Bad Bramstedt

100 Jahre alte Dokumente – der Sensationsfund im Karton

| Lesedauer: 7 Minuten
Wolfgang Klietz
Das Foto zeigt Oskar Alexander (links) auf seinem Pferd Elfi und den Bramstedter Polizisten Christiansen

Das Foto zeigt Oskar Alexander (links) auf seinem Pferd Elfi und den Bramstedter Polizisten Christiansen

Foto: unbekannt / Familie Potratz

Claudia Potratz entdeckte im Keller bislang unbekannte Dokumente über den Bramstedter Oskar Alexander, der im KZ ums Leben kam.

Jahrelang hat sich Claudia Potratz nicht um den Karton im Keller gekümmert. Umzug nach Irland, Heirat, vier Kinder – die gebürtige Bramstedterin hatte Wichtigeres zu tun. Mit 19 Jahren verließ sie ihre Heimatstadt. „Der Liebe wegen“, wie sie sagt. Das ist jetzt 18 Jahre her, der Karton aus Bad Bramstedt geriet lange in Vergessenheit. Dass erst im Keller ihrer Eltern, danach in ihrem eigenen jahrelang Dokumente lagen, die in ihrer Heimatstadt für eine kleine Sensation sorgen würden, ahnte Claudia Potratz erst, als sie nach und nach die Kostbarkeiten auspackte. Viele der mehr als 100 Jahre alten Originalpapiere tragen den Namen Oskar Alexander. Auch eine Thora lag darin.

Oskar Alexander war der Gründer des Bramstedter Kurhauses, aus dem das Klinikum Bad Bramstedt entstand. 1942 starb er unter ungeklärten Umständen im Konzentrationslager Sachsenhausen.

„Als junger Mensch wusste ich nicht einmal, dass ich mit Oskar Alexander verwandt bin“, berichtet Claudia Potratz. Die Originalgeburtsurkunde des am 29. Oktober 1881 geborenen Alexander gehört ebenfalls zu den Fundstücken aus dem Karton, den sie erstmals öffnete, als sie sich mit der Familiengeschichte beschäftigen wollte, um einen Stammbaum zu schreiben.

Die Nazis hatten Alexander als Juden eingestuft, ohne dass er sich jemals der Religion zugehörig gefühlt hatte.

Der Weltkriegsveteran dachte deutschnational, verherrlichte die Schlachten und wollte auch in den Zweiten Weltkrieg ziehen. Doch das Wehrbezirkskommando lehnte ab. Claudia Potratz fand ein Schreiben der Behörde, das am 21. September 1939, also drei Wochen nach Kriegsbeginn aufgesetzt wurde. Darin heißt es ohne Anrede: „Auf Ihre Bitte um Einstellung in die Wehrmacht muss Ihnen zu unserem Bedauern mitgeteilt werden, dass ein Einstellung zur Zeit nicht möglich ist.“ Und weiter: „Für Ihr heisses Bemühen, sich als alter Frontsoldat von neuem in den Dienst des Vaterlandes zu stellen, sei Ihnen herzlichst gedankt.“ Auch die Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden anderer Mitglieder der Familie Alexander liegen in dem lange vergessenen Karton. Dazu zählt auch eine nachträglich geänderte Geburtsurkunde. Auf eines der beiden Papiere hat ein Standesbeamter namens Everding am 3. April 1939 über dem Dienstsiegel mit dem Hakenkreuz den Vermerk geschrieben, dass Alexander jetzt mit weiterem Vornamen „Israel“ heiße. Im Dritten Reich diskriminierten die Nazis alle männlichen Juden mit diesem Zweitnamen. Jüdische Frauen wurden gezwungen, den Namen „Sara“ in amtlichen Dokumente aufnehmen zu lassen.

Die Straße am Klinikum Bad Bramstedt wurde nach Oskar Alexander benannt

Claudia Potratz fand auch Briefe und Fotos aus dem Ersten Weltkrieg sowie ein Bild mit Rahmen. Dabei handelt es sich um das Original des Porträts, das in allen Publikationen über Oskar Alexander zu sehen ist.

Die Verbindung zwischen ihr und dem Kurhaus-Gründer ist verwinkelt. Oskar Alexander war ihr Urgroßonkel. Als Claudia Potratz an der Straße Butendoor aufwuchs und oft in den Parks und Wäldern am Kurhaus spielte, wusste sie davon noch nichts. Noch heute heißt das Kurhaus „Haus Alexander“, auch die Straße am Klinikum Bad Bramstedt wurde nach ihm benannt.

Wie es dazu kam, kann Claudia Potratz genau nachlesen. In dem Karton fand sich ein Schreiben der Stadtverwaltung Bad Bramstedt vom 12. November 1947 an den Verwaltungsdirektor des Kurhauses, Herbert Alexander. Er war ein Neffe des Kurhausgründers. In dem Brief teilt die Stadt mit, dass die Gemeinderäte einstimmig beschlossen haben, die Straße am Kurhaus nach Oskar Alexander zu benennen. Die Ehrung erfolge „in Würdigung der Opfer des Faschismus und in Anerkennung der Verdienste eines dieser Opfer um die Stadt Bramstedt“. Wenige Wochen zuvor hatte der Kreistag in Bad Segeberg in einer Feierstunde Oskar Alexanders gedacht.

Claudia Potratz hat mehrere Dokumente bei einer Facebook-Gruppe online gestellt. Außerdem hält sie engen Kontakt mit Jan-Uwe Schadendorf, der als bester Kenner der Bramstedter Stadtgeschichte gilt und eine umfangreiche Sammlung historischer Fotos und anderer Dokumente zusammengetragen hat. Für Claudia Potratz hat er mehrere Schriftstücke ins Hochdeutsche transkribiert, die in Sütterlin aufgeschrieben worden waren.

Schadendorf bezeichnet einige Fundstücke als „echte Highlights“

Claudia Potratz freut sich, dass viele Bramstedter sich per Facebook an ihrem Fund mitfreuen können. Doch in die alte Heimat werden die Dokumente nicht zurückkehren. „Sie bleiben im Familienbesitz“, sagt sie.

Schadendorf bezeichnet einige Fundstücke als „echte Highlights“. Völlig unbekannt sei bislang der Schriftwechsel aus dem September 1939. Dass Alexander in den Zweiten Weltkrieg ziehen wollte, passe in das Bild dieses Mannes, sagt Schadendorf. „Alexander war ein typisch deutsch-nationaler Frontsoldat, der glaubte, seine Taten für Deutschland im Ersten Weltkrieg würden ihn vor Verfolgung schützen.“ Dass Alexander sich als verdienter Deutscher empfand, von den Nazis jedoch als Jude verfolgt wurde, bezeichnet Schadendorf als eine Tragik, die viele Zeitgenossen des Kurhausgründers erleben mussten.

Viele Rätsel können die neuen Funde aus dem Keller in Irland jedoch nicht lösen. Besonders Alexanders Verhaftung und sein Tod geben Historikern immer noch Rätsel auf.
Vermutlich wurde er in der AKN verhaftet, als er von Bad Bramstedt nach Hamburg zu einer Beerdigung fahren wollte und damit gegen das Verbot verstieß, als Jude seinen Heimatort zu verlassen. Im KZ Sachsenhausen erhielt Alexander bei seiner Inhaftierung um den 10. Januar 1942 die Häftlingsnummer 40732. Zwei Wochen später war er tot. Als Todesursache gab die Lagerleitung in Sachsenhausen „Herzschwäche“ als Folge eines Grundleidens Lungenentzündung (Bronchopneumonie) an. Eine Information, die nicht glaubwürdig sei, schrieb der Regionalhistoriker Gerhard Hoch aus Alveslohe in seiner Biografie „Oskar Alexander – vom Kurhaus ins Konzentrationslager“. Hoch in dem Buch: „Diagnosen wie diese dienten regelmäßig und tausendfach zur Kaschierung des durch die Lagerbedingungen absichtlich herbeigeführten Todes der Häftlinge. Sie beruhte sicher nicht auf einer seriösen ärztlichen Diagnose, sondern eher auf der Willkür der Lagerführung.“ Auf der Urkunde aus dem Lager wird der Tote als „Israel Alexander“ bezeichnet.

Experten vermuten, dass Alexander an Misshandlungen starb

Auch die Experten der Gedenkstätte Sachsenhausen gehen davon aus, dass die angegebene Todesursache falsch ist. Sie vermuten, dass Alexander an Misshandlungen starb.

Der Text des Buches von Gerhard Hoch ist auf der Internetseite www.alt-bramstedt.de von Jan-Uwe Schadendorf nachzulesen. Im regulären Buchhandel ist das Werk vergriffen. Einige Exemplare sind noch im Tourismusbüro Bad Bramstedt erhältlich.

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