Westerland/Sylt. Es sind traurige Geschichte, die die Vorsitzende der Sylter Tafel erzählt. Von der 90-Jährigen, die ab Monatsmitte nichts mehr zu essen hat. Von Rentnern, die keine Einladung mehr annehmen, weil sie sich keine Blumen als Mitbringsel leisten können. Aufpassen, dass diese Menschen nicht im Glamour untergehen, das macht die Tafel auf der Insel der Schönen und Reichen, denn auch auf Sylt gibt es Armut und Einsamkeit.
Dörte Lindner-Schmidt ist Vorsitzende und Gründungsmitglied der Sylter Tafel, die seit 1998 Lebensmittel an Bedürftige ausgibt. Gespendet werden die Waren von Sylter Unternehmen: Kiwis, Bananen, Melonen, Butterkuchen, Hörnchen – die Auswahl ist groß. Alles wird in einem von einem Autounternehmen zur Verfügung gestellten Wagen abgeholt und dann zur Ausgabestelle transportiert. Je einmal in der Woche wird im katholischen und im evangelischen Gemeindehaus getafelt. Etwa 60 Menschen setzen sich an die mit Blumen geschmückten Tische, erzählt Lindner-Schmidt. In den Anfangszeiten waren es 25.
Lindner-Schmidt betont die Bedeutung der Tafel. „Für Sylt ist das ein echter Treffpunkt geworden. Die Leute müssen warten auf das Essen und unterhalten sich. Da sind Rentner dabei, die hier alte Klassenkameraden treffen. Jeder Tisch hat seine eigene kleine soziale Welt.“ Vor der Ausgabe werden Nummern gezogen, dann wird die Reihenfolge ausgelost.
Das Publikum: Selbstständige, Geschäftsleute, Angestellte
Bevor diese Regelung eingeführt wurde, standen die Menschen schon einige Stunden vor Beginn vor der Tür „oder ließen morgens die Tasche fallen“ – um ihren Platz zu reservieren. Das Publikum ist bürgerlich: Selbstständige, Geschäftsleute, Angestellte. Was hat sie auf der Nobel-Insel zu Tafel-Kunden gemacht? Es ist wie überall: Ein Teilzeitjob, der zu wenig einbringt, Schulden oder Scheidung.
Insgesamt hat die Tafel 25 Mitarbeiter. Heute hilft Gisela Laatz beim Anrichten der Waren. „Wir haben ein ganz tolles Team“, sagt Lindner-Schmidt. Vom Arzt bis zur ehemaligen Putzfrau reicht das Spektrum. Eine Hygiene-Schulung bekommen alle. Auf Augenhöhe wollen sie helfen, betont die 53 Jahre alte Vorsitzende. „Wir haben nie so eine Distanz zwischen Besuchern und Helfern, nicht so das Geberhafte. Es ist ganz wichtig, dass die Menschen ihre Würde behalten und wir ihnen sagen: Sie sind ja nicht allein.“
Dazu gehört auch, dass alle Mitarbeiter eine Schweigeverpflichtung unterschreiben. Ein Sylt-spezifisches Problem ist nämlich die fehlende Anonymität, wenn man in Not geraten ist, erzählt Lindner-Schmidt. „In Hamburg können sie einfach den Stadtteil wechseln, die Chance hat man hier nicht.“
Wer zur Tafel kommt, etwa in das unweit der Einkaufsmeile Friedrichstraße gelegene katholische Gemeindehaus, der outet sich, sagt die 53-Jährige. „Wer das nicht nötig hat, der kommt nicht.“ Denn das ist eine oft gestellte Frage auf der Urlaubsinsel: Habt ihr keine Angst, ausgenutzt zu werden? Und stützt die Tafel nicht die Armut? „Wir sind keine Richter“, wehrt Lindner-Schmidt ab. Und die Kritik daran, dass Lebensmittel weitergegeben werden, die sonst im Müll gelandet wären, kann sie nicht verstehen. „Das ist unsere Neidgesellschaft.“
Die Tafel-Besucher waren schon zu Gast in der Sansibar
Die Gemeinde sei froh, dass es die Tafel gibt, sagt Ordnungsamtsleiterin Gabriele Gotthardt. Die Tafel sei sehr wichtig, heißt es auch aus der Leitung des Sozialzentrums Sylt. Ein Leistungsbescheid als Nachweis der Bedürftigkeit müsse nicht vorgezeigt werden. Somit könnten auch alleinerziehende Mütter oder Rentner mit wenig Geld kommen.
Natürlich habe die Sylter Tafel andere Ansprechpartner als Tafeln anderer Städte, sagt Lindner-Schmidt. Da wird schon mal ein Stuttgarter Unternehmen durch einen Fernsehbeitrag angeregt, zu spenden. Und zur Weihnachtszeit lud Promiwirt Herbert Seckler Mitarbeiter und Besucher der Tafel in die Sansibar. „Das war ein Highlight für die Leute“, erinnert sich die Tafel-Vorsitzende. „Da war nichts Gönnerhaftes.“ Auch das ist ihr wichtig, dass die Tafel kein Ort für Tränen ist. „Die Menschen dort haben Freude.“
Nach Angaben des Bundesverbandes gab es in Neumünster und Heide die ersten Tafeln in Schleswig-Holstein. Bei der meistfrequentierten Tafel in Kiel gibt es sieben Ausgabestellen. Die größte im Stadtteil Gaarden werde täglich von 130 bis 150 Menschen besucht, sagt Frank Hildebrandt, Vorstandsmitglied der Kieler Tafel. Zur kleinsten kommen immerhin noch 35. Ständig erreichen Hildebrandt Anfragen zur Gründung neuer Tafeln im Land. 55 gibt es momentan im Norden.
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