Schleswig-Holstein

Das Geheimnis der Lübecker Straßen-Kunst

| Lesedauer: 5 Minuten
Eva-Maria Mester und Edgar S. Hasse
Die Gemäldekopie eines kleinen Mädchens, zu sehen an einer Lübecker Häuserwand

Die Gemäldekopie eines kleinen Mädchens, zu sehen an einer Lübecker Häuserwand

Foto: Daniel Bockwoldt / dpa

Kopien von Gemälden tauchen überraschend an Hauswänden der Stadt auf. Wer dahintersteckt, ist bislang unbekannt.

Lübeck.  In der Hansestadt landen Kunstwerke jetzt auf der Straße: Seit rund zwei Wochen tauchen an Hauswänden in der Lübecker Altstadt Kopien von Gemälden verschiedener Epochen auf. Die Originale hängen alle im Lübecker Museum Behnhaus, das auf die Zeit der Romantik und die klassische Moderne spezialisiert ist. Dahinter steckt wohl die Idee, Kunstwerke aus dem Museum in die Stadt zu holen, sagte der Leiter des Museums, Alexander Bastek, bei einer Führung zu den in Szene gesetzten Kopien und ihren musealen Originalen.

Etwa 15 Leute hatten sich zu der Führung eingefunden, die im Museum Behnhaus beginnt. „Ich finde die Idee toll, Kunst so unter die Leute zu bringen. Schade nur, dass die Bilder draußen nicht lange halten“, sagt eine Besucherin des Rundgangs durch die Stadt. Dabei zeigt sich aber, dass einige Motive bereits beschädigt sind. „Ein Bild ist schon komplett verschwunden, von einem anderen sind nur noch Teile zu sehen“, sagt Bastek. Es sind stets Ausschnitte aus Gemälden, die an Begrenzungsmauern und Hauswänden prangen, wie zum Beispiel ein weißer Schoßhund aus einem Porträt einer vornehmen Dame, gemalt um 1785. In einer Mauernische an der Hundestraße wird er vom Beiwerk zur Hauptsache. „Hier guckt er sehr schelmisch und recht selbstbewusst, während er auf dem Original unter dem Spitzenärmel der Dame verschwindet“, sagt eine der Teilnehmerinnen.

„Der Urheber dieser Straßenkunst hat die Bilder gezielt an symbolhaften Orten platziert“, sagt Bastek. So ziert ein um 1900 im Spielzimmer gemaltes Mädchen eine Mauer an einem Spielplatz. Ein Stück weiter schaut der „Schuhflicker von Kairo“ aus einem Gemälde des Malers Hermann Linde die Passanten an. Das deute auf Kunstverständnis hin, sagt der Museumschef.

Der oder die Urheber dieser sogenannten Outings sind bislang unbekannt. „Wir selbst sind es jedenfalls nicht“, sagt Bastek und tritt damit der Vermutung entgegen, es könne sich um eine Marketingaktion der Museen handeln. Doch von Dienstag an bietet das Museum kostenlos Kopien des Gemäldes „Die Söhne des Dr. Max Linde“ von Edvard Munch an. „Wer mag, kann dann Teile des populärsten Bildes aus unserem Museum an die Mauer seines eigenen Hauses kleben und uns ein Foto davon schicken“, sagt der Museumsleiter.

Medienberichten zufolge sieht Lübecks Bürgermeister Bernd Saxe (SPD) die Aktion inzwischen als Geschenk für die Stadt und die städtischen Museen. Zunächst aber habe die Lübecker Polizei den Anfangsverdacht einer Straftat gesehen, weil das Erscheinungsbild der genutzten Häuser nicht unerheblich verändert worden sei. Und das, obwohl diese Kopien – anders als ein Grafitto – eine sehr kurze Lebensdauer hätten.

Insgesamt acht Motive wurden in der Lübecker Altstadt gesichtet. „Zwei hingen nur eine Nacht, die anderen wird der Regen früher oder später aufweichen. Die Straßenkunst ist eben vergänglich“, sagt Bastek.

Was in Lübeck passiert, ist kein Einzelfall. Die Idee zu der Aktion geht vermutlich auf den französischen Künstler Julien de Casabianca zurück, der vor rund einem Jahr weltweit Gemäldekopien an Hauswände klebte und die Menschen zur Nachahmung aufforderte. Dabei werden die Originale von Museumsbesuchern mit dem Handy fotografiert, die Bilder auf Papier gedruckt und vergrößert.

Der 44 Jahre alte korsische Künstler hatte im Juni in Hamburg-Harburg für Aufsehen gesorgt. Eine Kopie des Selbstbildnisses von Philipp Otto Runge (1777–1810) klebte am Bornemannschen Haus an der Schlossstraße. Neben den Metropolen London, Paris, New York, Los Angeles, Chicago und Brüssel avancierte Hamburg nach Frankfurt am Main zur zweiten deutschen Stadt, in der de Casabianca seine Aktion durchführte.Unterstützt wurde der Künstler von der TU Harburg und vom City-Management. Dessen Geschäftsführerin Melanie-Gitte Lansmann erinnert sich an das Projekt: „Es war uns gelungen, Synergien zu nutzen und schnell zu reagieren.“

Die Aktion rückt die Kunstschätze des Museums in den Fokus des Interesses

Die neue Aktion hat es jetzt jedenfalls geschafft, die Hansestadt Lübeck und ihre Kunstschätze in den Mittelpunkt zu rücken. Das Museum Behnhaus/Drägerhaus überzeugt die Besucher durch seine Sammlung von Gemälden des 19. Jahrhunderts und der Klassischen Moderne. Ausgestellt sind unter anderem Werke von Caspar David Friedrich, Carl Blechen, Carl Gustav Carus und dem Lübecker Friedrich Overbeck präsentiert. Dazu kommen Gemälde von Max Liebermann, Ernst Ludwig Kirchner und Edvard Munch.

Einige der Lübecker Bilder befinden sich inzwischen auf der Homepage von Julien de Casabiancas. Der Künstler lobt die Aktion in der Weihnachtszeit – und meint damit offenbar, dass er Akteure in der Hansestadt gefunden hat, die seine Idee von der Straßenkunst in die Tat umsetzen.

Im Sommer hatte er bei seinem Hamburg-Besuch gesagt: „Befreit die Bilder aus den Museen. Macht es mir nach. Lasst sie raus. Es gibt genug Schönheit an jedem Ort.“ Es war ein Aufruf, dem offenbar in Hamburg niemand so recht folgen wollte. Jetzt haben es die Lübecker geschafft.