Stade. Stades Bürger sind den Politikern ihrer Stadt wieder einmal weit voraus. Während die gewählten Volksvertreter in den vergangenen Monaten noch heftig über die Verlegung von Stolpersteinen gestritten haben, bevor sie sich schließlich darauf einigten, auf diese Weise NS-Opfern zu gedenken, wurden zahlreiche Einwohner bereits von sich aus aktiv: Schon 25 Bürger haben sich bei der Stadtverwaltung gemeldet, um eine Patenschaft für die Steine zu übernehmen. Sie wollen die jeweils 100 Euro für die zehnmal zehn Zentimeter großen Tafeln übernehmen. Bemerkenswert: Es gibt mehr Paten als bislang bekannte NS-Opfer. Stadtarchivar Jürgen Bohmbach hat bisher 21 Opfer ermittelt, die ihren letzten freiwillig gewählten Wohnort in Stade hatten.
Eine Staderin, die sich sehr über die politische Auseinandersetzung empört hatte, ist Veronika Kähler. Die pensionierte Lehrerin wirbt seit Jahren dafür, den NS-Opfern zu gedenken: "Ich habe mich auch für das Pastor-Behrens-Haus eingesetzt." Der Pastor hatte sich gegen das Regime ausgesprochen und wurde 1935 öffentlich von Nazis gedemütigt.
Kähler meldete sich aufgrund der Berichterstattung im Abendblatt bei Stades Erstem Stadtrat Dirk Kraska. Die 72-Jährige hat das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz selbst besichtigt: "So etwas wie Auschwitz darf nie wieder passieren." Die Stolpersteine würden dazu beitragen, dass sich Bürger an die NS-Zeit und deren Opfer erinnern. Daher dürfe es nicht an der Finanzierung scheitern.
Auch Peter Wellbrock ist vom Projekt überzeugt: "Die Zeit heilt nicht alle Wunden. Der Nationalsozialismus ist ein bitteres Erbe." Der 75-Jährige ist geschichtsinteressiert. In seinem Wohnzimmer stapelt sich Fachliteratur über die Zeitgeschichte. Der ehemalige Redakteur erlebte zwei Diktaturen. Das habe seine Biografie geprägt. Zum einen wuchs er während der NS-Zeit auf, zum anderen wohnte er bis 1988 in der DDR. "Geschichte gehört nicht in die Vitrine des Museums, sondern in die Gegenwart, in unseren Alltag." Er will dazu beitragen.
Wellbrock engagiert sich in der Arbeitsgemeinschaft (AG) Archäologie, die ihn nun bei der Patenschaft unterstützt. Die AG möchte den Stein für Johanna Schragenheim verlegen. Die Stader Schneiderin war jüdischer Herkunft und lebte in der Salzstraße Nummer 16, bis sie 1943 nach Theresienstadt deportiert und dort ermordet wurde.
Petra Tiemann setzt sich ebenfalls für die Erinnerung an die NS-Zeit ein und hat sich als Patin gemeldet. Dafür, so die SPD-Landtagsabgeordnete, sei sie in ihrem Heimatort Kutenholz kritisiert worden. Doch Tiemann kontert den Vorwurf, sie sei rückwärtsgewandt: "Das ist nicht richtig. Denn nur wenn wir wissen, wie die öffentlichen Kontrollmechanismen versagt haben, können wir verhindern, das so etwas noch mal passiert."
Tiemann ist für die Steine, da Passanten gedanklich stolpern und ans NS-Regime erinnert würden: "Wenn jemand gedanklich woanders ist und die Steine sieht, kommt er plötzlich ins Straucheln. Das ist wichtig und muss immer wieder passieren."
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