Pinneberg. Kindern zu zeigen, wie viel Spaß Lesen macht – das ist die Idee hinter dem Verein Mentor, der seit Winter 2009 in Pinneberg Grundschüler von der zweiten bis zur vierten Klasse betreut. Die lesen nach dem Unterricht gemeinsam mit ihren Mentoren – also den ehrenamtlich im Verein Tätigen – Bücher, Kinderzeitungen und andere Texte.
Dafür kommen die Leselernhelfer an die Schulen – eigentlich. Seit März vergangenen Jahres ist das wegen Corona mehr möglich. Die Pandemie erfordert Umdenken. Mit Kreativität und Kompromissen schafft es der Verein, trotz widriger Umstände seinem Leitgedanken weiter nachzugehen.
Heidi Lindska ist inzwischen seit sieben Jahren Leselernhelferin und lässt sich von der Pandemie nicht unterkriegen. Trotz Lockdowns und mit Abstand liest die 60-Jährige mit ihrem Lesekind – über Videoanrufe. Und das, obwohl sie erst seit diesem Jahr Skype und dergleichen benutzt.
Damit ist sie eine der ersten Mentorinnen und Mentoren in Pinneberg, die diesen digitalen Weg gehen. Es funktioniere „erstaunlich gut“, sagt sie. Sehr viel besser, als sie anfangs erwartet hätte. Seit Februar dieses Jahres liest sie ein- bis zweimal die Woche mit ihrem Lesekind, einem 11-jährigen Viertklässler.
Vorlesen ist ihre große Liebe. „Früher war ich auch immer für die Gutenachtgeschichten bei den Kindern meiner Freunde zuständig“, sagt sie. Auf den Verein sei sie durch einen Tipp aus dem Pinneberger Rathaus gestoßen. Als sie nach einer Beschäftigung neben dem Beruf suchte, die am besten mit Kindern und Lesen zu tun haben sollte, rief die gelernte Rechtsanwalts- und Notargehilfin auch bei der Stadt Pinneberg an. Ihre Gesprächspartnerin dort konnte ihr nicht helfen, zunächst nicht. Nach einigen Tagen erhielt Lindska einen Anruf von der Sachbearbeiterin: Sie habe da von diesem Verein gehört, der genau auf Lindskas Vorgaben passe.
Kindern etwas von dieser großen Welt abgeben zu können, genau das Ehrenamt, nach den sie gesucht hatte. Sie liebt es, mit Kindern zusammen zu lesen, deren Fantasie zu wecken und langsam zu sehen, „dass sie anfangen, sich selbst über den Text Gedanken zu machen“.
Lindska sagt, für viele Kinder, die sie betreut, sei es wichtig, mal die volle Aufmerksamkeit eines Erwachsenen zu haben. Oft kämen sie aus sozial schwächeren Familien. Ihr vorletztes Lesekind fiel zwischen sechs Geschwistern und deren alleinerziehender Mutter „hinten weg“. „Die Mutter war sehr engagiert, aber ihr Tag hat eben auch nur 24 Stunden“, sagt die Mentorin. Dafür sei das Ehrenamt auch wichtig.
Leselernhelfer sind keine Nachhilfelehrer. „Es geht nicht um Schultexte oder darum, ein bestimmtes Pensum zu erreichen“, sagt Lindska. Theoretisch könne man auch Comics mit den Kindern lesen, Hauptsache, sie lesen und haben Spaß am Text.
„Ich habe mir anfangs Sorgen gemacht, dass ich vielleicht nicht mitbekomme, wenn ein Kind bei Wörtern Schwierigkeiten hat oder eine Pause braucht“, sagt sie. Wie sich herausstellt: alles kein größeres Problem.
In den Anfangstagen der Pandemie kopierte Heidi Lindska Texte und warf sie ihrem Schützling in den Briefkasten. Inzwischen können sie auch wieder Bücher lesen, die der Verein ihnen in doppelter Ausführung zur Verfügung stellt. Ein Exemplar leiht Lindska aus, das andere überreicht sie dem Kind. Die Online-Stunden sind oft länger als eine Schulstunde, weil es beiden Spaß macht. „Man möchte ja auch wissen, wie die Geschichte weitergeht“, sagt Lindska.
Trotzdem fehle ihr der direkte Kontakt, über Video sei man selbst und das Kind doch ein wenig angespannter, und man müsse sich stärker auf den kleinen Handybildschirm konzentrierten. Lockere Gespräche – die für sie genauso zur Lesestunde gehören wie das Buch – seien schwierig. Sie ist froh, dass sie mit dem 11-Jährigen schon seit 2019 liest und sie einander nicht über Video kennenlernen mussten.
Das wird sich dieses Jahr vermutlich auch noch ändern, denn nach der vierten Klasse hört die Betreuung auf. Lindska bekommt im August ein neues Lesekind, mit dem sie dann vermutlich digital beginnen wird. Wie schätzt sie das Ganze ein? „Ich glaube, dass das nur mit älteren Kindern funktioniert, die schon ein wenig Erfahrung mit Medien haben“, sagt sie und meint damit eher Viert- als Drittklässler.
Sie jedenfalls möchte auch weiter ihre Lesebetreuung online anbieten und so von ihrer Leseliebe etwas an ihre jüngeren Schützlinge weitergeben.
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