Norderstedt

„Schwarze Sheriffs versetzen alle in Angst und Schrecken“

| Lesedauer: 8 Minuten
Burkhard Fuchs
Diskutierten vor 100 Schülerinnen und Schülern der Willy-Brandt-Schule: Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder (SPD), Robert Hille (CDU) und Katrin Schmieder (Grüne, tritt als unabhängige Kandidatin an).

Diskutierten vor 100 Schülerinnen und Schülern der Willy-Brandt-Schule: Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder (SPD), Robert Hille (CDU) und Katrin Schmieder (Grüne, tritt als unabhängige Kandidatin an).

Foto: Burkhard Fuchs

OB-Wahlkampf: Im Disput zum Thema Sicherheit in Norderstedt kritisiert die Oberbürgermeisterin Pläne des CDU-Kandidaten.

Norderstedt. Das war „jedenfalls besser als Mathe-Unterricht“, sagte hinterher ein Schüler ganz offen. Fast zwei Stunden lang hatten er und etwa 100 Mitschülerinnen und Mitschüler der Willy-Brandt-Schule die Diskussion der drei Kandidaten für die Oberbürgermeister-Wahl am 8. Oktober in Norderstedt verfolgt. Amtsinhaberin Elke Christina Roeder (SPD), Kandidatin und Sozialdezernentin Katrin Schmieder (Mitglied bei den Grünen, tritt als unabhängige Kandidatin an) und Kandidat Robert Hille (CDU) wurden auf der Bühne von Paula Sam Aichlseder und Alexandra Nowacka, Schülerinnen aus dem zehnten und elften Jahrgang befragt. Über die Beweggründe für ihre Kandidaturen, zu ihren Herzensthemen und darüber, was die Jugend in Norderstedt von ihnen erwarten könne.

Es war erst die zweite und wohl letzte gemeinsame Diskussionsrunde in diesem OB-Wahlkampf. Eine Woche zuvor, im Coppernicus-Gymnasium, war die Runde noch öffentlich. In der Willy-Brandt-Schule durfte neben der Schülerschaft nur die Presse zuhören.

Schülerschaft motivieren, zur Wahl zu gehen

Warum ein Wahlkampf-Duell in der Schule? „Wir wollen die Schülerschaft motivieren, wählen zu gehen. Es ist unsere Zukunft, die wir hier gestalten können“, sagte Alexandra Nowacka. „Es geht darum, die verschiedenen Standpunkte zu erklären, damit sich jeder eine Meinung bilden kann“, ergänzte Co-Moderatorin Paula Sam Aichlseder.

Mit ihren Fragen zu Klimaschutz, ÖPNV, Digitalisierung und Jugendpolitik gaben sie ihren drei Gästen genug Möglichkeit zur Positionierung. Aber oft waren sich die drei ziemlich einig, etwa beim Klimaschutz und der Digitalisierung, wo alle drei ausbauen und beschleunigen wollen. Unstrittig ist unter ihnen auch, dass mehr Busse und Bahnen fahren müssten und Jugendangebote in der Stadt attraktiver werden sollten.

Amtsinhaberin Roeder versprach, den Zehn-Minuten-Takt im städtischen Busverkehr und die U-Bahn-Verlängerung bis zur Quickborner Straße mit einem Bahnnetz rund um Norderstedt anzustreben. Später räumte sie allerdings ein, dass die Stadt das gar nicht beschließen könnte, sondern der Kreis Segeberg für den Busverkehr und das Land für das Angebot auf der Schiene allein zuständig seien. Zudem wünsche sie sich, dass die MOIA-Busse nicht mehr an der Hamburger Stadtgrenze Halt machten. Auch Hille forderte bei der U1-Verlängerung „aufs Tempo zu drücken“.

Den ÖPNV wollen alle ausbauen

Katrin Schmieder setzt dagegen auf eine Kombination von abschließbaren Fahrradstellplätzen, Carsharing-Angeboten und besseren Bus-Querverbindungen. Denn immer mehr junge Menschen würden keinen Führerschein mehr machen wollen, etwa wie einer ihrer Söhne. Gerade habe das Land beschlossen, das Schülerticket für 29 Euro anzubieten, was Schmieder und Roeder begrüßten.

Zum Disput kam es beim Thema öffentliche Sicherheit. Da warf Hille der amtierenden Verwaltungschefin vor, „sechs Jahre nichts gemacht zu haben“ und „im Galopp in die falsche Richtung gelaufen“ zu sein. Wenn Roeder jetzt die Verstärkung des kommunalen Ordnungsdienstes ankündige, vollführe sie einen „Salto mortale“, kritisierte Hille und forderte eine Kameraüberwachung an den U-Bahnstationen und dem Herold-Center. „Wir müssen da mit allen rechtsstaatlichen Mitteln durchgreifen.“

Sicherheit: Kameras schrecken Kriminelle nicht ab, sagen Roeder - und Schmieder

Roeder und Schmieder sprachen sich entschieden gegen eine Videoüberwachung aus, weil die niemanden abschrecke. Sie würden auch keinem helfen, der sich nachts bedroht fühlte oder gar angegriffen werden sollte, mahnte Schmieder an. „Sicherheit verspricht da nur die Anwesenheit anderer Menschen“, ist Schmieder überzeugt.

Katrin Schmieder sieht die aktuelle Lage als Folge des Corona-Lockdowns, weil die Jugendlichen sich knapp drei Jahre lang nirgends treffen konnten und nun einiges nachzuholen hätten. Das befand auch Roeder. „Da ist viel weggebrochen. Es fehlten Räume für junge Menschen.“ Schmieder sprach sich dagegen aus, „alle unter Generalverdacht zu stellen.“

Mehr Jugendarbeit sei nötig

Schule, Eltern und die aufsuchende Jugendarbeit und die eingehende Betreuung jugendlicher Straftäter sei das bessere Rezept. Zudem bräuchten junge Leute wieder viel mehr Aufenthaltsmöglichkeiten in der Stadt, wo sie sich ohne Aufsicht treffen könnten. Den Stadtpark um 20 Uhr zu schließen, sei viel zu früh.

Roeder erinnerte daran, dass die flächendeckende Kameraüberwachung in London zu mehr Kriminalität geführt habe. Als Oberbürgermeisterin sei sie dafür verantwortlich, das Sicherheitsgefühl der Menschen in der Stadt zu erhöhen und „dass es keine weiteren Angsträume gibt“. Wenn sie Hilles Ruf nach verstärkter Polizeipräsenz höre, wundere sie sich doch, dass die CDU-Innenministerin nicht mehr Polizeikräfte für Norderstedt bewillige, was sie sich wünschen würde.

Hilles Konzept der „schwarzen Sheriffs“ würde „nur alle in Angst und Schrecken versetzen“. Der fühlte sich dann missverstanden. Die kriminellen Jugendlichen kämen nicht aus Norderstedt, sondern würden aus Hamburg kommen, um hier Drogen zu verkaufen, sagte Hille.

Kandidat Hille will lieber hart durchgreifen

Darum müsse die Stadt mehr Mitarbeitende im Jugendamt einstellen, forderte Hille. „Und das hat etwas mit Geld zu tun“. Darum müsse die Wirtschaft gefördert werden, um mehr Steuern einzunehmen. Da widersprach ihm Sozialdezernentin Schmieder. Der personelle Engpass im Jugendamt liege keineswegs am Geld, sondern einzig am Fachkräftemangel. Ein Drittel der Personalstellen könnten nicht besetzt werden. Mitarbeitende müssten sich Tische und Stühle teilen. Der Kreis habe deshalb bereits zwei von sieben Beratungsstellen geschlossen. „Unter solchen Bedingungen wollen Fachkräfte heute nicht mehr arbeiten.“

OB Roeder sagte, sie habe in ihrer Amtszeit viel erreicht und würde gerne „eine zweite oder auch dritte“ Wahlperiode im Amt bleiben wollen, weil sie „Norderstedt lieb gewonnen habe“. 189 Dienstleistungen könnten die Bürger inzwischen online erledigen, sagte sie.

Schmieder: Flüchtlinge sollen mit dem Migrationsbeirat eine Stimme bekommen

Schmieder kündigte an, einen Migrationsbeirat installieren zu wollen, um den geflüchteten Menschen eine Stimme und ein Sprachrohr auch gegenüber Verwaltung und Politik zu geben. Sie möchte keine Trennung der Bürger nach Herkunftsländern. „Norderstedt soll eine Stadt für alle sein.“ Roeder unterstützte diese Idee und sprach von den Geflüchteten als „Gäste“. Was sie dann auf Nachfrage einer Schülerin erklären sollte. Sie gehe davon aus, dass die meisten wieder in ihr Heimatland zurückwollten. „Wenn sie hierbleiben wollen, sind sie Bürger.“

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Hille kündigte an, für mehr Wirtschaftsförderung zu sorgen, sonst könnten die nötigen Investitionen in die soziale und grüne Infrastruktur nicht gelingen. „Norderstedt geht es besser als anderen Städten. Aber der Stern sinkt“, behauptete der CDU-Kandidat. Zudem gebe es noch viel zu viel Bürokratie im Rathaus. Dafür seien aber Land und Bund mit ihren ständig neuen Verordnungen verantwortlich, gab Roeder zu bedenken.

Schülerin spürt den Konkurrenzkampf der Kandidaten

Zudem musste Hille erklären, warum Hans-Joachim Grote ausgerechnet mit Katrin Schmieder eine öffentliche Veranstaltung in der TriBühne vor mehr als 200 Menschen gemacht habe. Er sei „in engem Austausch“ mit dem ehemaligen Oberbürgermeister und gerade mit ihm und 50 anderen auf einer Fahrradtour gewesen, sagte Hille.

Schmieder möchte als künftige Oberbürgermeisterin „Ideen- und Taktgeberin“ in der Stadt sein und dabei gut und besser als zurzeit mit der Politik zusammenarbeiten, kündigte sie an. „Als Oberbürgermeisterin muss ich die Politik so gut beraten, dass es überhaupt zu den Beschlüssen kommt. Da hakt es in Norderstedt seit einigen Jahren.“

Die Podiumsdiskussion schien am Ende das von den beiden Moderatorinnen zu Beginn gesetzte Ziel erreicht zu haben. Schüler Tobias Lange sagte, er habe jetzt bessere Argumente für seine Wahlentscheidung als vorher. „Ich weiß jetzt, welche Ideen sie verfolgen.“ Und auch wenn Mitschülerin Yella Jeschke die Podiumsdiskussion als „zu lang“ empfand, so habe sie „den Konkurrenzkampf“ unter den drei OB-Kandidaten doch gut spüren können.

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