Lutzhorn. Es ist die größte wiederentdeckte frühmittelalterliche Siedlung in Schleswig-Holstein. Gut 1000 Jahre alt sind die Überreste von 18 Gebäuden – Wohn- und Arbeitshäuser sowie Speicher – und Öfen, die Mitarbeiter des Archäologischen Landesamts vor zweieinhalb Jahren in Lutzhorn ausgegraben haben.
Jetzt hat der damalige Leiter dieser dreimonatigen Arbeit im Frühjahr 2019, Leif Schlisio, die Ergebnisse seiner Ausgrabung im neuesten Jahrbuch des Kreis-Heimatverbandes beschrieben. Im Abendblatt-Gespräch erklärt er, wie die archäologisch gesicherten Funde historisch einzuordnen sind. Die gesamte Ausgrabungsfläche umfasst ein Gebiet von 7600 Quadratmetern.
„Das war ein echter Glücksfall in Lutzhorn für uns“, sagt Archäologe Schlisio. Nördlich des Lindenweges sollte in der kleinen Gemeinde im Norden des Kreises ein Neubaugebiet entstehen. Weil dort einmal ein Grabhügel aus der vorchristlichen Bronzezeit vermutet wurde, der aber bereits vor 100 Jahren weitgehend abgetragen worden sein soll, schaltete die Gemeinde die Experten des Archäologischen Landesamts ein. Unter der Leitung des Archäologen Schlisio begannen im April 2019 mit rund zehn Mitarbeitern die Ausgrabungsarbeiten.
Sensationsfund in Pinneberg: Lutzhorn entdeckt das frühe Mittelalter
Die beiden Gräber aus der jüngeren Bronzezeit (etwa 1000 vor Chr.) konnten sie zunächst nicht entdecken. Dafür fanden sie „ausgedehnte Reste einer sächsischen frühmittelalterlichen Siedlung“, erklärt Schlisio. Man könne auch von einer dörflichen Gemeinschaft reden, die hier zusammenlebte. Denn der heutige Norden Deutschlands sei damals nur „sehr dünn besiedelt gewesen“, weiß Schlisio.
Die Archäologen entdeckten 364 Pfostengruben, 49 Gruben, sieben Feuerstellen, fünf Brunnen und zwei Brandbestattungen. Es waren 558 markierte Funde in einer Fülle, die bislang einmalig in Schleswig-Holstein sei. „Das machte unsere Arbeit von Anfang an spannend.“
Denn aus der Zeit der ersten Jahrtausendwende unserer Zeitrechnung gebe es sonst im Land nur ein paar Burgen und wenige Siedlungsreste, wie sie zum Beispiel im kleineren Ausmaß in Högersdorf im Nachbarkreis Segeberg gefunden worden sind. „Auch die historischen Quellen aus dieser Zeit sind recht spärlich“, sagt Schlisio.
Heimatkundliches Jahrbuch erinnert an spektakuläre archäologische Hebung
Mit einem Radbagger trugen die Archäologen zunächst den Oberboden vorsichtig ab. Dann legten sie mit Schaufeln und Maurerkellen im Detail in anstrengender Handarbeit ein Gebäude nach dem anderen frei. Letztlich waren es sieben Wohnhäuser in unterschiedlichen Größen (70 bis 300 Quadratmeter) mit und ohne Feuerstellen sowie ebenso viele Speicher (20 bis 50 Quadratmeter), die sie zu Tage förderten. Daneben entdeckten sie kleinere, sechs bis 35 Quadratmeter große Grubenhäuser, in denen sich stark verziegelter Lehm und Eisenschlacke befanden, die darauf schließen ließen, dass die damaligen Bewohner darin Rennfeueröfen zur Eisenverhüttung betrieben haben. Die Eisenschlacke stammt von dem Vorgang, wenn der Schmied mit dem Hammer auf das glühende Eisen geschlagen hat.
„Die Gebäude haben nicht alle gleichzeitig existiert“, erklärt Schlisio. Vielmehr seien sie nacheinander im Laufe des 10. bis 12. Jahrhunderts gebaut und bewohnt gewesen. Der Archäologe vermutet, dass jeweils eine Großfamilie mehrerer Generationen zum Teil mit Knechten und Mägden mit sechs bis 15 Personen in den Häusern lebten. Die Grubenhäuser waren Nebengebäude und dienten vorwiegend als Arbeitsstätten. Neben der bereits erwähnten Eisenverarbeitung, die hier wegen der Schlackereste stattgefunden haben muss, seien in diesen Räumen wohl auch Textilien hergestellt worden, sagt Schlisio. „Wir haben darin Webreste nachweisen können.“
Das genaue Alter der Siedlung ließ sich am Alter des Holzes bestimmen, das für den Brunnenbau verwendet wurde, erläutert der Archäologe. Das Holz müsse ziemlich genau im Winter der Jahreswende 961/62 unserer Zeit geschlagen worden sein. Das habe die dendrochronologische Untersuchung ergeben, bei der die Jahresringe eines Baumes zur Altersbestimmung herangezogen werden.
Das genaue Alter der Siedlung ließ sich am Alter des Holzes bestimmen
Zudem sind eine Rechteck- und zwei Scheibenfibeln entdeckt worden, die den Menschen im frühen Mittelalter als Schmuckstücke und Broschen dienten, um ihre Kleidungsstücke zusammenzuhalten. „Eine runde Silberfibel ist aufwendig gearbeitet und weist Reste einer Vergoldung auf“, heißt es dazu im Jahrbuch. „Im Zentrum ist ein rückblickender Vierbeiner zu erkennen“, dessen Ursprung nicht feststellbar sei. „Die Gestaltung weist aber klar in das Frühmittelalter.“
Auch haben die damaligen Sachsen nördlich der Elbe Handel bis ins Rheinland betrieben, wie die hartgebrannten, gelben Scherben eines zerbrochenen Gefäßes dokumentieren, so Schlisio. „In jedem Fall handelt es sich um Importware aus dem Rheinland.“ Für einen regen Handel der damaligen Bevölkerung vor etwa 35 Generationen spricht auch ein Kugelzonengewicht, das sich etwa 1000 Jahre lang unter der Lutzhorner Erde befand. Dies müsse Teil einer Klappwaage gewesen sein, die im Frühmittelalter sehr häufig genutzt wurde, um Münzen und Edelmetalle abzuwiegen, da die zu der Zeit „im Umlauf befindlichen Münzen noch sehr uneinheitlich waren“, erklärt Schlisio.
Alle Funde werden nun in Schloss Gottorf für die Nachwelt aufbewahrt
Sogar eine zerbrochene Münze, einen Silberdenar, haben die Archäologen hier mithilfe eines Metalldetektors ausgegraben. Sie ist zwar ohne Jahresangabe, zeigt aber das Porträt der Sachsen-Herzöge Bernhard I oder Bernhard II und muss somit zwischen 1011 und 1059 geprägt worden sein.
Alle Funde werden nun in Schloss Gottorf für die Nachwelt aufbewahrt und stehen dort für weitere historische Studien zur Verfügung. Auch die Gemeinde Lutzhorn möchte ihren Bürgern die Ergebnisse der Ausgrabungen im nächsten Jahr noch einmal präsentieren, kündigt Bürgermeister Hans-Jürgen Kublun an. „Die Geschichte Lutzhorns muss umgeschrieben werden“, sagt er. „Wir sind ja viel älter als gedacht.“ Erstmals erwähnt wurde Lutzhorn mit seinen heute 825 Einwohnern bisher im Jahr 1255. Nun ist das Dorf aber wohl um die 200 Jahre älter.
Das Ausgrabungsgebiet ist unterdessen überbaut worden. Dort entstehen seit dem Frühjahr zwölf neue Einfamilienhäuser auf jeweils 1000 bis 1400 Quadratmeter großen Grundstücken.
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