschluß vor: "An dessen Ende könnten die Praktikanten einen Einstellungstest machen und dann zusammen mit dem Lehrer ihre Defizite durchgehen und aufarbeiten." Als rohstoffarmes Land könne Deutschland im internationalen Wettbewerb nur mit dem "Pfund Bildung" wuchern, so Michael Voigt. "Unser Arbeitskreis Schule und Wirtschaft wird bis zum Sommer ein Konzept ausarbeiten, wie das Niveau verbessert werden kann", sagt der VSW-Vorsitzende.
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